"Ein zuverlässiges Kriterium"
Skandale um die Vergabe von Organen und Skepsis gegenüber dem Hirntod stellten die Transplantationsmedizin vor Herausforderungen, schreibt Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, im Geleitwort für die neu Handreichung. Die wurde von der Glaubenskommission unter Vorsitz des Mainzer Kardinals Karl Lehmann und der Unterkommission "Bioethik" unter Vorsitz von Bischof Gebhard Fürst aus Rottenburg-Stuttgart verantwortet
"Wir Bischöfe sind uns unserer besonderen Verantwortung bewusst", so Marx weiter. Diese Verantwortung betreffe sowohl das Leben vieler schwerkranker Menschen, die auf ein Spenderorgan warteten, als auch die Freiheit all derjenigen, "die nicht zuletzt aus dem Motiv christlicher Nächstenliebe ernsthaft über die Möglichkeit einer eigenen Organspende nachdenken".
Die Orientierungshilfe der Bischöfe soll nun Menschen helfen, sich eine Meinung zum Thema Organspende zu bilden. Das ist wichtig, da seit 2012 in Deutschland die sogenannte Entscheidungslösung gilt. Jeder Bürger soll demnach die eigene Bereitschaft zur Organspende auf Grundlage fundierter Informationen prüfen und schriftlich festhalten. Dies geschieht über den Organspendeausweis, der alle zwei Jahre von den Krankenkassen an die Mitglieder verschickt wird. "Wir Bischöfe sind der Auffassung, dass auf diesem sensiblen Feld ein hohes Maß an Transparenz erforderlich ist, um das verloren gegangene Vertrauen schrittweise zurückzugewinnen", so der Kardinal. Zudem plädieren die Bischöfe für eine Änderung des Transplantationsgesetzes: Sie befürworten eine enge Zustimmungslösung, die eine Organentnahme nur bei ausdrücklicher schriftlicher Zustimmung des potenziellen Spenders erlauben würde. Nur in Ausnahmefällen sollten Angehörige diese Entscheidung treffen dürfen.
Einwände bei einer Hirntoddiagnose ernst nehmen
Die Handreichung widmet sich in einem Teil besonders dem Thema Hirntod. Durch eine Vielzahl neuer klinischer Phänomene werde der Hirntod als Kriterium für eine Organspende immer öfter in Zweifel gezogen, schreibt Marx. So wiesen etwa Mitglieder des Deutschen Ethikrates Anfang des Jahres drauf hin, dass es erfolgreiche Schwangerschaften bei hirntoten Frauen gegeben habe. Auch das Immunsystem könne bei Hirntoten weiter funktionieren. Der US-Bioethikrat erklärte bereits 2008, dass der angeblich tote Körper in der Lage sei, seine Temperatur, den Blutfluss und Hormonhaushalt selbstständig zu regulieren.
In ihrer neuesten Orientierungshilfe – die nicht die erste zum Thema Organspende ist – betonen die Bischöfe, dass Einwände bei einer Hirntoddiagnose ernst zu nehmen seien. "Dennoch gibt es gute Gründe daran festzuhalten, dass der tatsächliche Tod vor einer Organentnahme mit Sicherheit festgestellt werden muss und dass hierfür der Hirntod ein zuverlässiges Kriterium ist", so Marx.
Als moralische Pflicht wollen die Bischöfe die Organspende jedoch nicht verstanden wissen. Auch wenn die Entscheidung zur postmortalen Spende eigener Organe einen "großherzigen Akt der Nächstenliebe" darstelle, wie der Kardinal im Vorwort zur Orientierungshilfe schreibt. Aufgrund der engen Verbindung der Organe mit der leiblichen Existenz und der individuellen Biographie eines Menschen sei jedoch zunächst auf die Freiwilligkeit der Organspende hinzuweisen. So bestehe auch kein Rechtsanspruch auf den Erhalt eines fremden Organs, schreibt Marx weiter. Aus diesem Grund sei eine umfassende Aufklärung derjenigen notwendig, die über eine Organspende nachdenken.
Auch die Angehörigen von potentiellen Spendern nimmt die Orientierungshilfe in den Blick. Hier fordern die Bischöfe, Fragen nach einer geistlichen Begleitung und die Sorge für die Angehörigen nicht auszuklammern. So sollten Familienmitglieder die Möglichkeit bekommen, vor und nach der Organspende vom Spender Abschied zu nehmen. Auch ein pietätvoller Umgang mit dem Leichnam dürfe nicht außer Acht gelassen werden.