Für immer Jesus
Neben ihm sind noch vier Männer mit dunklem Anzug und Priesterkragen da, deren prominentes kirchliches Amt wegen ihrer unauffälligen Kleidung nicht zu erkennen ist. Es sind der Münstersche Bischof Felix Genn, Bischof Gregor Maria Hanke aus Eichstätt, Konrad Zdarsa, Oberhirte im Bistum Augsburg und der Berliner Kardinal Rainer Maria Woelki. Sie treffen sich zu einer Tagung in dem katholischen Bildungshaus – und auch sie nehmen sich ein paar Minuten Zeit, um das Allerheiligste zu verehren.
24 Stunden am Tag, 7 Tage in der Woche
Die Bischöfe nutzen wie der Netzwerkspezialist ein Angebot, das das Erzbistum Köln seinen Gläubigen seit November vergangenen Jahres macht: Die "Ewige Anbetung". Die Idee dahinter lautet, Christus in der Gegenwart der Monstranz ununterbrochen zu verehren: 24 Stunden am Tag, 7 Tage in der Woche, 52 Wochen im Jahr. Rund 400 interessierte Ehrenamtliche haben sich bisher gemeldet, um Gebetszeiten zu übernehmen - seien es einzelne Termine oder regelmäßige Besuche. Ziel ist es, dass sich die Betenden untereinander ablösen, so dass immer jemand da ist – Tag und Nacht.
Soweit sei man zwar noch nicht, sagt Monsignore Markus Bosbach, Leiter der Hauptabteilung Seelsorge im Erzbistum Köln, der das nach seinem Wissen in der deutschen Bistumslandschaft bisher einmalige Projekt organisiert. "Wir sind aber sehr positiv überrascht über das große Interesse", erklärt der Theologe. Ein pensionierter Nachtwächter etwa habe gleich zu Beginn angeboten, zwei Nächte in der Woche zu übernehmen, eine ältere Dame, die nahe dem Maternushaus in der Innenstadt wohnt, war sogar bereit, drei Nächte in der Woche betend zu verbringen. Die Spalten in dem einfachen schwarz-roten Heft, in dem die Gläubigen eintragen, wann und wie lange sie in der Kapelle waren, sind schon gut gefüllt. Solche, die jeden Tag kommen oder gleich mehrere Stunden bleiben, sind keine Einzelfälle.
Täglicher Besuch im Maternushaus
Doch was bringt Menschen dazu, schweigend eine Hostie zu verehren? Christoph Smarzoch fällt die Antwort nicht schwer: "Ich verehre Jesus Christus in der Eucharistie und es ist mir wichtig, ihn täglich zu besuchen". Dass er dafür jeden Morgen den Weg zu seiner Arbeitsstelle im Stadtteil Deutz unterbrechen muss, empfindet er nicht als Aufwand: "Ich bin ja sowieso unterwegs", erklärt er. "Und in der halben Stunde morgens bringe ich meine Gedanken, das, was täglich ansteht, vor Gott".
Ist die Ewige Anbetung etwas für besonders Fromme? Mit diesem Vorurteil konfrontiert, lacht Monsignore Bosbach: "Natürlich gehört eine gewisse Frömmigkeit, eine ehrfurchtsvolle Beziehung zu Gott dazu", sagt er. "Sonst sieht man auf dem Altar eben eine Scheibe Brot, dann macht die Ewige Anbetung keinen Sinn". Viel interessanter sei es, sich die Frage einmal anders herum zu stellen: "Was sieht der Betende in dem Brot, was ich nicht darin sehe? Was passiert da?".
In der Kapelle des Maternushauses herrscht jedenfalls eine besondere, eine dichte Atmosphäre. Während das Foyer mit geschäftigem Trubel gefüllt ist, Menschen reden, lachen, Schuhe auf dem Steinfußboden klackern, liegt die Kapelle in Stille. Etwas später, gegen 11 Uhr, sitzen hier zwei Frauen. Nur die Heizung ist zu hören, oder das Knacken den Bodens, wenn sich jemand bewegt. Ihre Blicke sind angezogen von der Hostie auf dem Altar.
"Jesus wartet auf uns"
Eine von beiden ist Christina Freytag, eine großgewachsene Frau mit offenen blauen Augen und einem freundlichen Lächeln. Die Betriebswirtin trägt Stiefel und Jeans, dazu einen dunklen, taillierten Wollblazer. Sie kommt gern hierher: "Ich habe Gott so viel zu verdanken, so dass das für mich einfach dazu gehört", sagt die Mutter eines Sohnes. Auch für die andere Frau, eine 76-jährige Rentnerin, die ihren Namen lieber nicht online lesen will, ist der tägliche Besuch der Monstranz im Maternushaus eine Selbstverständlichkeit. "Jesus will angebetet werden, er wartet auf uns", ist sie überzeugt.
Wie auch Christoph Smarzoch macht ihr der zeitliche Aufwand für das Gebet nichts aus – im Gegenteil. "Wenn jemand sagt, dass er keine Zeit für Jesus hat, dann ist das nur eine Ausrede", ist sie überzeugt. "Das Gebet ist für mich unterm Strich ein Gewinn – auch zeitlich". Schließlich gingen danach andere Dinge oft viel einfacher von der Hand, es falle leicht, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. "Sei es das Einkaufen, die Post oder auch Telefongespräche, um etwas zu verabreden: Oft kommt man einfach viel schneller auf den Punkt", erklärt sie.
Auch Joachim Meisner kommt in die Kapelle
Auch Theologe Bosbach empfindet die Ewige Anbetung als Bereicherung. "Heute reden wir in der Kirche sehr viel über Strukturreformen, pastorale Räume und ähnliche Dinge. Christus ist da vielleicht manchmal gar nicht mehr so in der Mitte, wie er sein sollte", erklärt er. Die Ewige Anbetung sei eine gute Ergänzung, sozusagen eine Verlängerung der flüchtigen Begegnung mit Jesus während der Eucharistiefeier.
Laut Bosbach kommt das Angebot, das in der Folge des Eucharistischen Kongress im Juni 2013 entstanden ist, nicht nur bei Laien, sondern auch bei Priestern im Bistum gut an – bis hin zum emeritierten Kardinal. Der erklärte bei seiner wortgewaltigen Abschiedspressekonferenz Anfang März in der für ihn typischen Direktheit, die Ewige Anbetung sei keine "weltabgewandte Aktion – im Gegenteil". Das war nicht nur eine Floskel: Wie Monsignore Bosbach und die Ehrenamtlichen berichten, besucht Joachim Meisner selbst regelmäßig die Kapelle des Maternushauses und betet – ganz still.
Von Gabriele Höfling