Ein Moskauer Kirchenbollwerk

Veröffentlicht am 02.04.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Ukraine

Potschajew ‐ Wie aus dem Nichts taucht das orthodoxe Kloster von Potschajew im Morgennebel auf. Goldene Kuppeln schimmern über dem flachen Land im westukrainischen Gebiet Ternopol. In der prächtigen Hauptkirche folgen Gläubige dem Gottesdienst, verbeugen sich vor Ikonen, zünden Kerzen an, beten.

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Vielstimmig singt ein Mönchschor auf Kirchenslawisch die meditative Liturgie - scheinbar immer gleich und doch immer wieder variiert. "In unserem Kloster leben etwa 200 Mönche und Brüder", erzählt Vater Kornelij. Auf Nachfrage sagt er: "Sie sind alle Einwohner der Ukraine."

Der 43-jährige Mönch war plötzlich erschienen. Er verantwortet die Sicherheit des Klosters und hat schnell erfahren, dass ein Journalist zu Besuch ist. Kornelij wacht freundlich, aber resolut über das alte Gemäuer: Die Zeiten sind unruhig, gerade auch für dieses Kloster, das Mariä Himmelfahrt (russisch: Uspenje) gewidmet ist. Denn Potschajew ist der westlichste Vorposten russischer Orthodoxie und gehört, obwohl es in der Ukraine liegt, zum Moskauer Patriarchat.

Als im Februar der prorussische Präsident Viktor Janukowitsch vor den Protesten in Kiew geflohen war, versuchten ukrainische Nationalisten, in das Kloster einzudringen. Eine Menschenkette aus Mönchen und Gläubigen vor dem Tor verhinderte das. Der Vorsteher, Metropolit Wladimir, erklärte, dass in Potschajew weder Waffen noch Helfershelfer des Regimes oder gar Janukowitsch selbst versteckt seien. "Kann jemand mit gesundem Menschenverstand sich vorstellen, dass diese Person sich in der Westukraine aufhält?", fragte der Geistliche.

Kloster trägt Ehrentitel "Lawra" wegen kirchenpolitischer Bedeutung

Potschajew trägt als eines von fünf russisch-orthodoxen Klöstern den Ehrentitel "Lawra" wegen seiner kirchenpolitischen Bedeutung. Es liegt an einer fast tausend Jahre alten religiösen und kulturellen Grenze, seit die Kirchenspaltung von 1054 Europa teilt. Westlich erstreckt sich das katholisch oder protestantisch geprägte Abendland. Schon die gut 100 Kilometer entfernte westukrainische Hauptstadt Lwiw (Lemberg) zählt zum Westen.

Russlands Präsident Wladimir Putin
Bild: ©dpa/Druzhinin Alexei

Russlands Präsident Wladimir Putin ist orthodoxer Christ und zeigt Nähe zum orthodoxen Moskauer Patriarchat.

Vom Himmelfahrts-Kloster nach Osten liegt das Gebiet der Orthodoxie, in dem die Moskauer Kirche die Führung beansprucht. Der aktuelle Konflikt in der Ukraine über eine Ausrichtung nach West oder Ost hat seine Wurzeln auch in der alten religiösen Spaltung des Kontinents.

Einsiedler-Mönche lebten seit dem 13. Jahrhundert in Höhlen in Potschajew. Erst 1597 begann der Ausbau zu einem beeindruckenden Kloster als Bollwerk gegen den Katholizismus. Die Bauern in der Umgebung sollten orthodox bleiben und sich nicht der 1596 gegründeten Unierten Kirche anschließen. Diese feiert die Messe nach ostkirchlichem Ritus, erkennt aber den Papst in Rom an. Die Westukrainer sehen diese Unierte (auch: Griechisch-katholische) Kirche als ihre Nationalkirche an.

Potschajew wetteifert mit dem Herz der polnischen katholischen Kirche in Tschenstochau (Czestochowa) - auch bei Wunderlegenden. Das Bild der Schwarzen Madonna im polnischen Kloster Jasna Gora gilt als wundertätig - ebenso die Ikone der Gottesmutter in Potschajew. Die Orthodoxen haben aber zusätzlich einen Fußabdruck von Maria. 1655 rettete die Madonna Tschenstochau vor den Schweden, 1675 Potschajew vor den Türken. "Sie sandte einen Nebel, in dem sich die Türken gegenseitig umbrachten", erzählt Kornelij.

Im Jahr 1990 weitgehend selbstständige ukrainische Ortskirche gegründet

Im Zerfall der Sowjetunion hat das Moskauer Patriarchat 1990 eine weitgehend selbstständige ukrainische Ortskirche gegründet, der aber die Klöster und wichtigsten Kirchen im Land gehören. Das konkurrierende Kiewer Patriarchat wird nur von wenigen anderen orthodoxen Kirchen anerkannt. Kornelij betont die Eigenständigkeit der Russisch-Orthodoxen in der Ukraine gegenüber Moskau: "Wir sind nur im gemeinsamen Gebet verbunden."

Besuchern wie der Rentnerin Maria aus dem nahen Städtchen Barasch ist es egal, ob das Kloster nun russisch-orthodox oder ukrainisch-orthodox ist. "Am wichtigsten ist, dass auf Kirchenslawisch gesungen wird", sagt sie. Ihre Sorgen sind die der meisten alten Menschen in der Ukraine: Die Rente von 1000 Griwna (knapp 70 Euro) reicht nicht aus, und bei der Arbeit im eigenen Gemüsegarten macht der Rücken nicht mehr mit. "Ich rutsche auf den Knien herum."

In den unruhigen Zeiten kämen weniger Pilger nach Potschajew, berichtet Kornelij. "Instabilität ist Instabilität." Nun ist es nicht so, dass in Potschajew für Moskau oder gegen die Ukraine gepredigt würde. Aber der Mönch lässt durchklingen, dass er einen Aufstand gegen die Obrigkeit wie in Kiew ablehnt. Ukrainische Priester haben bei den Protesten Seelsorge geleistet und vermittelt. Die Kirche solle außerhalb der Politik sein, sagt Vater Kornelij: "Ihre Aufgabe ist es, Seelen zu retten."

Von Friedemann Kohler (dpa)