Ein historisches Schuldbekenntnis
Dort, am Grab des heiligen Bonifatius, formulierten die Bischöfe am 23. August 1945 ein Schuldbekenntnis - noch vor dem Stuttgarter Schuldbekenntnis der evangelischen Kirche vom Oktober 1945
Das Ansehen der katholischen Kirche war groß: Für viele Deutsche erschien sie als "Siegerin in Trümmern", die nicht durch Kollaboration mit den Nazis diskreditiert war. Auch der für religiöse Angelegenheiten zuständige Offizier der britischen Besatzungszone schrieb in einem Geheimbericht aus Fulda, die Bischöfe verfügten "über das Prestige eines ungebrochenen Widerstandes".
Ein Klima der Ungewissheit nach dem Krieg
Schon kurz nach Kriegsende hatten einzelne Bischöfe die NS-Verbrechen öffentlich beklagt, dies aber auch mit Warnungen vor der Rache des Auslands und Verweisen auf das Leid der Deutschen verbunden. In einem Klima der Ungewissheit formulierten die Bischöfe in Fulda ein gemeinsames Schuldbekenntnis, das das Versagen vieler einzelner Katholiken klar benannte, zugleich aber offen ließ, ob auch die Kirche als Organisation versagt hatte.
Einerseits verwiesen die Bischöfe auf die Katholiken, die integer geblieben waren. Als vorbildhaft wurden besonders diejenigen herausgestellt, die Juden beschützt hatten. Andererseits hieß es: "Viele Deutsche, auch aus unseren Reihen, haben sich von den falschen Lehren des Nationalsozialismus betören lassen." Sie seien angesichts der Verbrechen gleichgültig geblieben, hätten ihnen sogar Vorschub geleistet. "Viele sind selber Verbrecher geworden."
Nach Erkenntnissen des Kölner Kirchenhistorikers Ulrich Helbach ist dabei der wichtige Einschub "auch aus unseren Reihen" erst ganz zum Schluss in den Text gelangt. Die Formulierung war interpretationsfähig: Möglicherweise verbargen sich dahinter unterschiedliche Einschätzungen der Bischöfe zu ihrer eigenen Rolle während der Nazi-Herrschaft.
Linktipp: Kreuz und Hakenkreuz
Ablehnung, Annäherung, erneute Ablehnung und Konfrontation – das Verhältnis der katholischen Kirche zum Nationalsozialismus in den Jahren zwischen 1930 und 1945 war uneinheitlich und zahlreichen Schwankungen unterworfen. Die Diktatur des Hitler-Regimes bedeutete auch für die Kirche eine Zeit schwerer Konflikte.Elf Bischöfe wollten offen protestieren
Helbach hat allerdings herausgefunden, dass es zuvor unter den Bischöfen durchaus Nachdenken über ein Versagen von Kirche gegeben hatte. In einer internen Eingabe der elf nordwestdeutschen Bischöfe an Papst Pius XII. werde deutlich, dass es "offensichtlich etliche Bischöfe gab, die überzeugt waren, dass offener Protest für die Kirche und gegebenenfalls für die Opfer von Vorteil" gewesen wäre, schreibt der Direktor des Historischen Archivs des Erzbistums Köln.
Sie hätten aber mit Rücksicht auf die Einheit der Bischöfe geschwiegen. Die beteiligten Bischöfe zeigten sich laut Helbach auch überzeugt, dass zumindest "die allermeisten denkenden Deutschen" geahnt hätten, dass "in den Konzentrationslagern entsetzliche Ungerechtigkeiten geschehen" seien. "Hinsichtlich der Juden war es allen praktische Gewissheit", so die Bischöfe.
Nach einer öffentlichen Rückendeckung durch den Papst allerdings verschwanden diese selbstkritischen Positionen. Pius XII. gab am 2. Juni 1945 eine Ehrenerklärung ab. Er lobte Mut, Treue und Geschlossenheit der Katholiken und lehnte eine Kollektivschuld ab.
Das Ziel: Die Gesellschaft wieder christlich machen
Helbach weist darauf hin, dass die Bischöfe seitdem ihre Rolle in der NS-Zeit nie mehr kritisch thematisiert hätten. Demgegenüber verfolgte man seit Sommer 1945 eine einheitliche Linie: Rechristianisierung des öffentlichen Lebens, insbesondere im Bereich der Schulen, Abwehr der Kollektivschuld und Wächteramt der Kirche gegenüber der Politik.
Erst Ende der 50er Jahre geriet das Bild einer geschlossenen katholischen Abwehrfront gegen die Nazis ins Wanken - nicht nur durch Rolf Hochhuths Schauspiel "Der Stellvertreter". Es war der Katholik und spätere Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde, der 1961 analysierte, welche Mithilfe prominente Katholiken 1933 Hitler geleistet hätten. Und 1963 kritisierte der katholische Publizist Carl Amery, die Katholiken hätten lediglich für den Erhalt ihres Milieus gekämpft, niemals aber für allgemeine Menschenrechte oder Demokratie.