Kriminelle haben es auf britische Gotteshäuser abgesehen

Englands Kirchendächer in Gefahr

Veröffentlicht am 16.10.2015 um 00:01 Uhr – Von Alexander Pitz (KNA)  – Lesedauer: 
Großbritannien

London ‐ Sie schlagen nachts zu und hinterlassen Schäden von vielen tausend Euro: Hoch spezialisierte Diebe stehlen englischen Kirchengemeinden buchstäblich die Dächer vom Kopf. Allein in diesem Jahr gab es schon Hunderte Fälle. Abgesehen haben es die Täter auf das wertvolle Blei.

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Saint Peter's and Saint Paul's ist eine von neun Kirchen in der beschaulichen englischen Grafschaft Suffolk, denen in den vergangenen sechs Wochen das Dach gestohlen wurde. Nach Angaben der Versicherungsgesellschaft Ecclesiastical Insurance, bei der fast alle Gotteshäuser Englands versichert sind, gab es 2015 landesweit schon mehr als 200 solcher Fälle. "Wir beobachten mit Sorge, dass der Bleidiebstahl zunimmt", sagte ein Unternehmenssprecher.

Einzelnen Kirchen droht die Schließung

Noch größer ist die Sorge in den betroffenen Gemeinden. Der Dachschaden beträgt umgerechnet oft mehr als 100.000 Euro pro Einzelfall. Die Versicherung übernimmt aber lediglich 10.000 Euro. Mehr wird nur dann gezahlt, wenn das Gebäude umfassend alarmgesichert war. Dafür jedoch reicht das Budget meist nicht aus. "Wir sind nun gezwungen, große Geldsummen aufzutreiben, um das gestohlene Material zu ersetzen", sagte Martin Seeley, Bischof von Saint Edmundsbury und Ipswich. Einzelnen Kirchen droht gar die Schließung.

Doch wer ist für die eigentümliche Diebstahlserie verantwortlich? Die Polizei in Suffolk geht davon aus, dass es sich um organisierte Kriminalität handelt. Mehrere Banden hätten sich auf abgelegene, aber verkehrstechnisch gut erreichbare Kirchen spezialisiert. Potenzielle Ziele würden durch Luftaufnahmen identifiziert, die man etwa mit dem Programm "Google Earth" abrufen könne. Vermutlich kämen auch Kamera-Drohnen zum Einsatz, um die Gotteshäuser näher zu inspizieren. Die Beute, mutmaßt die Polizei, werde ins Ausland verschifft. An der Londoner Metallbörse ist eine Tonne Blei derzeit rund 1.300 Euro wert.

Linktipp: Pfarrer beschützt seine Kirche im Schlaf

Zweimal hatten Kriminelle versucht, wertvolles Metall vom Dach einer englischen Pfarrkirche zu stehlen. Jetzt greift der Pfarrer zu außergewöhnlichen Maßnahmen: Seit Wochen schläft er in der Kirche, um Diebe abzuschrecken.

Trotz all dieser Erkenntnisse gelang es der Polizei bislang nicht, nennenswerte Fahndungserfolge zu erzielen. Mancherorts regt sich deshalb bereits Unmut gegen die Behörden. Ein ostenglischer Kirchenführer beschwerte sich in der britischen Tageszeitung "The Guardian" anonym über die Arbeit der Polizei. Sie sei nachlässig bei den Ermittlungen und habe sich geweigert, die Spurensicherung zu schicken, um die Dächer untersuchen zu lassen. "Es hat eine Ewigkeit gedauert, bis überhaupt jemand bereit war, sich der Sache zu anzunehmen", so der Kirchenmann. "Die Polizei könnte kaum weniger Interesse zeigen."

Wird ein Hilfsfonds für die Kirchen aufgelegt?

Englands Sicherheitsexperten sind derweil überrascht über die zunehmenden Übergriffe auf Kirchen. Zwar gab es Fälle von Metalldiebstahl schon in früheren Jahren, doch mit Hilfe eines neuen Gesetzes war es 2012 gelungen, die Zahlen deutlich zu reduzieren. Seither benötigen Altmetall-Händler eine spezielle Lizenz, um legal ihren Geschäften nachgehen zu können. Zudem wurden Barzahlungen in der Branche verboten. Doch das beeindruckt die Kriminellen offenbar immer weniger.

Etliche Politiker fordern die Regierung daher auf, einen Hilfsfonds für die Kirchen aufzulegen. "Ohne eine angemessene Unterstützung bei der Reparatur werden die historischen Gebäude sonst verfallen", sagte der konservative Parlamentsabgeordnete Matt Hancock. Ob es dazu kommt, ist ungewiss. Polizei, Kirchenführer, Sicherheitsexperten, und Versicherungsunternehmer wollen noch in diesem Monat über das weitere Vorgehen beraten.

Mehr Gottesdienstbesucher

Pfarrer Stephen Earl aus Lavenham verfolgt die weitere Entwicklung mit Gelassenheit. Mittlerweile könne er dem Dachdiebstahl auch "positive Effekte" abgewinnen. "Seit dem Vorfall kommen am Sonntag Leute in den Gottesdienst, die vorher nicht gekommen sind", so der Geistliche. Er ist überzeugt: "Diese scheinbar dunkle Wolke, die über uns gekommen ist, hat auch strahlend helle Seiten."

Von Alexander Pitz (KNA)