Erzbischof Becker über das Zukunftsbild des Erzbistums Paderborn

Ein Bistum im Aufbruch

Veröffentlicht am 03.11.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Bild: © KNA
Erzbistum Paderborn

Bonn ‐ Zehn Jahre hat es bis zur Fertigstellung gedauert, seit einer Woche ist es nun in Kraft: das Zukunftsbild für das Erzbistum Paderborn mit dem die Diözese fit gemacht werden soll für zukünftige Herausforderungen. Für Erzbischof Becker geht es dabei aber nicht nur um die Frage nach mehr Verantwortung für Laien, sondern auch um das grundsätzliche Selbstverständnis der Kirche.

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Frage: Herr Erzbischof Becker, zehn Jahre lang haben Sie am Zukunftsbild für das Erzbistum Paderborn gearbeitet. Was sind für Sie persönlich die wichtigsten Erkenntnisse?

Becker: Erst einmal bin ich sehr dankbar dafür, dass überhaupt ein solcher Prozess über einen so langen Zeitraum möglich war. Es haben sich unterm Strich sicher Tausende von Menschen auf irgendeine Weise beteiligt und somit das Zukunftsbild mitgeprägt. Es gab Momente der Verunsicherung, vielleicht auch der Verwirrung. Aber insgesamt sind wir beieinander geblieben und haben zusammen gestanden – bei aller Unterschiedlichkeit der Beteiligten und des Bistums.

Die wichtigste Erkenntnis ist deshalb diese hohe Bereitschaft vieler Christinnen und Christen, noch immer das Leben der Kirche zu gestalten, mitzutragen und zu prägen. Diese Erkenntnis haben wir versucht, mit der Kategorie der Berufung theologisch zu erfassen. Vom Berufungsgedanken her ist das Zukunftsbild gewachsen. Mir war von Anfang an wichtig, dass unser Leitbild mehr ist als reine pastorale Pragmatik. Es sollte theologisch verantwortet und pastoral ausgerichtet sein. Und dass das offenbar gelungen ist, wie die ersten Resonanzen ganz eindeutig zeigen, freut mich außerordentlich.

Der Paserborner Dom vor blauem Himmel
Bild: ©dpa/Bernd Thissen

Der Paderborner Dom.

Frage: Sie haben bei der Vorstellung der Ergebnisse den Rückgang von Priestern und die Rolle der Laien angesprochen. Was bedeutet in diesem Zusammenhang "Berufung"?

Becker: Berufung ist eine fundamentale Gegebenheit des Lebens. Wir haben im Verlauf des Prozesses im Erzbistum immer mehr entdeckt, wie grundlegend Berufung ist, um den Menschen, aber auch den Christen und dann die persönliche Sendung jedes Getauften zu verstehen. Berufung geht von Gott aus und ist ein dialogisches Beziehungsgeschehen. Unser Miteinander in der Kirche sollte von diesem Bewusstsein einer von Gott kommenden Berufung – das Zeichen seiner Liebe zu allen Menschen – geprägt sein und darin soll dann jeder und jede Einzelne tiefer in seine bzw. ihre persönliche Berufung hineinfinden. Berufung ist nichts Statisches, sondern etwas Dynamisches. Es beinhaltet Entwicklungsschritte, Erkenntnisschritte. Es gibt unterschiedliche Brechungen und Intensitäten, sehr abhängig von Umständen und Kontexten. Die Kirche als Gemeinschaft der Berufenen darf dabei darauf setzen, dass Gott ihr jene Charismen schenkt, die sie zur Erfüllung ihres Auftrages braucht.

Frage: Was können Laien leisten und wo sehen Sie Grenzen?

Becker: Wir haben immer mehr verstanden, dass die Taufberufung als Basiskategorie kirchlichen Handelns eine Auszeichnung von Gott und keine Funktion zum Aufrechterhalten einer bestimmten kirchlichen Sozialform ist. Insofern dürfen Laien nicht in erster Linie als Ersatz für weniger werdende Priester gesehen werden – auch wenn dieses Denken nicht weit verbreitet ist. Laien sind als Getaufte aus ihrer Berufung als Menschen und Christen zum Handeln in der Kirche und für die Kirche gerufen – und dabei spielen die ihnen geschenkten Charismen eine wichtige Rolle bei der Frage, welche konkreten Aufgaben in Kirche und Welt sie übernehmen.

Natürlich können Laien möglichst viele Aufgaben auch innerhalb der Kirche wahrnehmen – wie etwa den Beerdingungsdienst und weitere Dinge, die lange Zeit Priestern "vorbehalten" waren – aber das sollte in einer Pastoral der Berufung nicht die erste Fragerichtung sein. Es ist von größter Bedeutung, das Taufbewusstsein und die Taufgnade neu zu erfassen und als bedeutsame Größe für das eigene Leben und Handeln zu entdecken. Erst wenn die Kirche wirklich von der Taufe her verstanden wird, wird die Frage nach den Berufungen, Charismen und Ämtern wirklich mehr als nur pragmatisch beantwortbar.

Frage: Wie will das Erzbistum die Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen stärken?

In einer Perspektivgruppe ist ein "Ehrenamtsförderplan" entstanden, der nun zur Umsetzung ansteht. In dem Dokument "Orientierung für das pastorale Personal" sind Grundzüge des Miteinanders von Haupt- und Ehrenamt beschrieben – wie auch im Zukunftsbild selbst, wo dieses Thema ja als eins von sechs Schlüsselthemen für das pastorale Handeln ist. Es geht um ein von Wertschätzung und Anerkennung geprägtes Miteinander, um Feedbacks und die geistliche Fundierung von Entscheidungsprozessen und um die Überzeugung, nur gemeinsam als Priester und Laien, Männer und Frauen, Haupt- und Ehrenamtliche in der Kirche weiter zu kommen.

Frage: Ist das Wort "Aufbruch" in ihrem Leitbild nicht nur eine schöne Metapher für Gemeindefusionen und Kirchenschließungen?

Becker: Zu dem Stichwort Aufbruch begegnet mir von manchen Menschen in der Kirche großes Widerstreben. Das Zukunftsbild beschönigt übrigens nichts von den wirklich sehr herausfordernden Rahmenbedingungen, die auch in Ihrer Frage anklingen. Aber der Aufruf des Papstes an alle Diözesen, eine Kirche im Aufbruch zu werden, haben wir mit dem Zukunftsbild für unser Erzbistum beantwortet. Es geht dabei darum, neu auf die Gegenwart Jesu Christi zu vertrauen und uns aus diesem Vertrauen heraus gegenseitig Vertrauen zu schenken und Verantwortung zu übernehmen. Vor Gott und voreinander. Je mehr das geschieht, desto weniger wird das Klagen vernehmbar sein über die sich verändernden äußeren Gegebenheiten des kirchlichen Lebens. Die harten Fragen wie Gemeindefusionen und Kirchenschließungen müssen – und das ist natürlich nicht leicht– auf dem Niveau der Berufungstheologie verständigt werden. Das ist unser Anspruch, an dem wir uns nun auch messen wollen. Rückschläge wird es geben, aber vor allem setze ich auf die Bereitschaft, einen so verstandenen Aufbruch im Miteinander zu nutzen, um die nötigen Entscheidungen zu fällen.

„Wozu bist du da, Kirche von Paderborn? Wofür setzt du dich ein?“

—  Zitat: Erzbischof Hans-Josef Becker

Frage: Wie wollen Sie die Gläubigen künftig motivieren, Veränderungen zu akzeptieren und mitzutragen?

Becker: Das wird einerseits dauern, andererseits von der Bereitschaft abhängen, die Haltungen des Zukunftsbildes einzeln und gemeinschaftlich anzueignen. Je transparenter Entscheidungsprozesse organisiert werden, je klarer Entscheidungsnotwendigkeiten werden, je vorausschauender Planungen stattfinden, und je mehr Vertrauen und Verantwortung wachsen, desto mehr werden die Menschen dazu bereit, Veränderungen auch im gewohnten kirchlichen Leben zu tragen und anzugehen. Dafür gibt es genügend Beispiele.

Frage: Das Zukunftsbild soll sich vor allem auch an den caritativen Aufgaben der Kirche ausrichten. Was bedeutet das für die Gläubigen?

Becker: Das bedeutet eine neue Wachsamkeit für die Bedürfnisse und Nöte von Menschen in der eigenen Umgebung und die Frage: Wo kann ich, wo können wir zu Diensten sein? Diese Perspektive soll vor Ort künftig durch ein "Gesicht" – haupt- oder ehrenamtlich – im Pastoralen Raum, in den Pastoralteams und in den Gremien vertreten werden. Verbunden damit ist eine stärkere Kooperation mit anderen Handelnden, die sich für menschliche Belange engagieren. Ich denke, das wird Einfluss haben auf die Pastoralkonzepte, die derzeit entstehen, und auf die Ressourcenzuweisung.

Frage: Was wünschen Sie sich für die Zukunft ihres Bistums?

Becker: Ich wünsche mir, dass der Geist Gottes uns weiterhin miteinander in Bewegung hält, dass wir lernen, uns zu hinterfragen und zu überprüfen und dass wir uns immer neu verunsichern lassen durch die Leitfrage, die ich dem Prozess vorangestellt habe: Wozu bist du da, Kirche von Paderborn? Wofür setzt du dich ein? Was sind deine Anliegen? – Und das bricht sich herunter auf die einzelnen Pastoralen Räume, auf die Einrichtungen, auf die Projekte. Bis hin zu der Frage: Wozu bist du da, Getaufter, Getaufte? Wozu seid ihr da, Christen vor Ort? Wenn auf diese Weise Klärungen und vor allem Glaubensfreude wachsen und Dankbarkeit dafür, zur Kirche Gottes zu gehören und ein Ruf Gottes in dieser Welt zu sein, wäre ich sehr, sehr froh.

Das Interview führte Björn Odendahl

Tipp: Internetseite zur Zukunftsperspektive

Zu seinem Zukunftsbild hat das Erzbistum Paderborn auch eine multimediale, ansprechend gestaltete Internetseite zusammengestellt. Dort kann man das Konzept nachlesen und die Entstehung verfolgen. Dazu gibt es Informationen über das Corporate Design und erste Reaktionen.