Prälat Karl Jüsten zum Wohnungsbau für Flüchtlinge

"Eine ureigene Aufgabe der Kirche"

Veröffentlicht am 27.12.2015 um 17:45 Uhr – Von Gregor Krumpholz und Birgit Wilke (KNA) – Lesedauer: 
"Eine ureigene Aufgabe der Kirche"
Bild: © KNA
Flüchtlinge

Berlin  ‐ Flüchtlingen ein Dach über den Kopf geben: Für den bundespolitischen Vertreter der Bischofskonferenz, Karl Jüsten, gehört das zu den "ureigenen Aufgaben" der Kirche. Im Interview verweist er auf Vorzeigeprojekte - und rät zu noch mehr Engagement.

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Frage: Herr Prälat, schon in der Weihnachtsgeschichte heißt es, dass in der Herberge kein Platz war. Da denkt man besonders in diesem Jahr natürlich an Flüchtlinge. Wie kann die Kirche ihnen bei der "Herbergssuche" helfen?

Jüsten: Sich um das Wohlergehen von Flüchtlingen zu sorgen, gehört zu den ureigenen Aufgaben der Kirche. Zu diesem Zweck haben zahlreiche Bistümer nach dem Zweiten Weltkrieg Siedlungswerke gegründet, die den Auftrag erhalten haben, bezahlbaren Wohnraum für Flüchtlinge, Familien und Bedürftige zu schaffen. Auch die erste Katholikentags-Kollekte nach dem Krieg wurde für die Unterstützung von Flüchtlingen und deren Unterbringung erbeten. Diesem Erbe fühlen wir uns verpflichtet.

Dementsprechend waren die Siedlungswerke in den Jahrzehnten nach dem Wiederaufbau immer auch im sozialen Wohnungsbau aktiv. Ihre Aktivitäten, bezahlbaren und preisgebundenen Wohnraum für Flüchtlinge und finanzschwache Haushalte gleichermaßen zu schaffen, sollten die kirchlichen Siedlungswerke angesichts der aktuellen Herausforderungen wieder verstärken. Nach Gesprächen mit unseren Bischöfen weiß ich, dass es ihnen auch eine Herzensangelegenheit ist, die Siedlungswerke bei dieser Aufgabe zu unterstützen.

Frage: Was heißt das? Sind nun die Diözesen gefordert, oder können auch die Gemeinden vor Ort helfen?

Jüsten: Es gibt zahlreiche Beispiele aus allen Diözesen, wie Flüchtlingen vor Ort in den Gemeinden mit Wohnraum geholfen wird. Das gilt übrigens auch für die Ordensgemeinschaften. Neben kurzfristigen Angeboten gibt es langfristig angelegte Projekte, in denen die Gemeinden Umstrukturierungen nutzen, Wohnraum im Quartier zu gewinnen, der auch für soziale Zwecke zur Verfügung gestellt werden kann. Auf diese Weise könnten auch Flüchtlinge und ihre Familien von Anfang an integriert untergebracht werden.

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Video: © Diözese Rottenburg-Stuttgart

Bischof Gebhard Fürst öffnet die Tore eines Kloster für Flüchtlinge aus Afrika.

Frage: Was geschieht konkret?

Jüsten: Viele kirchliche Siedlungswerke bieten den Gemeinden Hilfestellung bei der Planung und Durchführung an. Leider klappt es nicht überall reibungslos. Aber es gibt gute Beispiele, wie die abgeschlossene Neuordnung des Areals der Gemeinde Sankt Ludwig in Nürnberg mit der Umnutzung einer Kirche und Errichtung neuer Wohnungen durch die Joseph-Stiftung sowie die Beschäftigung sozialer Dienste im Quartier. Ferner ist das auf einem Kirchengrundstück in Planung befindliche Wohnquartier Sankt Vinzenz-Pallotti in Stuttgart-Birkach zu erwähnen, wo die Diözese Rottenburg-Stuttgart mit dem Siedlungswerk Stuttgart und der Kirchengemeinde einen gemeinsamen Weg geht und ein Quartier mit Sozialwohnungen, Flüchtlingswohngruppen, Eigentumswohnungen und Familienzentrum entsteht. Im Bistum Eichstätt haben schon mehrere Gemeinden Vereinbarungen mit dem dortigen Sankt Gundekar-Werk getroffen, um Flächen für den geförderten Mietwohnungsneubau im Zuge der Erbpacht zur Verfügung zu stellen.

Da ist sicher noch mehr möglich. Entscheidend ist natürlich die Bereitschaft, kirchliche Grundstücke für diese Zwecke zur Verfügung zu stellen. Auch müssen alle Beteiligten - also auch die Kommunen - mit möglichst unbürokratischen Verfahren schnell zu Abschlüssen kommen.

Frage: Was ist denn mit bestehenden Wohnungen in den Gemeinden?

Jüsten: Es gibt Kirchengemeinden und Diözesen, die ihren ganzen Immobilienstand durchforstet haben. Sie haben leerstehende Pfarrhäuser oder -heime, Krankenhäuser und Altenheime zur Verfügung gestellt, vereinzelt sogar Kirchen, die nicht mehr genutzt werden. Da haben Hauptamtliche und Gemeindemitglieder sehr viel geleistet und die Wohnungen teilweise sogar selbst hergerichtet.

Themenseite: Auf der Flucht

Ob Naturkatastrophen, Armut oder Terror: Täglich verlassen Menschen ihre Heimat, um anderswo ein neues, ein besseres Leben zu beginnen. Die Flüchtlinge kommen auch nach Deutschland. Das bedeutet eine große Herausforderung für Politik, Gesellschaft und Kirche.

Frage: Papst Franziskus hat vor einigen Monaten gesagt, dass jede Pfarrei eine Flüchtlingsfamilie aufnehmen soll - etwa in leerstehenden Pfarrerswohnungen. Ist das Ihrer Einschätzung nach gelungen?

Jüsten: Die katholische Kirche ist da ein Flickenteppich, deswegen gibt es auch keine zentrale Erfassung. Aber nach meinen Rückmeldungen ist der Wunsch des Papstes bei weitem übererfüllt. Da kann der Heilige Vater den Deutschen mal auf die Schulter klopfen. Bei unserer Bereitschaft kam uns aber auch viel Unterstützung aus der Politik zugute. So verdoppelte Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) etwa die jährlichen Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau auf gut eine Milliarde Euro im Jahr, und zahlreiche Bundesländer haben Programme zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus mit Tilgungszuschuss aufgelegt.  

Frage: Die Unterbringung ist das eine. Gibt es Konzepte, wie die Flüchtlinge weiter unterstützt werden?

Jüsten: Ja, es gibt eingespielte Verfahren etwa mit der Caritas oder anderen katholischen Sozialverbänden, die die Flüchtlinge auch weiter mit Fachkräften und Ehrenamtlichen begleiten, wenn diese eigenen Wohnraum gefunden haben. Die Menschen sollen hier ankommen, die Sprache lernen, die Kinder müssen in Kindergärten und Schulen integriert werden. Dabei helfen ihnen auch kirchliche Mitarbeiter und viele Ehrenamtliche aus den Gemeinden.

Ein gutes Beispiel für die Integration von Migranten ist das Wohnprojekt in der Harzer Straße in Berlin-Neukölln. Dort wohnen Roma-Familien. Die Wohnungen waren total heruntergekommen, bis die Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft sie übernahm und sich von Beginn an auch um die Menschen kümmerte. Inzwischen kommen sogar kommunale Vertreter von außerhalb, erkundigen sich nach diesem Projekt und wollen ähnliche mit uns an anderen Orten realisieren.

Von Gregor Krumpholz und Birgit Wilke (KNA)