Die zarteste Versuchung
Marines bestes trojanisches Pferd im Stall ist blond; blonder als sie selbst, jünger als sie selbst, und sehr hübsch. Marion Marechal Le Pen, die Nichte von Marine und Lieblingsenkelin von Jean-Marie, ist 25 Jahre alt - und erobert derzeit viele einstige Parteigegner. Die zarteste Versuchung, seit es den Front National gibt. Die Abgeordnete des Departements Var und Kandidatin für die Regionalpräsidentschaft Provence-Alpen-Cote d'Azur tritt wechselweise forsch, jugendlich-frisch, lasziv auf - und immer politisch entschlossen. Oder fromm.
Die vielgelesene katholische Familienzeitschrift "La Vie" hat einen Stein ins Wasser geworfen, der nun Kreise zieht: "Muss man Marion Marechal Le Pen zu einer Diskussion in einer katholischen Sommerakademie einladen?", fragt das Magazin. Das Titelbild: eine mit sanftem Silberblick zum Himmel schauende Blondine. Der Anlass: Die fünfte Sommeruniversität Sainte Beaume, verantwortet vom Bischof von Frejus-Toulon, Dominique Rey, dessen Institut für Sozialpolitik und der Dominikanerprovinz Toulouse.
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Ein Interview mit dem Chefredakteur der christlichen Wochenzeitung "La Vie", Jerome Anciberro (41), über den Lebensschutz in Frankreich und das Unverständnis gegenüber christlichen Überzeugungen.Bei dem viertägigen Kolloquium soll an diesem Samstag auch "Marion" mitdiskutieren, wie sie von ihren Verehrern genannt wird. Nach Angaben von "La Vie" ist es das erste Mal überhaupt, dass ein Spitzenpolitiker des FN zu einer kirchlichen Veranstaltung eingeladen ist. Seit den 80er Jahren war die Le-Pen-Partei für Frankreichs Bischöfe ein "no go". Und das bleibe auch so, postuliert der Sprecher der Bischofskonferenz, Olivier Ribadeau-Dumas. "Wir können FN-Verantwortliche zu einem Dialog einladen - aber um ihnen unsere Meinungsverschiedenheiten darzulegen."
Der Dominikaner und Mitorganisator der Sommeruniversität Francois Regis Delcourt argumentiert: "Der FN ist die drittstärkste Kraft in Frankreich. Irgendwann muss man ins kalte Wasser springen." Und ergänzt: "Wir haben Marion ausgesucht, nicht Marine, nicht Jean-Marie und nicht [Florian] Philippot!" Marion stehe für ein bestimmtes Segment der Partei und halte eine gewisse Distanz: "Das ist eine intelligente Persönlichkeit."
In der Tat scheint das "bestimmte Segment der Partei" Marions Einfallstor zur katholischen Wählerschicht zu sein. Anders als ihr polemisch-antiklerikaler Großvater und ihre betont laizistisch auftretende Tante Marine vertritt die praktizierende Katholikin einige kirchliche Kernpositionen wie etwa ein Nein zu gleichgeschlechtlichen Eheschließungen und zur Todesstrafe; zugleich besetzt sie soziale Themen und erreicht damit viele Katholiken. Dieselbe Marion freilich ruft den Wählern ihrer Region zu: "Wir wollen kein Multikulti, sondern blau-weiß-rot!"
Der Mediendirektor der Bischofskonferenz, Vincent Neymon, wehrt sich in der Zeitung "Nouvel Observateur" gegen den Vorwurf einer Banalisierung des FN. Die finde vielmehr an der Urne statt. "Aber kann man nicht mit einer gewählten Abgeordneten sprechen, die 30 Prozent der Wähler repräsentiert?"
Die breite Diskussion im Netz zeigt das erwartbare Spektrum - und markiert (trotz der üblichen verbalen Entgleisungen) das schwierige Spannungsfeld, in dem sich die Amtskirche beim FN bewegt. Die einen erinnern an die Vorzeigekatholiken Franz von Papen und Marschall Petain zu Weltkriegszeiten und sprechen von geschichtsvergessener "Naivität". Die anderen verweisen auf die "gute Katholikin" Marion und fragen: Mit dem Islam solle man diskutieren, aber nicht mit dem FN?
So oder so: Die Büchse der Pandora ist mit der Einladung der blonden Unschuld des FN geöffnet. "Die Kirche entteufelt Marion", titelt der Nouvel Obs". Tatsächlich gehört zu den treuesten Kräften des französischen Katholizismus neben den frommen Landleuten auch viele adelsnahe Traditionalisten am rechten Spektrum. Sie werden die Botschaft von Sainte Baume ganz sicher hören.