Erfolgsgeschichte mit Skandal
Tatsächlich müsse man jedoch von einer sehr viel höheren Zahl ausgehen, da die Pfarrgemeinden viele Migranten nicht erfassen könnten, heißt es von Seiten der Nordischen Bischofskonferenz. Viele wollten auch aufgrund schlechter Vorerfahrungen mit den Behörden ihrer Heimatländer nicht offiziell erfasst sein.
In Schweden lag der Anteil der Katholiken nach offizieller Kirchenstatistik 2011 bei knapp ein Prozent, in Island bei drei Prozent und in der Diözese Oslo bei 2,6 Prozent. 1950 gab es in ganz Skandinavien überhaupt nur wenige tausend Katholiken. Der große Teil des kirchlichen Wachstums ist real - allerdings warf in der vergangenen Woche ein Skandal einen Schatten auf diese Erfolgsgeschichte.
Diasporakirche mit Chancen und Problemen
In der Diözese Oslo wurden die Listen eingetragener Katholiken von Pfarrgemeinden offenbar zum Teil auf Basis von Namen aus dem Telefonbuch erstellt. Wer katholisch klang, wurde katholisch. Nun müssen sich der Osloer Bischof Bernt Eidsvig und mehrere Mitarbeiter der Diözese wegen des Vorwurfs des Betrugs verantworten. Die Summe der Staatszuschüsse berechnet sich in Norwegen aus der Mitgliederzahl - und die müssen die Religionsgemeinschaften selbst ermitteln, ohne Unterstützung der staatlichen Behörden. Die Bischofskonferenz beteuert, dass kein Vorsatz vorlag.
Die Struktur der skandinavischen Gemeinden als wachsende Diasporakirche hat Vorteile: ein lebendiges Gemeindeleben mit viel Aufbruchstimmung zum Beispiel. Allerdings liegen auch die Probleme auf der Hand: fehlende Gebäude und Versammlungsräume, eine teils babylonische Sprachverwirrung, Geldmangel. "Wir sind eine arme Kirche in reichen Ländern", sagt die Generalsekretärin der Nordischen Bischofskonferenz, die Ordensfrau Anna Mirijam Kaschner. Viele Einwanderer könnten die freiwilligen Abgaben an die Kirchen nicht entrichten.
Auch gibt es fast überall einen Mangel an Seelsorgern, etwa für Litauer, Spanischsprachige und Katholiken ostkirchlicher Riten. Auch wo es Priester gibt, sind die Wege oft weit. "Die Priester fahren im Jahr nicht selten 150.000 Kilometer, um die Sakramente zu spenden", berichtet Generalsekretärin Kaschner. Die Entfernungen machen die Betreuung der Gemeinden schwer.
85 Prozent Ausländeranteil
Die katholische Kirche in Skandinavien hat einen durchschnittlichen Ausländeranteil von rund 85 Prozent. Das Durchschnittsalter ist niedrig. Die Integration von Zuwanderern vor allem aus Osteuropa und Irak stellt eine große Herausforderung dar. Viele der Katholiken sind auch aus Ländern in Afrika oder Asien geflüchtet, wie der Vorsitzende der Nordischen Bischofskonferenz, Bischof Anders Arborelius aus Stockholm, berichtet. "Die Kirche ist für sie eine Brücke in die Gesellschaft." Staatliche Stellen wüssten die Integrationsleistung der Kirchengemeinden inzwischen zu schätzen, so Arborelius.
Auch die Anzahl der Übertritte von protestantischen Freikirchen nimmt nach Angaben der Nordischen Bischofskonferenz deutlich zu. Zwar gehören rund 80 Prozent der Bevölkerung der protestantischen Kirche an, die in mehreren Ländern über Jahrhunderte Staatskirche war. Doch nur rund drei Prozent besuchen einen evangelischen Gottesdienst. Jährlich gab es zuletzt skandinavienweit rund 300 Konvertiten. Die wachsende katholische Kirche in Schweden kaufte der protestantischen zuletzt sogar Gotteshäuser ab.
In vielen Teilen Skandinaviens wurden in den vergangenen Jahren auch alte Pilgerfahrten wiederbelebt. Das norwegische Trondheim oder das schwedische Vadstena etwa empfingen zuletzt mehr Pilger als jemals sonst seit der Reformation im 16. Jahrhundert. Auch wurden zahlreiche Klöster neu gegründet und untergegangene Traditionen wieder mit Leben gefüllt. Auch die Sonntagsgottesdienste in den Gemeinden sind regelmäßig gut besucht. Solche Blüte ist echt, nicht aus dem Telefonbuch. Es bleibt zu hoffen, dass der Image-Schaden von Oslo keine gegenläufige Tendenz auslöst.
Von Alexander Brüggemann (KNA)