Fromme Frau
Sarah Briemle beginnt jeden Morgen mit einer Stunde stillen Gebets. Sie hat sich für einen außergewöhnlichen Lebensweg entschieden. Sie ist "gottgeweihte Frau". Das bedeutet, dass Briemle einerseits ihr Leben ganz Jesus Christus versprochen und feierlich gelobt hat, in Armut, Keuschheit und Gehorsam zu leben. Andererseits verstehen sie und die anderen gottgeweihten Frauen der Neuen Geistlichen Bewegung "Regnum Christi" (RC) (siehe Kasten) sich aber nicht als Orden, sondern als Laien. Sie wollen also nicht wie manche Gemeinschaften zurückgezogen leben, sondern mitten in der Gesellschaft und ihren Glauben aktiv an andere weitergeben. "Wir wollen ein Licht direkt in der Welt sein", erklärt Sarah Briemle metaphorisch. Oder, wie es Miriam Hillebrecht, Referentin für die Neuen Geistlichen Gemeinschaften beim Erzbistum Köln, erklärt: "Die gottgeweihten Frauen verstehen sich als Bindeglied zwischen Kirche und Gesellschaft."
Inzwischen wird es draußen heller, der Wind bewegt einen kargen Strauch vor dem Fenster. Es ist acht Uhr. An das Gebet schließt sich für Briemle und die anderen acht Frauen, mit denen sie zusammen in dem Düsseldorfer Haus lebt, die Eucharistiefeier an. Dafür kommt eigens ein Priester ins Haus. Es wirkt zunächst alles wie ein gewöhnlicher Werktagsgottesdienst. Nur kleine Gesten zeigen, dass für die frommen Frauen die Messe mehr ist als ein tägliches Ritual: Wenn die kleine Gruppe die Lieder mit klarer Stimme singt und das intensiver und entschlossener klingt als in einem durchschnittlichen Gottesdienst. Wenn zur Wandlung für lange Sekunden absolute Stille herrscht. Wenn sich die Frauen zur Mundkommunion einzeln hinknien.
"Klar, für diese Lebensform muss man schon eine gewisse Abenteuerlust mitbringen", erklärt Lorli Pregel, Direktorin der Gottgeweihten Frauen, lachend auf die Frage, was gerade für junge Frauen das Attraktive an dieser Lebensform ist – also an einem Leben ohne Sex, ohne Familie. Weltweit gibt es knapp 600 gottgeweihte Frauen und rund 70 gottgeweihte Männer im Regnum Christi. Und während die meisten Frauenorden in Deutschland bei einem Altersdurchschnitt von knapp 80 Jahren dabei sind, auszusterben, hat die Düsseldorfer Laiengemeinschaft nicht mit Nachwuchssorgen zu kämpfen – im Gegenteil. Die Jüngste ist 25, Direktorin Lorli Pregel mit ihren 46 Jahren ist mit Abstand die Älteste.
"Wir wollen eine Tankstelle sein, in der die Jugendlichen Kraft schöpfen können"
Was sind die Gründe für diese ungewöhnliche Altersstruktur? "Ich habe hier in der Gemeinschaft einen ganz besonderen Enthusiasmus, eine Freude und Begeisterung erfahren", erklärt Sarah Briemle, was sie an den Gottgeweihten Frauen begeistert. Das Regnum Christi ist sehr aktiv in der Jugendarbeit, bedient sich einer altersgerechten Sprache. Anknüpfungspunkte entstehen also schon sehr früh. "Wir wollen eine Tankstelle sein, in der die Jugendlichen Kraft schöpfen können", so versteht Briemle ihre Aufgabe. "Da treffen Jugendliche, die sich leicht begeistern lassen auf Menschen, die sie leicht begeistern können", sagt Referentin Miriam Hillebrecht, die die Düsseldorfer Gemeinschaft als "toughe Frauen" charakterisiert.
Doch trotz des Erfolgs haben die Gottgeweihten Frauen im Regnum Christi auch mit Problemen zu kämpfen. Vor einigen Jahren kamen unangenehme Wahrheiten über den 2008 gestorbenen geistigen Vater der Gemeinschaft ans Licht. Der mexikanische Priester Marcial Maciel , der auch den Orden der "Legionäre Christi" gegründet hatte, dem das RC angeschlossen ist, hatte Seminaristen missbraucht und mehrere Kinder gezeugt. Die Gemeinschaften, die Marcial Maciel sehr straff und autoritär organisiert hatte, stürzten in eine tiefe Krise, mussten sich einer Prüfung durch den Vatikan und einem Reformprozess unterziehen. "Das war eine sehr schwere und auch demütigende Erfahrung", sagt Briemle. "Man hinterfragt sich, gerät in Zweifel. Aber es war auch eine stärkende Erfahrung, weil wir uns innerlich mehr für Gott selber geöffnet haben". Und Lorli Pregel ergänzt: "Früher war das Leben sehr straff durchstrukturiert, was Gebetszeiten und ähnliches anging, heute sind wir flexibler."
Die Gottgeweihten arbeiten viel mit Jugendlichen
Beim Frühstück nach dem Gottesdienst an einer langen Tafel mit blauer Tischdecke ist der Skandal weit weg. Es herrscht fröhliche Stimmung. Unter dem Porträt von Papst Franziskus essen die Frauen Müsli, Brot, Käse, Wurst, Obst und Marmelade. Geschirr klappert, Tee und Kaffee dampfen in den Tassen. "Wenn nicht gerade Besuch da ist, verbringen wir auch das Frühstück eher schweigsam, um uns auf den Tag vorzubereiten. Denn der verläuft für die meisten von uns alles andere als ruhig", sagt Sarah Briemle und lacht. Auch die Düsseldorfer Gottgeweihten suchen den Kontakt zu Jugendlichen: Sie bieten Besinnungstage an, organisieren Seminare zu bestimmten Themen, sind in Einzelgesprächen für die jungen Leute da.
Briemle hat während ihrer Ausbildung mehrere Jahre in Spanien verbracht, unter anderem an einer der Hochschulen der Legionäre Christi. Nun arbeitet sie in Düsseldorf mit Jugendlichen zusammen und regelt außerdem als Verwalterin die finanziellen Angelegenheiten der Gemeinschaft. Sie führt den Besuch in das Wohnzimmer, einen riesigen hellen Raum, dessen bodenlange Fensterfront auf den weitläufigen, etwas verwilderten Garten hinaus zeigt. Mehrere Tischreihen mit Stühlen weisen darauf hin, dass er auch als Seminarraum dient. An einer Wand hängt ein Bild der Jungfrau Maria, an einer anderen eines von Jesus. Unter dem gläsernen Couchtisch lugen ein Bildband über Johannes Paul II. und einer über Düsseldorfer Kirchen hervor.
Die junge Frau mit dem kecken Lächeln setzt sich in einen Sessel und erzählt, wie sie zu einer Gottgeweihten Frau wurde. Bis sie sich nach dem Abitur im Jahr 2005 für dieses Leben entschied, war es ein langer Weg. "Natürlich war da große Angst. So sehr gegen den Strom zu schwimmen, das ging eigentlich gar nicht für mich", sagt Briemle nachdenklich. Zwar sei sie in einer katholischen Familie aufgewachsen, aber in einem Orden oder einer ähnlichen Gemeinschaft zu leben, kam für sie nicht infrage. "Ich hatte als Kind immer die Vorstellung, dass Ordensleute irgendwie komisch sind".
Als Teenie tanzt Sarah gern Ballett und Hiphop, es ist ihre Zeit als Rebellin. Glaube und Kirche spielen keine große Rolle. "Doch irgendwann hatte ich eine innere Unruhe in mir. Ich habe gespürt, irgendwas will Jesus von mir, ich wusste aber einfach noch nicht, was", sagt sie. Dann kommt das besagte Jahr 2005, in dem sie Abitur macht – und Johannes Paul II. nach langer Krankheit quasi öffentlich stirbt. "Sein Leiden hat mir klar gemacht: Der Papst hat in seinem Leben auch nicht nur das gemacht, worauf er Lust hatte, sondern das, wozu Gott ihn berufen hat", erinnert sie sich. Diese Erkenntnis bewegt Briemle im Innersten. Gleichzeitig spürt sie eine Art Panik. Groß ist die Angst vor dem Verlust des Lebens, das sie sich eigentlich geplant hat: Mann, Familie, Kinder.
"Er nimmt nichts und schenkt alles"
Für die erste Generalaudienz des neuen Papstes Benedikt XVI. reist sie nach Rom. Und da sagte der deutsche Pontifex einen Satz, der sich der jungen Frau in Kopf und Herz einbrennen sollte: "Habe keine Angst vor Christus. Er nimmt nichts und schenkt alles". Mit dieser Erkenntnis, dass Gott ihr nur etwas geben, aber nichts nehmen könne, ist Briemles innerer Kampf vorbei: "Das hat mir meine Ängste vollkommen genommen", erinnert sie sich und lehnt sich im Sessel zurück.
Wie eng ihre Beziehung zu Gott seitdem ist, zeigt sich auch in ihrem Zimmer im ersten Stock. In dem langen, schmalen Raum gibt es neben einem Einzelbett im Ikea-Stil, einem Schreibtisch mit einem Laptop auch eine Kniebank. Sie steht unter einem Kreuz an der Wand. Sarah benutzt die Bank häufig. Dann kniet sie versunken im Gebet – so wie morgens in der Kapelle.