Ein wacher Geist
Wenn er dann seinen Besuch noch auf einem gemütlichen Polsterstuhl Platz nehmen lässt und sagt: "Darauf saß bereits Helmut Kohl und auch Joseph Ratzinger" wird klar: Der am 18. Juni seinen 85. Geburtstag feiernde Gesprächspartner hat viel erlebt.
Am Anfang stand die Wissenschaft. In seiner Heimatstadt Freiburg im Breisgau und in München studierte Maier Geschichte, Romanistik, Germanistik und Philosophie. Verwandte und Bekannte, die früh Geld mit ihrer Hände Arbeit verdienten, hätten damit weniger anfangen können, erinnert sich Maier in seinen vor fünf Jahren vorgelegten Memoiren "Böse Jahre, gute Jahre". Als aber nach Promotion und Habilitation 1962 der Ruf als Professor für Politik an die Münchner Universität folgte, war man beruhigt. Immerhin verfügte der Mann jetzt über ein Einkommen und war nicht mehr auf Stipendien angewiesen. Und die Frau fürs Leben hatte er auch gefunden.
Die Kinder richteten ihm seine Homepage ein
Seit 54 Jahren sind Adelheid und Hans Maier verheiratet. Ihre sechs Töchter haben dafür gesorgt, dass die Familie sich um neun Enkel und "zweieinhalb Urenkel", wie Maier scherzhaft sagt, weil der dritte unterwegs ist, vergrößert hat. Die Kinder sorgten auch dafür, dass der Vater nicht mehr auf der alten Reiseschreibmaschine seine Texte für Bücher, Zeitungen und Vorträge schreibt, sondern auf einem Computer. Sogar eine eigene Homepage haben sie ihm eingerichtet. Das Kommunizieren mit E-Mails ist für Maier längst selbstverständlich geworden.
„Wir brauchen Kurzformeln des Glaubens und Formulierungen, die auch kirchlich Fernstehende verstehen.“
Auch im Ruhestand lässt Maier die Entwicklung in Politik und Kirche nicht los. Sein Lebensthema, die "christlichen Demokratien", hatte er schon lange für sich entdeckt, als er plötzlich selbst Teil des Politikbetriebs werden sollte. Bayerns Ministerpräsident Alfons Goppel (CSU) holte den anfangs Parteilosen 1970 als Kultusminister in sein Kabinett. Maier blieb 16 Jahre, auch noch in der Ära von Franz Josef Strauß. Als dieser jedoch nach der Wahl 1986 Maier entmachten wollte, indem er ankündigte, das Amt zu teilen, lehnte der selbstbewusste Gelehrte dankend ab.
Zwei Jahre später kehrte er in die Wissenschaft zurück und war von 1988 bis 1999 Inhaber des Romano-Guardini-Lehrstuhls für christliche Weltanschauung an der Münchner Universität. Über Strauß sagt Maier: "Er war ein grandioser Kopf, ein Mann, an dem ein Wissenschaftler verloren gegangen ist." Dazu seien sein unglaubliches Gedächtnis und seine Unterscheidungsgabe gekommen - "aber er hatte sich nicht in der Gewalt".
Sorge über Auseinanderdriften der Union
Mit Sorge schaut Maier derzeit auf die CSU und deren Verhältnis zur CDU, warnt vor einem Auseinanderdriften der Union. Schließlich sei es eine historische Errungenschaft, dass nach 1945 die Zusammenarbeit von Katholiken und Protestanten in einer christlichen Partei möglich geworden sei.
Marx würdigt Hans Maier: "Brillanz und Humor"
Kardinal Reinhard Marx hat die Leistungen Hans Maiers gewürdigt. An der Spitze des Zentralkomitees der deutschen Katholiken habe dieser "die Katholikentage und den konstruktiven Dialog zwischen Laien und Bischöfen geprägt", betonte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz in einem Glückwunschschreiben. Die Kirche in Deutschland sei Maier zu großem Dank verpflichtet: "Ihre verbindliche Art, Ihr Geschick, schwierige Situationen mit Humor zu lösen, und Ihr breitgefächertes Denken und Handeln haben Sie zu einem stets geschätzten Gesprächspartner der Deutschen Bischofskonferenz gemacht." Maier habe unermüdlich dafür gekämpft, "dass die Stimme der Kirche in den politischen Diskursen unseres Landes gehört wird." Seine "theologische und philosophische Brillanz" seien ebenso unvergessen wie seine Sprache, "die die Menschen verstanden haben und die zutiefst aus dem Glauben heraus argumentiert". (luk/KNA)Positive Veränderungen sieht der frühere Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (1976 bis 1988) in der katholischen Kirche. Der Franziskus-Effekt sei überall deutlich spürbar. Etwa, "dass man wieder über Dinge reden kann, die tabuisiert waren, wie das Diakonat der Frau". Seit Franziskus Papst im Amt sei, lese er auch wieder den "Osservatore Romano" wegen dessen kurzer Predigten am Morgen: "Wir brauchen Kurzformeln des Glaubens und Formulierungen, die auch kirchlich Fernstehende verstehen", so Maiers Überzeugung.
Und was wünscht er sich für die Zukunft? "Dass in Deutschland, vor allem in den östlichen Ländern, eine größere Neugier auf das Christentum entsteht, zumindest als kulturelle und geschichtliche Größe", sagt Maier. Auch Kirchenferne möchten einsehen, dass Europa, "das vielberufene Abendland", gar nicht denkbar sei ohne die christliche Botschaft von der Freiheit des Menschen, von Nächstenliebe und Barmherzigkeit.
18.06.2016, 11:10 Uhr: Ergänzt um Textbox mit der Würdigung von Kardinal Marx