Erster unter Gleichen
Würde und Gelassenheit strahlt der 74-jährige Geistliche mit dem langen weißen Bart aus; beide Eigenschaften kann er gebrauchen. Als spirituelles Oberhaupt von rund 300 Millionen orthodoxen Christen in aller Welt ist Bartholomaios I. zugleich Bürger eines zu 99 Prozent muslimischen Staates, der seiner christlichen Minderheit misstraut.
Patriarchat seit 1.700 Jahren in Istanbul
"Erster unter Gleichen" ist er als Patriarch von Konstantinopel unter den Oberhäuptern der orthodoxen Kirchen - ohne Jurisdiktionsgewalt. Seit der Gründung der Republik vor 90 Jahren muss der Patriarch Türke sein: staatliche Bedingung für den Verbleib des Patriarchats in Istanbul, dem früheren Konstantinopel, wo es seit 1.700 Jahren ansässig ist.
Als Dimitrios Archondonis wurde Bartholomaios I. am 29. Februar 1940 auf der Ägäis-Insel Imbros geboren, die trotz ihrer rein christlich-griechischen Bevölkerung 1923 aus strategischen Gründen zur Türkei geschlagen worden war. Nur wenige orthodoxe Christen verblieben nach dem Ersten Weltkrieg in der Türkei. Rund eine Million Christen wurden 1923 aus Anatolien nach Griechenland umgesiedelt; es blieben etwa 100.000 Orthodoxe in Istanbul und auf den türkischen Inseln.
Studium in Rom und München
Ausschreitungen, Auswanderungen und Ausweisungen hatten diese Minderheit weiter dezimiert, als Bartholomaios zum Priester geweiht wurde. Nach einem Studienaufenthalt in Rom Anfang der 60er Jahre wechselte er zum Weiterstudium nach München. Deutschland ist er seit dieser Zeit intensiv verbunden.
Zurück in der Türkei, absolvierte Bartholomaios das traditionsreiche Priesterseminar auf der Insel Chalki vor Istanbul. 1971 ordnete Ankara die Schließung des Seminars an. Wie islamische Imame vom Staat ausgebildet, besoldet und kontrolliert würden, so müsse auch die christliche Theologie dem Staat unterstehen, verlangt die Türkei bis heute. Weil die Kirche ihren Klerus nicht vom muslimischen Staat ausbilden lassen will, gibt es keinen türkischen Klerikernachwuchs.
Als Bartholomaios 1991 zum Patriarchen gewählt wurde, durfte auf Chalki schon seit 20 Jahren nicht mehr ausgebildet werden; wenn das Priesterseminar nicht bald wieder öffnen darf, dürfte es in wenigen Jahren keinen orthodoxen Klerus mehr für die 2.000 bis 3.000 orthodoxen Christen in der Türkei geben.
Annäherung zwischen Orthodoxie und Katholizismus
Patriarch Bartholomaios I. setzt sich für eine Annäherung zwischen Orthodoxie und Katholizismus ein. Die Kirchen hatten sich vor knapp 1.000 Jahren im Streit getrennt. Mit dem inzwischen emeritierten Papst Benedikt XVI. (2005-2013), der ihn 2006 in Istanbul besuchte, sorgte der Patriarch für eine Wiederaufnahme der Einigungsgespräche, die jahrzehntelang brach gelegen hatten. Ende Mai trifft Bartholomaios in der Heiligen Stadt Jerusalem den neuen Papst Franziskus - eine historische Begegnung.
"Istanbul ist türkisch, Patriarch hau ab"
So hoch angesehen der Patriarch in der Welt ist, so schwer ist seine Lage in der Türkei. "Wir lieben unser Land", versichert Bartholomaios I. immer wieder - doch das Misstrauen sitzt tief. "Istanbul ist türkisch, Patriarch hau ab", skandierten bereits häufig nationalistische Demonstranten, wenn sie den Weihnachtsgottesdienst im Phanar, dem Amtssitz des Patriarchen, störten. Der aber lässt sich in seinem Gottvertrauen nicht erschüttern. Gott, sagt er, werde seine Kirche nicht untergehen lassen.
Von Bettina Dittenberger (KNA)