Für welche Einheit beten wir?
Seit Jahrzehnten beten Katholiken, Protestanten, Orthodoxe und Christen anderer Konfessionen jährlich im Januar weltweit gemeinsam für die Einheit der Christen. Dass alle Christen zusammengehören, weil sie der Glaube an Christus eint, erscheint klar. Doch um welche Einheit beten wir in der Weltgebetswoche für die Einheit der Christen eigentlich? Wie darf man sich das vorstellen, wenn alle Christen wieder vereint sind? Könnte es sein, das wir vielleicht alle für eine andere Einheit beten?
Vor allem im katholisch-evangelischen Gespräch wurde in den vergangenen Jahren zumindest immer offensichtlicher, dass die Formel "Einheit der Christen" zwar in aller Munde ist, die Vorstellungen darüber, was sich dahinter verbirgt, jedoch zum Teil sehr weit auseinandergehen oder sich sogar widersprechen.
Exemplarisch spiegelte sich das in den Äußerungen von Kardinal Reinhard Marx und Margot Käßmann zum Abschluss des Reformationsjahrs im Herbst wider. Die frühere EKD-Vorsitzende Käßmann sah in einem Gastbeitrag für die "Bild am Sonntag" keine Notwendigkeit für eine Wiedervereinigung beider Kirchen. Eine Einheitskirche fände sie "genauso langweilig wie eine Einheitspartei". Die Botschafterin des Rats der EKD für das Reformationsgedenken verwies darauf, dass die Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten kreativ seien. Käßmann wünschte sich ein gemeinsames Abendmahl, wäre aber sonst mit dem Status quo zufrieden. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofkonferenz hingegen hielt am Ziel einer institutionellen Einheit fest. "Dafür setzen wir uns seit Jahren ein. Dafür bete ich, dafür arbeite ich", so Marx in der "Bild am Sonntag".
Käßmann formulierte wohl bewusst plakativ. Denn vom traditionellen katholischen Konzept einer Ökumene der Heimkehr der anderen Konfessionen hat sich auch der Vatikan längst verabschiedet. Papst Franziskus spricht stattdessen immer wieder von einer "versöhnten Verschiedenheit" oder einer "Einheit in versöhnter Verschiedenheit" zwischen den Kirchen, wie es im innerevangelischen Dialog bereits seit längerem üblich ist. Als Endziel hält aber auch Franziskus, wie seine Vorgänger, an der "vollen und sichtbaren Einheit" fest.
Ist "Einheit in versöhnter Verschiedenheit" möglich?
Franziskus meint mit dem Begriff "versöhnte Verschiedenheit" jedoch nicht dasselbe, wie viele Protestanten, erklärte der vatikanische Ökumene-Beauftragte Kardinal Kurt Koch vor einiger Zeit. Auf evangelischer Seite gebe es die starke Tendenz, zu sagen, "Einheit in versöhnter Verschiedenheit" sei eine Beschreibung der gegenwärtigen Situation. In dieser Perspektive fehle dann nur noch die gegenseitige Anerkennung der Kirchen und das gemeinsame Abendmahl. Aus katholischer Sicht sei der Begriff "Einheit in versöhnter Verschiedenheit" jedoch eine Aufgabe, die erst noch bevorstehe. Hierbei geht es nach Kochs Worten darum, die historisch gewachsenen Differenzen so aufzuarbeiten, dass sie nicht mehr unversöhnt seien. So blieben Unterschiede bestehen, müssten aber nicht mehr kirchentrennend sein. Erst dann könne man daran gehen, weitere ökumenische Zeichen zu setzen, so der Schweizer Kardinal.
Unter Katholiken und Protestanten in Deutschland scheint laut einer Umfrage der Wunsch nach einer institutionellen Einheit der Christen nicht so stark zu sein, wie man meinen könnte. Die Katholiken befürworten zu 58 Prozent eine Wiedervereinigung von evangelischer und katholischer Kirche, unter den Protestanten sind es 47 Prozent, wie das Meinungsforschungsinstitut Emnid im Herbst ermittelte.
Seit 1973 wird die Gebetswoche vom Ökumenischen Rat der Kirchen und dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen in ihrer heutigen Form gemeinsam organisiert. In diesem Jahr ist die Gebetswoche von christlichen Kirchen in der Karibik vorbereit worden. Das Motto lautet "Deine rechte Hand, ist herrlich an Stärke" und stammt aus dem alttestamentlichen Buch Exodus. Es soll an die Befreiung von Sklaverei und Kolonialismus erinnern, die von den Christen der Region der Hand Gottes zugeschrieben wird.
Einheit, "wann Christus sie will"
Als die Weltgebetswoche ins Leben gerufen wurde, war noch klar, für welche Einheit man betete: Für die Rückkehr der christlichen Konfessionen zur römisch-katholischen Kirche. Denn ursprünglich handelte es sich um eine rein katholische Initiative. Begründet wurde sie 1908 vom amerikanischen Anglikaner Paul Wattson, der selbst mit gutem Beispiel voranging, und kurz darauf zum Katholizismus übertrat. Auch die Terminierung der anfangs noch "Gebetsoktav" genannten Initiative spiegelt dieses römisch-katholische Verständnis von Einheit wider: Am 18. Januar, dem Beginn der Gebetswoche, wurde damals das Fest der Cathedra Petri begangen und am 25. Januar ist das Fest der Bekehrung des Apostels Paulus. Papst Benedikt XV. erklärte diese Gebetsoktav 1916 für die gesamte Kirche als verbindlich.
In den 1930er und 1940er Jahren trat vor allem der französische Priester Paul Couturier dafür ein, dass sich auch Nicht-Katholiken an der Gebetswoche beteiligen sollten. Von Christen anderer Konfessionen konnte man aber nicht ernsthaft erwarten, dass sie für die Rückkehr zur katholischen Kirche beteten. Daher billigte Papst Johannes XXIII. 1959 eine Änderung des bislang üblichen Gebets für die Einheit. Fortan galt das Gebet der Einheit, "wann Christus sie will und mit welchen Mitteln er sie herbeizuführen gedenkt". Darüber dürften sich auch heute noch alle Kirchen einig sein. Alles, was darüber hinausgeht, wird allerdings schwierig. Wie schwierig, das zeigt die gemeinsame Erklärung der Konferenz der Europäischen Kirchen, der Protestanten, Orthodoxe, Anglikaner und Altkatholiken angehören, und dem (katholischen) Rat der Europäischen Bischofskonferenzen zum diesjährigen Weltgebetstag. Darin heißt es, das Streben nach "sichtbarer Einheit unserer Kirchen" komme heute in der Solidarität mit "unseren christlichen Brüdern und Schwestern", die unter Armut, Ausgrenzung und Verfolgung litten sowie in der Sorge um Europa zum Ausdruck. War es das schon mit der Einheit?