Ein weiteres Zeichen der Solidarität
Besondere politische Brisanz gewinnt der Besuch dadurch, dass vor wenigen Tagen die umstrittenen Rückführungen von illegal nach Griechenland eingereisten Flüchtlingen in die Türkei begannen. Sie waren im Abkommen zwischen der EU und Ankara vereinbart worden.
Lesbos steht in einer Reihe mit den spektakulären Reisen des Papstes nach Lampedusa im Juli 2013 und an die Grenze zwischen Mexiko und den USA nach Ciudad Juarez vor einigen Wochen. Dass Franziskus gemeinsam mit dem Patriarchen von Konstantinopel Bartholomaios I., dem Ehrenoberhaupt der orthodoxen Christenheit besucht, verleiht der Reise zusätzlich eine ökumenische Bedeutung. Nie zuvor hat Franziskus, der für seine spontanen Einfälle bekannt ist, so kurzfristig eine Reise anberaumen lassen. Erst am Donnerstag gab der Vatikan den Termin bekannt.
Kardinal: "Flüchtlinge sind Personen, keine Waren"
Papst und Vatikan haben die Flüchtlingspolitik der EU in den vergangenen Monaten wiederholt kritisiert. Zuletzt prangerte der vatikanische Flüchtlings-Beauftragte, Kardinal Antonio Maria Veglio, das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei an. Damit nehme man den Flüchtlingen ihr Recht auszuwandern, sagte er dem Sender Radio Vatikan vor einigen Tagen. Flüchtlinge, die etwa nach Deutschland wollten, fänden sich durch das Abkommen nun in der Türkei wieder, so Veglio. Erschwerend hinzukomme, dass Ankara in Sachen Demokratie und Freiheit beileibe kein Vorbild sei. Veglio kritisierte das Abkommen als Kuhhandel. "Diese armen Flüchtlinge sind Personen, keine Waren."
Auch auf die Schließung der Balkanroute reagierte der Vatikan mit deutlichen Worten, auch wenn der Begriff selbst nie fiel. Wegen mangelnder Hilfsbereitschaft säßen Flüchtlinge in der Kälte und ohne Nahrung an der Grenze fest, sagte der Papst Mitte März bei einer Generalaudienz. Zu dieser Zeit saßen gerade mehr als 10.000 Flüchtlinge im griechischen Idomeni fest. Ausdrücklich lobte er "die Regierenden, die Herz und Türen öffnen".
Parolin: Europa erlebt "schermzvolle Phase"
Auch die "Nummer zwei" im Vatikan, Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, prangerte die Schließung der Balkanroute an. "Wir sollten uns beschämt fühlen, die Türen schließen zu müssen, als ob das in unserem Europa mühevoll erkämpfte humanitäre Recht keinen Platz mehr darin habe", sagte er während eines Besuchs in Hauptstadt Skopje Mitte März. Angesichts des "humanitären Dramas der zahlreichen Brüder und Schwestern", die an Europas Grenzen kämen, erlebe der Kontinent derzeit eine "schmerzvolle Phase", so Parolin in seiner Ansprache zur Eröffnung des neuen Bischofssitzes in Skopje. Europa sei "eingeklemmt zwischen EU-Integration und nationalistischen und ethnischen Automatismen".
Themenseite: Auf der Flucht
Die Flüchtlingskrise fordert Staat, Gesellschaft und Kirchen mit ganzer Kraft heraus. Auch die katholische Kirche in Deutschland engagiert sich umfangreich in der Flüchtlingsarbeit. Weitere Informationen dazu auf der Themenseite "Auf der Flucht".Publizistisch flankiert wurde diese Kritik von der vatikanischen Tageszeitung "Osservatore Romano". Sie prangerte die Zustände in Idomeni offen an. "Fluss der Schande" titelte das Blatt unter Anspielung auf den Grenzfluss nördlich von Idomeni, in dem mehrere Flüchtlinge ertrunken waren.
Franziskus hat auch deutlich gemacht, wie er sich eine Flüchtlingspolitik vorstellt. Unmittelbar vor Beginn des EU-Flüchtlingsgipfels und der Gespräche mit der Türkei in Brüssel, lobte er im März ausdrücklich die Einrichtung eines sogenannten "humanitären Korridors" durch eine ökumenische Initiative in Italien. Dies sei ein "konkretes Zeichen des Einsatzes für den Frieden und das Leben", wofür er seine Bewunderung ausdrücken wolle, so Franziskus zum Abschluss seines sonntäglichen Angelus-Gebets.
Vom Tisch ist offenbar der Vorschlag, den einige in der Flüchtlingshilfe engagierte Priester dem Vatikan gemacht haben: Danach sollte der Heilige Stuhl Flüchtlinge mit vatikanischen Visa ausstatten, um ihnen die Einreise nach Europa zu ermöglichen.