Gefangen im eigenen Land
Was Rode aufregt, ist die Rede des nordkoreanischen Diktators Kim Jong Un zum neuen Jahr. Sie ließ die Welt aufhorchen - zumindest für einen Moment. Wörtlich genommen könnte sie als Zeichen für eine politische Wende gewertet werden. Von einer Aussöhnung mit dem Süden sprach der junge Machthaber und von "großen Veränderungen". Ein Blick zwischen die Zeilen lässt jedoch Zweifel aufkommen. Auch die katastrophale Situation der Christen in Nordkorea wird sich nach Ansicht von Experten in der nahen Zukunft wohl kaum verbessern.
"Schöne Worte, aber keine ernsten Absichten"
So sieht das auch Petrus Shin. Er ist Diakon der koreanischen Seelsorgestelle im Erzbistum Köln und stammt aus Südkorea. "Das sind vielleicht schöne Worte, mit ernsten Absichten hat die Rede aber überhaupt nichts zu tun", ist er überzeugt. Für den Seelsorger sagt der Zeitpunkt der Rede viel über deren Absicht. Schließlich gab es in Südkorea gerade einen Regierungswechsel – daher sende der Norden nun symbolträchtige Gesten gen Süden, ohne sich jedoch substantiell zu bewegen.
Die Lage der Menschen in Nordkorea könnte schlimmer kaum sein. Seit Jahrzehnten leiden sie unter der Misswirtschaft der kommunistischen Diktatur. Laut Markus Rode von "Open Doors" sind seit den 1950er Jahren etwa drei Millionen Menschen in Nordkorea verhungert, das wären etwa zehn Prozent der Bevölkerung.
Besonders hart trifft es die Christen. Wenn sie zu ihrem Glauben stehen, müssen sie mit dem Schlimmsten rechnen: "Wer sagt: 'Ich bin Christ', der wird sofort verhaftet und verfolgt. Offiziell gibt es keine Christen in Nordkorea", sagt Diakon Shin. Laut Schätzungen von "Open Doors", das nach eigenen Angaben enge Kontakte zu Christen im nordkoreanischen Untergrund hat, sind rund 50.000 bis 70.000 Gläubige in Arbeitslagern interniert. Dort lebten sie unter menschenunwürdigen Bedingungen. Open Doors-Deutschlandchef Rode erzählt das Beispiel von einer Frau, die aufgrund ihres christlichen Glaubens öffentlich umgebracht worden sei.
Im jährlich Anfang Januar veröffentlichten "Weltverfolgungsindex" des Hilfswerks belegt der Staat im Asien-Pazifik-Raum seit zehn Jahren den ersten Platz in der Rangliste der stärksten Christenverfolger. Die Zahlen für 2013 werden zwar erst kommende Woche veröffentlicht. Markus Rode verrät aber schon vorab, dass es keine Anhaltspunkte für eine verbesserte Lage der Gläubigen gibt. Daran habe der Machtwechsel nach dem Tod von Kim Jong Uns Vater und Vorgänger Kim Jong Il Ende 2011 nichts geändert.
Offizielle Zahlen gibt es nicht
Direkte Informationen aus dem hermetisch abgeriegelten Land zu bekommen ist jedoch nahezu unmöglich. Angaben können kaum überprüft werden. Auch für die Frage, wie viele Christen tatsächlich noch in Nordkorea leben, ist man auf Schätzungen angewiesen. Offizielle Zahlen gibt es nicht. Das vom Vatikan herausgegebene statistische Jahrbuch der katholischen Kirche macht keine Angaben. Der katholische Theologe und Asien-Experte Georg Evers geht in der religiösen Monatszeitschrift Herder-Korrespondenz vom Juli 2010 von rund 3.000 Katholiken aus, vor dem Koreakrieg sind es danach gut 50.000 gewesen. Protestanten soll es in dem kommunistischen Land aber noch deutlich mehr geben. "Open Doors" geht aktuell insgesamt von etwa 200.000 bis 400.000 Christen aus.
Ihnen zu helfen, ist nur sehr schwer möglich. "Open Doors" arbeitet nach eigenen Angaben zu diesem Zweck im Untergrund. Wie Diakon Petrus Shin berichtet, versucht die südkoreanische katholische Kirche über finanzielle Unterstützungen Einfluss zu gewinnen. Allerdings ist unklar, ob die Hilfe auch ankommt: Denn auf den Verwendungszweck der Gelder haben die Geber laut Shin keinen wirklichen Einfluss – der werde vom Regime gesteuert. Zusätzlich versucht die Kirche Südkoreas über dritte Länder, die dem Nachbarn im Norden näher stehen – vor allem über China - indirekt Einfluss zu nehmen.
Südkorea strahlt Glaubenssendungen gen Norden aus
Einen Aspekt hält der Diakon dabei für besonders wichtig: Es müsse versucht werden, Informationen zu den Menschen zu bringen: "Die nordkoreanische Bevölkerung hat ja keine Ahnung, was außerhalb des Landes passiert", sagt er. So gebe es beispielsweise kirchliche Sendungen in Fernsehen und Rundfunk, die sich an die Glaubensbrüder im Norden richteten. "Wie viel davon bei ihnen ankommt, ist natürlich die andere Frage. Wahrscheinlich nicht viel", sagt Shin resigniert.
Überhaupt blickt der Geistliche pessimistisch in die Zukunft Nordkoreas. "In Europa hat man die Rede Kim Jong Uns zwar mit viel Aufmerksamkeit verfolgt. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sich viel ändern wird". Shin fällt eine Anekdote ein. Vor vielen Jahren, in den 1990ern, sei er einmal im Ausland mit einer Sondergenehmigung mit nordkoreanischen Funktionären zusammengetroffen. Und er habe versucht, mit ihnen zu reden: "Ich hatte das Gefühl, ich stehe vor einer Wand".
Von Gabriele Höfling