Feilschen um Verantwortung
An dem vielen Leid im seit Jahrzehnten andauernden Bürgerkrieg in Kolumbien, den Diplomaten gerne politisch korrekt einen "bewaffneten Konflikt" nennen, haben alle Kriegsparteien ihren Anteil, linke Guerillagruppen, rechte Paramilitärs und Einheiten der regulären Armee. Bereits am 16. August sollen nun erstmals Opfervertreter bei den Friedensgesprächen zwischen der linksgerichteten Guerilla-Organisation FARC und der kolumbianischen Regierung in Havanna mit am Tisch sitzen.
Auch die Vereinten Nationen sollen Opfergruppen mit aussuchen
Auch die Vereinten Nationen und die angesehene staatliche Hochschule Universidad Nacional in Bogota zählt zu den Einrichtungen, die jene Opfergruppen aussuchen sollen, die in Havanna aussagen sollen: "In der kommenden Woche erwarten wir ein Treffen mit Erzbischof Luis Augusto Castro, dem Vorsitzenden der Kolumbianischen Bischofskonferenz, um seine Rolle in diesem Prozess zu präzisieren", kündigt Alejo Vargas von der Universidad Nacional das weitere Vorgehen an.
Erstmals nimmt die Kirche damit direkten Einfluss auf die Ende 2012 aufgenommenen Verhandlungen. Wie die Auswahl genau vonstattengehen soll, weiß noch niemand so recht. Aber die FARC besteht darauf, dass nicht nur ihre, sondern auch die Verbrechen von Paramilitärs und Armee zu Sprache kommen. Lange hat sie sich dagegen gewehrt, ihren Teil der Verantwortung an den Gewaltverbrechen anzuerkennen.
Dann, kurz vor den Präsidentschaftswahlen im Juni, endlich der Durchbruch. In einer von Regierung und FARC gemeinsam ausgehandelten Erklärung hieß es, es gebe Opfer schwerer Menschen- und Völkerrechtsverletzungen. Die Opfer des Konfliktes hätten Anspruch auf Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung. Künftige Diskussionen, so hieß es, müssten mit der Anerkennung der Verantwortung für die Taten gegenüber den Opfern geschehen. Straflosigkeit für die Menschenrechtsverletzungen, so versichern die Rebellen, sei in den Verhandlungen nicht ihr Ziel.
Ex-Präsident Alvaro Uribe noch immer Hass-Figur
FARC-Opfer sehen das anders. Sie beklagten in den vergangenen Tagen öffentlich, dass die brutalen Gewalttaten der von der EU als Terrororganisation eingestuften Guerillakämpfer gegen die Zivilbevölkerung bislang keine Rolle gespielt hätten - ebenso wie deren Weigerung, Auskunft über das Schicksal von verschleppten Soldaten zu geben. Diego Quintero, Bruder des von der Guerilla entführten und dann hingerichteten Politikers Alberto Quintero, verlangt eine direkte Präsenz in Havanna: "Wir hoffen, dass wir als Familienangehörige von betroffenen Abgeordneten eine Präsenz am Tisch haben."
FARC-Sprecher Ivan Marquez spricht derweil lieber über die anderen Täter. Es müsse klargestellt werden, dass die Befehls- und damit auch die Verantwortungskette nicht in den Führungsgremien der Armee und Polizei ende, sondern bis in den Präsidentenpalast reiche, sagte Marquez - und eröffnete damit das Feilschen um den Preis der Verantwortung. Die Botschaft, die hinter dieser Aussage steckt, ist klar: Wenn FARC-Führer ins Gefängnis müssen, dann müsse dies auch für die Repräsentanten der Politik gelten. Das betrifft vor allem die politische Hassfigur der Rebellen: Ex-Präsident Alvaro Uribe (2002-2010). Der konservative Hardliner, den sie für die Verbrechen der rechtsgerichteten Paramilitärs mitverantwortlich machen, sitzt mittlerweile im Kongress.
Von Tobias Käufer (KNA)