"Woche für das Leben" wirbt für ein "Alter in Würde"

Potenzial bis zum Schluss

Veröffentlicht am 05.04.2016 um 12:01 Uhr – Von Angelika Prauß (KNA) – Lesedauer: 
Gesellschaft

Bonn ‐ Vergesslich, gebrechlich, auf Hilfe angewiesen - oft dominiert diese negative Sicht auf Senioren. Die ökumenische "Woche für das Leben" will den Blick weiten auf die wertvollen Ressourcen alter Menschen und wirbt für ein "Alter in Würde".

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Für den Heidelberger Gerontologen Andreas Krause ist Bach ein Musterbeispiel für seelische und geistige Stärken trotz starker körperlicher Einschränkungen. Nicht nur Krause will Mut machen, das hohe Alter anzunehmen und mit Leben zu füllen. Auch die bundesweite ökumenische "Woche für das Leben" wirbt in diesem Jahr für Lebensqualität bis ins hohe Alter und dafür, neben den Herausforderungen auch die Ressourcen alter Menschen zu sehen.

Blick auf die "vierte Lebensphase"

Unter dem Motto "Alter in Würde" lenkt sie vom 9. bis 16. April den Blick auf die sogenannte vierte Lebensphase, also ab dem neunten Lebensjahrzehnt. Die Aktionswoche möchte "zur Gestaltung der Jahre im hohen Lebensalter" animieren, wie der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirchen in Deutschland, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, im Vorwort des Themenheftes zur aktuellen Aktion schreiben. Die beiden Kirchenmänner verweisen darauf, dass sich die Kirchen in vielen ihrer Einrichtungen gerade um diese Zielgruppe kümmerten. Diese Sorge sei ein christliches Kernanliegen.

Linktipp: Alt und ausgegrenzt?

Wenige Appelle ziehen sich so sehr durch das Pontifikat von Franziskus wie diejenigen, mehr auf die alten Menschen zu achten. Folgerichtig trifft der Papst nun mit denen zusammen, über die er so viel predigt: Der päpstliche Familienrat hat zu einer großen Begegnung mit Senioren und Großeltern eingeladen. Rund 40.000 Menschen aus aller Welt wurden am Sonntagvormittag zu einem großen Treffen mit Gottesdienst auf dem Petersplatz erwartet. Der berühmteste unter den Betagten war Benedikt XVI. sein.

Gerontologe Krause verweist dabei darauf, dass Senioren nicht nur über ihre Defizite, das Bewusstsein um die eigene Endlichkeit und Vergänglichkeit reduziert werden dürften. Gerade bei hochbetagten Menschen treten nach seiner Beobachtung zugleich "seelische und geistige Qualitäten" zutage, "die die Verletzlichkeitsperspektive um eine Entwicklungsperspektive" erweitere. Bei vielen Senioren erlebe er eine erhöhte "Sensibilität für zentrale Lebens- und Sinnfragen". Diese Lebensphase sei oft gekennzeichnet von einer vertieften Auseinandersetzung mit sich selbst. Durch die gefühlte Nähe zum Tod ergebe sich "eine umfassendere Weltsicht", und es bilde sich eine "gelassenere Lebenseinstellung" heraus. Auch nehme Spiritualität, Anteilnahme am Leben anderer Menschen und Dankbarkeit im eigenen Erleben zu.

Doch was ist mit den rund 1,5 Millionen allein in Deutschland an Demenz erkrankten Menschen? Der Theologe Michael Coors und die Gesundheitsethikerin Andrea Dörries weisen darauf hin, dass die Würde des Menschen nicht an kognitive Fähigkeiten gekoppelt werden dürfe. Auch Menschen mit Demenz seien als Person zu behandeln. Die "Dramatik" der demenziellen Erkrankung liege aber  darin, "dass die Ich-Erzählungen einer Person nach und nach verstummen, weil diese Person sich immer weniger selbst erinnert und damit immer weniger über ihr eigenes Leben erzählen kann". Damit verschwinde aber nicht die Identität der Person.

Und auch die Fähigkeit, Emotionen zu empfinden und auszudrücken, bleibe bis zum Schluss erhalten. "Die personale Identität eines an Demenz erkrankten Menschen wird zunehmend durch die Erzählungen anderer bewahrt, ... die diese Person kannten und kennen", heißt es in der Arbeitshilfe zur Aktion. Für die beiden Kirchen ist klar, dass die Würde eines Menschen nicht von seinem Erscheinungsbild oder seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit abhängt, sondern auf der "Gottebenbildlichkeit und der Liebe Gottes zu allen Menschen" basiere. Daraus erwachse der Auftrag, auch Menschen in der vierten Lebensphase zu begleiten.

Bild: ©katholisch.de

Auch im hohen Alter kann man noch emutigende Quellen für das eigenen Leben zu finden.

Wie das gelingen kann, dazu führen die Kirchen im Begleitheft zur Aktion konkrete Beispiele auf. Unter dem sperrigen Namen "Sozialraumorientierte Netzwerke in der Altenhilfe" (SoNAh) des Caritasverbandes in der Diözese Mainz startete 2012 ein Projekt, das alte Menschen aktivieren möchte, "sich für das Zusammenleben im Wohnumfeld zu engagieren und ihr Know-how dafür zur Verfügung zu stellen". Es richtet sich an "eine neue Generation selbstbewusster und selbstbestimmter Senioren", die in den vergangenen Jahren herangewachsen sei. Inzwischen vermelden die Organisatoren weit über 100 Projekte mit insgesamt über 1.000 Unterstützern, die die soziale Infrastruktur "abwechslungsreicher, lebenswerter und interessanter" machen möchten - etwa durch Nachbarschaftsinitiativen und tragfähige Netzwerke. Im hessischen Rödermark haben sich Ehrenamtliche zum "Seniorenlotsen", einer Art Ansprechpartner in Alltagsfragen, ausbilden lassen.

Ermutigende Quellen für das eigenen Leben finden

Die Erzdiözese Freiburg lädt Senioren mit dem Projekt "Spurensuche - geistliche Wege älterer Menschen ermöglichen und begleiten" zu einem niederschwelligen spirituellen Angebot ein, sich einen Monat lang auf einen geistlichen Übungsweg zu begeben. Anhand von Lebensthemen im Alter werden dabei biblische Gestalten in den Blick genommen. Das Angebot versteht sich als Einladung, "ermutigende Quellen für das eigenen Leben zu finden".

Von Angelika Prauß (KNA)