Doch nicht wie bei Michelangelo?
So erscheint Femen-Aktivistin Josephine Witt (21) am Mittwochmittag im Kölner Amtsgericht. Letztes Jahr Weihnachten war sie ausgerechnet am 80. Geburtstag von Kardinal Joachim Meisner halb nackt auf den Altar des Kölner Doms gesprungen. Dafür muss sie sich nun verantworten.
Josephine Witt - den Namen hat sie sich selbst ausgedacht, eigentlich heißt sie anders - ist eine selbstbewusste junge Frau. Dompropst Norbert Feldhoff, der Hausherr des Kölner Doms, hat ihr vorgeworfen, mit ihrer Aktion Kinder und Jugendliche reihenweise traumatisiert zu haben. "Davon höre ich zum ersten Mal", sagt sie kurz vor Prozessbeginn der Deutschen Presse-Agentur. "Das wäre das erste Mal, dass bei einer unserer Aktionen mit nackten Brüsten jemand traumatisiert worden wäre."
Warten auf den Richter. Vor Josephine Witt steht eine Phalanx von Fotografen und Kameraleuten. Die Studentin der Zahnmedizin lächelt souverän. Die Haare hat sie zu einem braven Pferdeschwanz gebunden, neben sich hat sie ihre Handtasche abgestellt, aus der ein Blumenstrauß herausschaut.
Richter Gerd Krämer betritt den Saal. Ein gemütlicher dicker Mann mit Schnäuzer, leutselig lächelnd. Die Aktivistinnen der Frauenrechtsgruppe Femen haben das Verfahren mit dem Prozess gegen die Band Pussy Riot verglichen, die in Russland wegen eines Kirchenprotests inhaftiert worden war, doch die Assoziationen im Gerichtssaal sind andere.
"Keine Leichen im Keller"
Herr Krämer erkundigt sich danach, wie viel Bafög die 21-jährige Hamburgerin bekommt, ob sie zusätzlich noch arbeiten geht, was dabei rumkommt. Auffälligkeiten in ihrer Biografie gibt es keine - weder Probleme im Elternhaus noch in der Schule. Nein, sie hat "keine Leichen im Keller", wie sie es selbst formuliert.
Dann verliest Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn die Anklage. Man hört noch einmal, wie sie "bis auf einen schwarzen Slip völlig unbekleidet" auf den geheiligten Altar gesprungen ist, mit der Parole "I am god" (Ich bin Gott) auf den nackten Brüsten. "Wollen Sie dazu was sagen?", fragt der Richter. Ja, das möchte sie.
Es sei wahr, dass sie auf dem Altar "topless agiert" habe. "Ich stand da, wie Gott mich schuf." Sie kann darin nichts Anstößiges erkennen, erinnert an die Fresken von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle: auch alles Nackte. "Selbst Jesus hängt ja halb nackt da." Ihre Motivation war politisch: Kardinal Meisner - inzwischen im Ruhestand - habe sich mehrfach abfällig über Frauen geäußert, Abtreibung mit dem Holocaust verglichen.
Das Recht der Gottesdienstbesucher
Oberstaatsanwalt Willuhn will die Angeklagte nicht in Bausch und Bogen verurteilen: "Grundsätzlich ist ja jeder froh, wenn es Personen gibt wie Sie, die sich Gedanken machen." Aber sie habe eben immer noch nicht verstanden, dass "wir Kölner mit dem Dom besonders empfindlich sind". Es gehe hier nicht um die Grundrechte von Kardinal Meisner, sondern um das Recht der Gottesdienstbesucher. "Es gibt Leute, für die ist das ein sehr heiliger Akt, der Weihnachtsgottesdienst im Kölner Dom."
Das Gericht zieht sich kurz zurück, dann wird das Urteil verkündet: Die Angeklagte hat sich der groben Störung der Religionsausübung schuldig gemacht. 60 Tagessätze von je 20 Euro sind die Strafe.
Draußen warten Kamerateams. Josephine Witt lächelt noch immer, aber ein bisschen erschöpft wirkt sie jetzt doch. Der Richter habe es ihr wohl verübelt, dass sie sich nicht entschuldigt habe, sagt sie. "Ich denke, dass ich ordentlichen Mut bewiesen habe." Würde sie noch mal auf den Altar springen? "Ich fänd's langweilig, diesen gleichen Protest noch einmal zu machen." Sie hat in der Verhandlung viel von den Medien gesprochen, die bräuchten eindrucksvolle Bilder. Und vor allem immer wieder was Neues.
Von Christoph Driessen (dpa)