Für neue Freude am Glauben
Es ist nicht das erste Dokument von Papst Franziskus, und es ist auch keine Enzyklika. Und doch hat der neue Papst mit dem Apostolischen Lehrschreiben "Evangelii gaudium" vom Dienstag eine Art Regierungserklärung präsentiert. Acht Monate nach seiner Wahl und zum Abschluss des "Jahres des Glaubens" legt er dar, wie er sich das Wirken der Kirche im 21. Jahrhundert vorstellt.
Es geht ihm um eine pastorale und missionarische Neuausrichtung, die alle Bereiche der Kirche umfasst, auch das Papsttum; um eine arme Kirche, die den Schrei der Armen hört und sie in die Gesellschaft integriert und die sich für Frieden, sozialen Dialog und Bewahrung der Schöpfung einsetzt.
Franziskus greift mit seinem 180 Seiten umfassendes Schreiben wesentlich auf die Bischofssynode von 2012 über die "neue Evangelisierung" zurück. Allerdings handelt es sich nicht um ein klassisches "nachsynodales Schreiben", auch wenn Franziskus ausführlich die Schlussthesen der Synodenväter aufgreift und zitiert. Vielmehr ergänzt er deren Aufruf zur Neuevangelisierung mit vielen Themen und Perspektiven, die er in seinem Pontifikat in den Vordergrund stellen möchte.
Religion ist keine fromme Übung
Der Papst hat sich vorgenommen, den Glauben in der Kirche neu zu beleben und neue Freude am Glauben zu schaffen. Die Neuevangelisierung muss untrennbar eine soziale Dimension einschließen und auf einen menschlichen Fortschritt ausgerichtet sein. Religion darf für ihn nicht eine fromme Übung bleiben; sie muss Einfluss auf das soziale und politische Geschehen haben, muss sich auch um das Gemeinwohl und den Aufbau einer besseren Welt kümmern.
Das freilich würde Veränderungen von Marktmechanismen und Wirtschaftsdenken bedeuten. Es würde für die Begünstigten eine Bereitschaft zum Teilen voraussetzen. Und es würde eine umfassende Versorgung der Armen verlangen - durch Nahrung, Bildung, Gesundheitsfürsorge und gerechten Lohn.
„Ich will keine Kirche, die darum besorgt ist, der Mittelpunkt zu sein, und schließlich in einer Anhäufung von fixen Ideen und Streitigkeiten verstrickt ist.“
Der Papst stellt klar, dass diese "Option für die Armen" für die Kirche eine zutiefst religiöse Kategorie ist - und damit gewissermaßen zu ihrem Markenkern gehört. Daraus folgt dann auch ihr Einsatz für die Armen in kultureller, soziologischer und politischer Hinsicht. Es gehe nicht nur um Taten und Förderungsprogramme, um politischen Aktionismus, sondern um die menschliche und geistliche Zuwendung zu den Armen, so Franziskus.
Dabei findet der Papst, der auch in seinen Predigten die pointierte Formulierung liebt, deutliche Worte zu den Ursachen der sozialen Übel: wenn er vor der absoluten Autonomie der Märkte und vor Finanzspekulationen warnt und fordert, die Ungleichverteilung der Einkünfte anzugehen, weil man sonst die Probleme der Welt nicht in den Griff bekomme; oder wenn er die Wirtschaft auffordert, "nicht auf Heilmittel zurückzugreifen, die neues Gift sind"; und wenn er betont, dass "Wachstum in Gerechtigkeit" mehr erfordere als Wirtschaftswachstum.
Mehr Kompetenzen für Bischofskonferenzen
Wenn er die Opfer von Korruption und mafiösen Strukturen beklagt, schwingt dabei auch stark sein lateinamerikanischer Hintergrund mit. Insgesamt klingt die Sozialkritik bei Franziskus noch deutlicher und direkter als bei seinen Vorgängern Benedikt XVI. und Johannes Paul II., die ebenfalls dafür plädiert hatten, strukturelle Fehler in der Weltwirtschaft zu korrigieren.
"Evangelii gaudium" im Wortlauf
Lesen Sie das gesamte Dokument "Die Freude des Evangeliums" auf der Internetseite des Vatikan:Das Lehrschreiben "Evangelii gaudium" über die Glaubensverkündigung gibt Aufschluss über die Positionen von Papst Franziskus zu vielen Kirchenfragen: zur Ökumene und zum Dialog mit den Nichtchristen, vor allem zu Judentum und Islam; zur Hierarchie von Wahrheiten und Moralfragen; zu Abtreibung und zur Homo-Ehe; zum Berufsbild des Priesters und zur noch unausgegorenen Rolle der Laien in der Kirche.
Es zeigt einen Papst, der nach besseren Möglichkeiten der Primatsausübung fragt, der für eine Dezentralisierung in der Kirche plädiert und mehr Kompetenzen für Bischofskonferenzen fordert.
Zugleich lobt er die Volksfrömmigkeit und plädiert für einen Abschied von liebgewordenen, nebensächlichen Traditionen. Ein entschiedenes Nein sagt er zum Priesteramt für Frauen und macht keine Abstriche in Sachen Lebensschutz.
Es ist ein vielseitiges und anspruchsvolles Programm, das Papst Franziskus der Kirche mit "Evangelii gaudium" vorlegt. In erster Linie aber will er damit den Menschen neue "Freude am Evangelium" vermitteln.