Eine kleine Sensation
Auch für ihre Gemeinden in der Diaspora gilt künftig keine Zölibatspflicht mehr, soweit dort eigene ostkirchliche Strukturen bestehen. Die neue Regelung soll der Migration und den Flüchtlingsströmen von Christen aus Nahost nach Europa, Amerika und Australien Rechnung tragen. Denn ein beachtlicher Teil der rund 20 Millionen "Unierten" aus den 23 verschiedenen ostkirchlichen Riten hat inzwischen seine Stammlande verlassen.
Die von der vatikanischen Ostkirchenkongregation verbreiteten "Päpstlichen Anordnungen für den verheirateten orientalischen Klerus" trägt zwar das Datum vom 14. Juni. Sie wurden damals jedoch nicht veröffentlicht. Erst mit der Aufnahme ins Amtsblatt des Heiligen Stuhls, die meist mit sechsmonatiger Verzögerung erscheinenden und medial kaum beachteten "Acta Apostolicae Sedis" (AAS), wurden sie jetzt publik. Der Vatikan wählt mitunter diesen Weg, wenn er Vorgänge nicht an die große Glocke hängen, sondern eher beiläufig in Kraft setzen will.
Franziskus entsprach der Bitte etwas überraschend
Bei ihrer Vollversammlung im November 2013 hatte die Ostkirchenkongregation den Papst gebeten, die Möglichkeit zur Priesterweihe für verheiratete Männer über die klassischen "Territorien" hinaus auszuweiten. Franziskus entsprach dieser Bitte ein halbes Jahr später - und vielleicht auch etwas überraschend. Denn noch 2008 hatte die Kongregation nach einer ähnlichen Diskussion die Zölibatspflicht, wie sie für Priester des lateinischen Ritus gilt, für die Ostkirchen in der Diaspora bekräftigt.
Allerdings modifizierte Papst Franziskus sein Plazet. Nur in Regionen mit eigener ostkirchlicher Struktur haben deren Leiter das Recht zur Priesterweihe von Verheirateten. Das gilt also für die bestehenden Metropolien, Eparchien oder Exarchate der katholischen Chaldäer, der Maroniten, Melkiten oder Ukrainer in Amerika oder Europa. In München etwa gibt es ein eigenes Exarchat für die unierten Ukrainer in Deutschland und Skandinavien. Allerdings muss der Exarch vor der Weihe eines verheirateten Ukrainers den für dessen Wohnort zuständigen lateinische Bischof informieren und sich über den Kandidaten erkundigen.
Bei fehlender Hierarchie sind die Hauptstadt-Kardinäle zuständig
In ostkirchlichen Ordinariaten ohne eigene Hierarchie geht diese Vollmacht an den zuständigen Ordinarius über. Das gilt etwa für Österreich oder Frankreich, wo die Hauptstadt-Kardinäle Christoph Schönborn oder Andre Vingt-Trois zugleich auch für die Unierten ihres Landes zuständig sind. Dies galt früher auch für Jorge Mario Bergoglio in Argentinien vor seiner Papstwahl. Sie können nach konkreter Information ihrer jeweiligen Bischofskonferenz und des Vatikan auch verheiratete Kandidaten weihen.
In Gebieten, wo Katholiken des östlichen Ritus keine eigene Kirchenstruktur haben und von den lateinischen Ortsbischöfen mitbetreut werden - etwa in Deutschland (mit Ausnahme der Ukrainer) -, gilt diese Sonderregelung nicht. Zuständig bleibt dann die Ostkirchenkongregation, die in konkreten Ausnahmefällen nach Abstimmung mit der jeweiligen Bischofskonferenz entscheidet.
Die Diskussion um die Tätigkeit verheirateter unierter Geistlicher im Westen begann Ende des 19. Jahrhunderts. Als Tausende unierte Ruthenen aus ihren osteuropäischen Stammlanden in die USA auswanderten, lösten ihre verheirateten Priester Protest der lateinischen Bischöfe aus. Daraufhin verbot der Vatikan 1890 verheirateten ruthenischen Geistlichen, sich in den USA niederzulassen.
Das Verbot wurde bald auf Kanada und dann auf alle Unierten ausgeweitet. Das Sonderrecht der ostkirchlichen Klerikerheirat sollte auf die Stammlande beschränkt bleiben. Ausnahmegenehmigungen für Einzelfälle gab es aber immer wieder. Doch spätestens das Dekret "Anglicanorum coetibus" Benedikts XVI. warf die Frage mit neuen Aspekten auf. Das Dokument von 2009 ermöglicht übertrittswilligen anglikanischen Geistlichen in bestimmten Fällen eine Priestertätigkeit in der katholischen Kirche - auch wenn sie verheiratet sind.
Von Johannes Schidelko