"Die Zeit heilt keine Wunden"
"Ich habe persönlich die sterblichen Überreste des Babys eingesammelt, dessen Knochen dünn wie Nadeln waren", beschreibt er die Schreckensszene: "Wir haben es in einer Plastiktüte gefunden. Schrecklich, ihre Füßchen und Händchen waren nur wenige Zentimeter lang. Wenn die Tüte nicht gewesen wäre, hätten wir sie nie gefunden. Ihrer Familie konnten wir nichts weiter übergeben als ein paar Gramm Knochen im Reagenzglas".
"Heute wäre sie volljährig geworden", erinnert Bürgermeister Camil Durakovic am Donnerstag bei der Gedenkfeier für die bis zu 8.000 Opfer, die 1995 von bosnisch-serbischen Verbänden abgemetzelt wurden. Mehr als 20.000 Menschen geben am Donnerstag im Gedenkzentrum Potocari vor den Toren von Srebrenica den 409 neu identifizierten Opfern die letzte Ehre, die hier beerdigt werden. Edhem Rahmanovic war als Ältester 76 Jahre. "Selbst die Stärksten und Mutigsten weinen", beschreibt eine Organisatorin der Trauerfeier die Szene.
"Der Himmel benetzt die Särge"
Die Särge sind mit grünem Tuch bespannt. Viele Frauen tragen weiße, rote oder pinkfarbene Kopftücher. Ganze Familien sitzen vor den Gräbern ihrer Lieben. "Unfassbare Trauer und unermesslicher Schmerz im Tal des Todes", fasst ein Journalist die Atmosphäre zusammen. Als der Jugendchor aus Zenica das "Inferno von Srebrenica" anstimmt, setzt starker Regen ein. "Der Himmel öffnet sich zum letzten Mal, um die Särge der unschuldigen Opfer zu benetzen", wird dieses "Zeichen" gedeutet.
Auch die neuen Opfer werden ihren Platz auf der langen Liste der schon identifizierten Opfer finden. In Stein gemeißelt. Eine endlose Namensliste. Kränze und Blumen werden von denjenigen Familien an der Gedenkstätte abgelegt, die heute keine Angehörigen begraben. Der Großmufti von Bosnien-Herzegowina, Husein ef. Kavazovic, bezeichnet das Verbrechen als Basis für den Aufbau eines neuen, friedfertigen und toleranten Staates.
Eine neue Provokation
Srebrenica hat die Wunden von Krieg (1992-1995) und Massaker bei weitem nicht überwunden. Nur noch ein Bruchteil der Vorkriegsbevölkerung lebt hier. Die Stadt gehört zur serbischen Landeshälfte von Bosnien-Herzegowina und wird nach Kräften von der Regierung wirtschaftlich und finanziell ausgezehrt. Im Moment hat die Regierung gegen alle muslimische Widerstände den Bau einer orthodoxen Kirche in unmittelbarer Nähe von Massengräbern und in Sichtweite der Gedenkstätte durchgeboxt. Die Muslime sprechen ebenso wie die ausländischen Botschaften in Sarajevo von einer neuen Provokation.
Von Thomas Brey (dpa)