Seit 20 Jahren kämpft ein Kirchenmusiker gegen seine Kündigung

Von der Orgel in den Gerichtssaal

Veröffentlicht am 20.10.2017 um 13:35 Uhr – Lesedauer: 
Kirchliches Arbeitsrecht

Bonn ‐ Bernhard Schüth führt seit 20 Jahren Prozesse gegen die Kirche, seine ehemalige Arbeitgeberin – über alle Instanzen. Der Organist wurde entlassen, nachdem er eine neue Partnerschaft einging. Beim jüngsten Prozess ist es nun zu einer interessanten Wendung gekommen.

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"Verschaff mir Recht, o Herr; denn ich habe ohne Schuld gelebt. Dem Herrn habe ich vertraut, ohne zu wanken." – Die Worte des Psalms 26 könnte der Organist Bernhard Schüth wohl jederzeit auf der Orgel von St. Lambertus in Essen begleiten. Allein: Er darf nicht. Als Kirchenmusiker hatte ihm die Gemeinde 1997 gekündigt. Schüth hatte sich von seiner Ehefrau getrennt, mit einer neuen Partnerin ein Kind bekommen. Nach der "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" ein Kündigungsgrund: "Von den katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird erwartet, daß sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten", heißt es in der damals gültigen Fassung von 1993. Insbesondere von Mitarbeitern, die in ihrem Dienst eine größere Nähe zum Verkündigungsauftrag der Kirche haben, wird ein persönliches Lebenszeugnis im Sinne der Werte der Kirche erwartet.

Ein klärendes Gespräch zwischen dem Dienstgeber und dem Kirchenmusiker, wie es die Grundordnung vorsah, fand statt. Doch Schüth blieb bei seiner Partnerin und dem Kind, die Gemeinde bestand auf der Kündigung – und ein Rechtsstreit begann, der bis heute dauert und über alle Instanzen und Ebenen ausgetragen wurde. Stets an Schüths Seite ist seine neue Partnerin: Die Rechtsanwältin vertritt ihn rechtlich; durch die Instanzen hat sie sich den Ruf einer hervorragenden Kennerin der schwierigen Materie des kirchlichen Arbeitsrechts erarbeitet. Ihre Kanzlei soll, so ist aus den Medien zu entnehmen, noch weitere ähnlich gelagerte Fälle bearbeiten.

Durch alle Instanzen und zurück

Die Aufzählung der Etappen ist lang: vom Arbeitsgericht Essen über das Landesarbeitsgericht Düsseldorf zum Bundesarbeitsgericht, zurück zum Landesarbeitsgericht, das 2000 gegen den Organisten entscheidet. Schüth erhebt erfolglos Verfassungsbeschwerde dagegen, dass das Bundesarbeitsgericht keine weitere Verhandlung zulässt. Normale Prozesse wären an dieser Stelle zu Ende. Dieser nicht: Schüth erhebt beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Individualbeschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland.

Bernhard Schüth und seine Rechtsanwältin und Partnerin Ulrike Muhr
Bild: ©dpa/Rene Tillmann

Bernhard Schüth und seine Rechtsanwältin und Partnerin Ulrike Muhr. Seit mittlerweile 20 Jahren führen sie Prozesse wegen der Entlassung des Kirchenmusikers.

Vor diesem Gericht hat er Erfolg: 2010 stellt es einen Verstoß gegen den Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention fest, in dem das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens festgeschrieben ist. Die deutschen Gerichte hätten nicht sorgfältig genug abgewogen, ob die Tätigkeit eines Kirchenmusikers so nah am Verkündigungsauftrag der Kirche ist, dass die Kündigung gerechtfertigt sei. Ein weiterer Teilerfolg: 2012 erkennt das europäische Gericht Schüth eine Entschädigung von 40.000 Euro zu.

Auch über Europa keine Wiedereinstellung

Der versucht nun, doch noch in Deutschland Recht zu bekommen. Nach wie vor will er in St. Lambertus an die Orgel. Er selbst hatte sich während seiner Dienstzeit dafür eingesetzt, dass das Instrument des renommierten niederländischen Orgelbauers Flentrop angeschafft wurde. Heute hört er sie nur noch, wenn er Konzerte in der Kirche besucht.

Doch auch, nachdem der Europäische Gerichtshof der deutschen Justiz ins Stammbuch geschrieben hatte, sorgfältiger abzuwägen: Sein Fall gilt nach deutschem Recht als "Altfall" und kann nicht wieder neu aufgenommen werden. Auch der nächste Zug durch die Instanzen – Landesarbeitsgericht, Bundesarbeitsgericht, Bundesverfassungsgericht – blieb so erfolglos.

Seit der Kündigung ist viel passiert: Schüth arbeitet wieder als Organist, halbtags für die evangelische Kirche. Und die Deutsche Bischofskonferenz hat 2015 ihre Grundordnung für den kirchlichen Dienst reformiert. Eine Wiederheirat nach Scheidung ist für die meisten Mitarbeiter nun kein absoluter Kündigungsgrund mehr. Das von Schüth erstrittene europäische Urteil wurde in der Kirche aufmerksam gelesen. Wieder einstellen will die Gemeinde ihren ehemaligen Organisten trotzdem nicht.

Justiz fragt Kirche

Stattdessen stehen die Gemeinde und ihr Ex-Organist nun wieder vor dem Arbeitsgericht: Statt auf Wiedereinstellung klagt Schüth nun auf Schadensersatz; in den mittlerweile 20 Jahren seit der Kündigung ist aus Sicht des Klägers einiges zusammengekommen: entgangenes Gehalt und Rentenansprüche summieren sich zu einem sechsstelligen Betrag.

Linktipp: "Kluges Vorgehen"

Religionsverfassungsrechtler Hinnerk Wißmann erklärt, was aus juristischer Sicht die entscheidende Modernisierung im neuen kirchlichen Arbeitsrecht darstellt. (Interview vom 7. 5. 2015)

Für die Entscheidung braucht das Gericht aber Informationen von der Kirche selbst. Die Frage, welche Tätigkeiten zum Verkündigungsauftrag gehören und welche nicht, kann ein Gericht von außen nicht beantworten: Theologische Fragen müssen die Kirchen selbst klären. "Zweifel über den Inhalt der Maßstäbe der verfassten Kirche", so teilt das Landesarbeitsgericht mit, müssten die Gerichte durch Fragen bei den Kirchen klären. Und so haben die Richter die Bischofskonferenz um eine Stellungnahme gebeten. Die soll ihnen nun  mitteilen, ob es für die Kirche wirklich zwingend war, die neue Beziehung Schüths auch ohne Wiederheirat als "kirchenrechtliche Verfehlung" zu beurteilen, die eine Kündigung rechtfertigt. Auch die Frage nach der Nähe der Tätigkeit eines Organisten zum Verkündigungsauftrag soll beantwortet werden.

Wie es im endlosen Rechtsstreit zwischen Organist und Kirche nun weitergeht, liegt jetzt wesentlich in den Händen der Kirche selbst. Dort ist die Frage aber noch gar nicht offiziell auf dem Tisch: Laut Informationen des Katholischen Büros in Berlin und der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn ist dort bisher nur die Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts bekannt. Der Leiter der Tübinger Forschungsstelle für kirchliches Arbeitsrecht, Professor Hermann Reichold, rechnet nicht mit einer Überraschung bei der Antwort: Auch wenn die Kündigung nach der heute geltenden Grundordnung eventuell anders zu bewerten wäre – relevant ist die alte Fassung. Und mit der als Rechtsgrundlage geht er davon aus, dass die Fragen "sicherlich dahingehend beantwortet werden, dass es damals 'keineswegs unvertretbar' war, so wie geschehen zu argumentieren und zur Kündigung zu schreiten", so der Professor für Arbeits- und Wirtschaftsrecht gegenüber katholisch.de. "Verschaff mir Recht, o Herr; denn ich habe ohne Schuld gelebt. Dem Herrn habe ich vertraut, ohne zu wanken." Das Gottvertrauen des Psalmisten kann Bernhard Schüth weiter gut gebrauchen.

Von Felix Neumann