Eine Ikone für alle Fälle
Die Franzosen ernannten ihn kurzerhand zu einem der Ihren. Die Nationalsozialisten machten ihn in den 1920ern und – 30ern zum Sachsenschlächter und als "Franzose" zum "natürlichen Feind des Deutschtums". Doch dann kam die plötzliche Wende und Adolf Hitler stilisierte ihn zu einer Art ur-deutscher Symbofigur. Und dieser Tage gilt er vielen als Ur-Europäer.
Heiligtumsfahrt als Höhepunkt
Der Todestag des berühmten Mittelalter-Monarchen jährt sich 2014 zum 1.200 Mal. Genauer gesagt: am 28. Januar. Für das Bistum Aachen ein willkommener Anlass zum Feiern. In der Krönungsstadt Karls des Großen sind über das Jahr verteilt eine ganze Reihe Festgottesdienste, Empfänge und Ausstellungen geplant, um dem Mythos gerecht zu werden. Die Feiern werden am Samstag mit einem Vesper-Gebet und Tags darauf mit einem Pontifikalamt im Dom eingeläutet.
Höhepunkt ist sicherlich die Heiligtumsfahrt im Sommer. Zwischen dem 20. und 29. Juni 2014 werden im Aachener Dom und in der ebenfalls 1.200 Jahre alten Abtei Kornelismünster die sogenannten Tuchreliquien ausgestellt. Der Überlieferung nach handelt es sich bei den Textilien im Aachener Dom um das Kleid Mariens aus der Heiligen Nacht, Windeln Jesu, sein Lendentuch und das Enthauptungstuch Johannes des Täufers. In Kornelimünster werden Schürztuch, Grabtuch und Schweißtuch Jesu verehrt. Kaiser Ludwig der Fromme schenkte der Abtei die drei Heiligtümer aus dem Aachener Reliquienschatz.
Und die Projektionen? Der Frankfurter Mittelalter-Historiker Johannes Fried beklagt, dass die Bedeutung des Karolingers heute weithin vergessen sei. Dass man Karl, dem erst um das Jahr 1.000 der Beiname "der Große" zugesprochen wurde, nach dem Zweiten Weltkrieg zum Gründervater Europas erkoren habe, sei unhistorisch. Karl war Franke - und nicht Franzose, Deutscher oder Europäer.
Der falsche Papst
Und Papst Paschalis III., der Karl den Großen heiliggesprochen hatte, musste schon zwölf Jahre später Abbitte leisten: Als sich nach dem Konzil 1159 zwei Päpste um die rechtmäßige Nachfolge Petri stritten, zog er gegen Alexander III. den kürzeren und galt fortan als Gegenpapst. Er musste vor seinem Gegenspieler in Venedig auf die Knie fallen und einräumen, dass er seit bald 20 Jahren mit der Kirche im Schisma gelebt habe. Die Heiligsprechung Karls wurde seitens der katholischen Kirche weder offiziell bestätigt noch zurückgenommen.
Und das Bild des Sachsenschlächters? Karl regierte über vier Jahrzehnte, und fast ununterbrochen führte er Kriege. Im Süden kämpfte er mit dem Papst gegen die Langobarden und verleibte sich deren Königstitel ein. An der Westgrenze schlug Karl nach Feldzügen über die Pyrenäen die dort ansässigen Mauren. Am längsten boten die Sachsen, die sich vehement der Christianisierung widersetzten, dem Frankenkönig die Stirn. Die Historiker sind sich einig, dass Karl der Große bei den Feldzügen nicht gerade zimperlich vorgegangen ist. Berüchtigt ist das sogenannte Blutgericht von Verden aus dem Jahr 782, bei dem angeblich 4.500 sächsische Adelige hingerichtet wurden. Viele Historiker halten diese Zahl jedoch für übertrieben und überwiegend politisch motiviert – entweder um andere Völker vor etwaigen Aufständen abzuschrecken oder Karl den Großen bewusst als Scheusal darzustellen. (mir/KNA)