Eine kleine Enttäuschung
Zwar hat Franziskus wie bei seinen bisherigen Reisen versucht, den Spagat zwischen geistlicher Erbauung der Gläubigen vor Ort und gezielter Gesellschaftskritik zu schaffen. Dennoch hatte seine Kuba-Visite, die am Dienstagabend deutscher Zeit zu Ende ging, weniger religiöse Strahlkraft als beispielsweise die Reise ins Heilige Land, war weniger emotional als der Besuch auf den Philippinen und mit weniger politischen Mahnworten gespickt als die Auftritte in der Türkei.
Nicht so emotional wie gewohnt
Denn auch wenn Franziskus auf Kuba Ideologien wie den Kommunismus kritisierte, weil man "nicht Ideen, sondern den Menschen dienen" solle, wirkten die Worte doch etwas zu mild und nicht so emotional wie gewohnt. Hinzu kam, dass den Worten vielleicht die falschen Taten folgten. So traf sich der Papst nicht mit den zahlreichen Regimekritikern, dafür aber mit dem ehemaligen Revolutionsführer Fidel Castro, der ganz unkommunistisch mit blauer Markentrainingsjacke daher kam.
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Die Dissidenten wurden Medienberichten zufolge von einem Treffen mit dem Papst ferngehalten und teilweise inhaftiert. Vatikansprecher Federico Lombardi bestätigte, dass Franziskus vergeblich versucht hatte, sich mit ihnen zu treffen. Über die genauen Gründe wisse man aber nichts, hieß es. Ein Rückschlag für alle, die dachten, dass für diesen Heiligen Vater nichts unmöglich sei. Das kubakritische Portal "Diario de Cuba" sprach davon, dass der Vatikan sich davor drücke, "über Verhaftungen von Oppositionellen während der Papstreise zu sprechen".
Bei der christlichen Oppositionspartei "Movimiento Cristiano Liberacion" hatte man wohl ein ähnliches Gefühl. Sie forderte Franziskus in einer Erklärung auf, für den Schutz der politisch Verfolgten einzutreten und beklagte eine "Welle der Unterdrückung" angesichts des Papstbesuchs. Besonders schwer wiegt, dass die Erklärung nicht im Vorfeld des Besuchs als Wunsch formuliert worden war. Die Partei veröffentlichte sie erst am Montag, als der Papst bereits seinen dritten Tag auf dem karibischen Inselstaat verbrachte, und drückte so ihre konkrete Enttäuschung über den bisherigen Verlauf des Besuchs aus.
Der Oppositionspolitiker Jose Daniel Ferrer sagte der in Miami erscheinenden Tageszeitung "El nuevo Herald" nach der Abreise des Papstes, dass Franziskus "selbst in seinen besten Momenten viel zu halbherzig, doppeldeutig und wenig direkt gewesen" sei. Insgesamt beklagten die Dissidenten, die katholische Kirche habe die kommunistische Diktatur damit faktisch anerkannt.
Repressionen gegen die Kirche
Weitaus mehr Punkte konnte Franziskus dagegen auf unpolitischem Terrain einfahren. Wie immer waren die Papstmessen gut besucht – und das, obwohl die Institution Kirche wie auch die Gläubigen auf Kuba noch immer staatlichen Repressionen ausgesetzt sind. Die Gottesdienstteilnehmer und Passanten äußerten sich durchweg positiv. "Der Papst kommt als Freund Kubas. Er steht auf unserer Seite", sagte eine Kubanerin mit Tränen in den Augen. Bei seinem Besuch des nationalen Marienheiligtums betete der Papst für Versöhnung und eine brüderliche Gesellschaft. Die Jugendlichen im Land rief er dazu auf, ihre Träume und Hoffnungen zu verwirklichen. Und vor den Priestern und Ordensleuten plädierte er für eine arme und barmherzige Kirche.
Ab und an äußerte der Papst zwischen den Zeilen dann doch Kritik. So warnte er vor einer Vereinnahmung christlicher Werte durch politische Ideologie, forderte mehr Freiheit für die Kirche in Kuba und verurteilte "Cliquenwirtschaft und elitäres Verhalten". Seine bevorstehende USA-Reise dürfte sich der Papst aber dennoch erschwert haben. Zwar freuen sich laut einer aktuellen CNN-Umfrage knapp die Hälfte aller US-Amerikaner und 78 Prozent der US-Katholiken auf den Besuch. Der Ton – gerade von konservativen Politikern im Land – wird aber rauer. Auch unter den Katholiken.
Die Papstreise live im Stream
Katholisch.de überträgt die öffentlichen Auftritte von Papst Franziskus in den USA live Stream. In unserer Live-Übersicht finden Sie die Sendetermine.Unter anderem hatte der republikanische Gouverneur von New Jersey, Chris Christie, die Kuba-Politik des Vatikan kritisiert. Der Papst sei in politischen Fragen nicht unfehlbar, sagte er am vergangenen Wochenende in einem Interview des Fernsehsenders CNN. Christie bezog sich auf einen Appell des Papstes, der die Verantwortlichen zu Beginn seiner Kuba-Reise dazu aufgerufen hatte, den Weg der Annäherung weiter zu verfolgen. Ähnlich hatte sich auch der Republikaner Marco Rubio geäußert, dessen Eltern als Wirtschaftsmigranten vor der kubanischen Revolution in die USA kamen. Franziskus versuche, beide Seiten in wirtschaftlichen und geopolitischen Fragen zusammen zu bringen, was er durchaus respektiere, so Rubio. Er hoffe jedoch, dass der Papst auch Menschen- und Freiheitsrechte ansprechen werde.
Wurde bereits vorher gemutmaßt, dass der Kapitalismuskritiker Franziskus wenn schon kein Marxist, dann doch zumindest ein Sozialdemokrat ist, könnte sich der Eindruck zumindest bei den weniger liberalen US-Bürgern verfestigt haben. Zumal der Kubanische Staatschef Raul Castro in seiner Begrüßungsrede mehrfach Franziskus zitierte, um damit einen radikalen Wandel des westlichen Lebensstils und des Produktions- und Konsumverhaltens zu fordern. Nach dem Erscheinen der Papst-Enzyklika "Laudato si" ist das der nächste Nackenschlag für die kapitalistische Supermacht.
Themenseite: Enzyklika "Laudato si"
Am 18. Juni 2015 wurde die Enzyklika "Laudato si" von Papst Franziskus veröffentlicht. Sie beschäftigt sich vorrangig mit ökologischen Fragen. Katholisch.de hat alles Wichtige rund um das Schreiben zusammengestellt.Gibt Franziskus in den USA seine Zurückhaltung auf?
Es bleibt abzuwarten, ob sich Franziskus bei seinem Besuch in den USA ähnlich zurückhaltend gibt wie jetzt auf Kuba. Programmpunkte, bei denen er sich deutlich positionieren könnte, gibt es jedenfalls genug; zum Beispiel seine Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen am Freitag. Experten erwarten, dass er dort noch einmal auf seine Enzyklika verweisen wird, um mit deutlichem Ton die globalen Umweltprobleme und sozialen Ungerechtigkeiten anzuprangern. Zumal in New York am selben Tag der UN-Nachhaltigkeitsgipfel beginnt, bei dem es um die Entwicklungsziele der kommenden Jahrzehnte geht.
Zum kircheninternen Kräftemessen könnte es dagegen beim katholischen Weltfamilientreffen in Philadelphia kommen, an dem am Wochenende neben dem Papst auch zahlreiche Bischöfe aus aller Welt teilnehmen werden. Jedes Wort von Franziskus – egal in welche Richtung – dürfte dann als Wegweiser für die Anfang Oktober beginnende Bischofssynode zum Thema Ehe und Familie im Vatikan gedeutet werden.