"Ein katholisches Phänomen"
Frage: Herr Priess, wie hat es eigentlich der "Herrjott" in so viele Karnevalslieder geschafft?
Priess: Viele Menschen sind ja noch immer davon überzeugt, dass Gott bei allem seine Finger im Spiel hat - ob das das persönliche Leben, der Fußball oder die Politik ist. Wir rufen Gott ja auch regelmäßig an, bewusst oder auch unbewusst, wenn wir zum Beispiel "Um Gottes willen" sagen. Da ist es nur natürlich, dass Gott auch in Karnevalsliedern seinen Platz hat. Und das ist keineswegs blasphemisch gemeint. Bei "Dat Wasser vun Kölle" zum Beispiel, wo ja auch der liebe Gott angerufen wird, geht es um den Erhalt der Natur. Oder denken Sie an das Lied "Es gibt ein Leben nach dem Tod". Das ist auch nicht blasphemisch gemeint, sondern wir nehmen Menschen aufs Korn, die mit ihrem Leben unbedacht umgehen und sich mit dem Gedanken trösten, dass es ein Leben nach dem Tod gibt.
Frage: Ein anderer Fixpunkt in vielen Karnevalshits ist der Kölner Dom. Warum?
Priess: Das ist ein bisschen wie beim lieben Gott. Der Dom ist einfach bei uns sehr präsent. Er ist ja auch groß und unübersehbar. Wenn man die Leute hier fragt, dann ist der Dom gar nicht mal immer deren Lieblingskirche. Viele ziehen zum Beispiel die romanischen Kirchen in Köln vor oder einfach ihre Kirche um die Ecke. Aber der Dom ist nun mal der Mittelpunkt der Stadt, das Wahrzeichen. Mit ihm identifizieren die Menschen Köln, so wie man Paris mit dem Eiffelturm identifiziert. Besonders stark war das in der Nachkriegszeit, als sich am und um den Dom das Leben wieder zu formieren begann. Als die Domglocken wieder läuteten, war das ein erstes Zeichen, dass jetzt wieder bessere Zeiten beginnen. Deshalb besingen wir auch die Domglocken in unserem Lied "Am Dom zo Kölle".
Frage: Vor einiger Zeit haben Sie sogar ein Lied über das Amt des Weihbischofs gemacht. Wie kam es dazu?
Priess: So wörtlich sollte man das mit dem Weihbischof nicht nehmen. Man hätte auch Bischof oder Erzbischof sagen können, aber Weihbischof klang irgendwie besser. Es ist einfach ein Lied über einen Kirchenmann, der sich etwas zu wichtig nimmt, der in großer Pose auftritt, so wie ein General, der sich zahllose Orden an die Brust heftet.
Frage: Die Kirche muss im Karneval überhaupt viel Spott über sich ergehen lassen...
Priess: Im Karneval wird vieles Gegenstand der humoristischen Betrachtung. Und dazu gehört auch die Kirche, weil die Kirche eben viel mit dem Leben zu tun hat und umgekehrt.
Frage: Ist die Verbindung von Karneval und Glaube ein typisch rheinisches Phänomen, oder steckt ein tieferer Zusammenhang dahinter?
Priess: Karneval ist eigentlich ein katholisches Phänomen. Es handelt sich da ja um die Tage vor der Fastenzeit, die bei den Katholiken eine ganz andere Rolle spielt als bei anderen Konfessionen. Man sieht das auch daran, dass es in evangelischen Gebieten kaum Karneval gibt. Das Rheinland ist nun eine Region, die in besonderem Maße katholisch geprägt ist, schon seit Jahrhunderten. Insofern ist diese Verbindung von Glaube und Karneval hier auch besonders stark zu spüren. Das liegt aber auch daran, dass der Karneval im Rheinland noch am stärksten in der Bevölkerung verwurzelt ist. Anderswo ist das nicht so stark, auch nicht in anderen katholischen Hochburgen wie zum Beispiel München. Im Rheinland - das habe ich als evangelischer Berliner über eine lange Zeit beobachten können - ist Karneval so etwas wie eine Chiffre für die Einstellung der Menschen zum Leben.
„Im Karneval wird vieles Gegenstand der humoristischen Betrachtung. Und dazu gehört auch die Kirche.“
Frage: Sind Sie selbst ein gläubiger Mensch?
Priess: Das kann ich nicht mit einem Wort beantworten, das ist zu komplex. Ich würde sagen: In der Botschaft, die vom Neuen Testament ausgeht, sind eine Menge Gedanken, die gar nicht so verkehrt sind...
Frage: Sie haben es vorhin schon gesagt: Karneval ist eigentlich nur die Tür zur Fastenzeit. Wie erleben Sie Aschermittwoch?
Priess: Den Tag verbringen wir ganz ruhig. Da ist jeder erst einmal froh, dass alles vorbei ist. Alle Narretei braucht auch ein Ende. Aber natürlich ist da auch eine gewisse Melancholie. Das merkt man schon in den letzten Tagen des Sitzungskarnevals. Da kommt dann so eine gewisse Bluesstimmung unter den Leuten auf. Es ist ja auch schade, dass es vorbeigeht. Aber der nächste "Elfte im Elften" kommt bestimmt.