Geistlich speisen in Rom
Madonna, hab Erbarmen. Wo einst eine Bruderschaft für arme Seelen im Fegefeuer betete, laben sich jetzt fröhliche Esser an Koteletts vom Milchlamm, Pistazien-Garnelen-Risotto und geschmortem Ochsenschwanz. Hinter dem Kirchenportal reihen sich Tische statt Kniebänke, warten Weinflaschen statt Weihwasser. Früher verehrte man hier ein Marienbildnis - Madonna della Clemenza, die Muttergottes der Nachsicht.
"La Canonica", das Restaurant wenige Schritte abseits der Piazza Santa Maria in Trastevere, ist ein Stück Rom, wie es römischer nicht sein könnte: historienschwer, katholisch, quirlig und ein bisschen respektlos. In dieser Stadt, die antike Sarkophage als Pferdetränken oder Tempelfriese für Garageneinfahrten recycelt, können auch Kirchen zu Gaststätten werden.
Kirche blieb immer ein Ort von Gemeinschaft
Der Wandel vom christlichen Gotteshaus zu einem Tempel des Bacchus ist mitnichten ein Frevel. Das Bistum Rom hat jedenfalls längst einen Frieden damit gemacht. Schon vor hundert Jahren wurde Santa Maria della Clemenza, eingezwängt zwischen zwei Wohnhäuser im Vicolo del Piede, dem liturgischen Gebrauch entzogen, der Altar entfernt. Seit 1970 beherbergen die Mauern ein Restaurant in Familienbesitz.
Nach dem, was die Wirtin Loriana Bianchi über die Vorgeschichte ihres Lokals weiß, war es ohnehin ein fließender Übergang vom Heiligen zum Profanen: Wie sie erzählt, nutzten im 19. Jahrhundert die Geistlichen der benachbarten Basilika Santa Maria in Trastevere das Kirchlein als Pausenraum. Als es aufgegeben und dem Verfall preisgegeben war, richteten die Anwohner eine Art Besenwirtschaft ein. Die Kirche blieb jedenfalls immer eines: ein Ort von Gemeinschaft.
Mit der Kirchenleitung hatten die aktuellen Wirtsleute also nie einen Konflikt. Wohl aber mit dem Ordnungsamt, das - zu Unrecht, wie Frau Bianchi betont - die Tische im Freien moniert. Und es gab einen bösen Nachbarn, der in die Pflanzkübel neben dem Eingang Benzin goss und so die prachtvolle Pergola über der Gasse ruinierte. "Wir werden verfolgt", sagt Bianchi.
Noch weniger Segen lag auf einem ähnlichen Projekt nahe dem Trevibrunnen. San Giovanni della Ficozza, erstmals 1199 erwähnt, diente als Pfarrkirche, ab 1584 als Nationalkirche der maronitischen Christen aus dem Libanon. Im 19. Jahrhundert rückte das polnische Priesterseminar nach; dann, als der Komplex 1936 zu klein wurde, eine Autowerkstatt und später eine Kaffeebar.
Raffaels Sibyllen mit einem Espresso in der Hand betrachten
Schließlich öffnete 1998 das Restaurant "Sacro e Profano" seine Pforten: ein Neuanfang, mit dem auch die verbliebenen Fresken, der erhöhte Chorraum und die Wandgliederung durch Pilaster und Nischen würdiger zur Geltung kamen. Rezensionen des Lokals fielen freundlich aus. Weiß der Teufel, was dann passiert ist.
Die Gastwirtin von "La Stampa" gegenüber erinnert sich, dass man eines Abends im Herbst, als die letzten Gäste gegangen waren, einander Gute Nacht wünschte, und am nächsten Tag blieb "Sacro e Profano" zu. Die Blumen verdorrten, irgendwann quoll der Briefkasten über. Der Koch betrieb eine Zeit lang noch eine gesichtslose Pizzeria am Stadtrand. Nachbarn dort geben über ihn keine Auskunft. Seine Spur verliert sich in Kalabrien.
Als Gotteshaus noch in Gebrauch ist Santa Maria della Pace unweit der Piazza Navona. Kunstfreunden sind jedoch die spärlichen Öffnungszeiten ein Dorn im Auge. Auf ein Prunkstück der Innenausstattung, die Sibyllen Raffaels, lässt sich aber auch so ein Blick erhaschen - und sogar mit einem Tässchen Espresso in der Hand.
Der Weg führt über den Ausstellungskomplex Chiostro del Bramante links der Kirche. Mit dem Zauberwort "alla caffetteria" gelangt man, ohne eine Eintrittskarte zu lösen, zum Museumscafe im Obergeschoss. Von dort eröffnet ein Fenster zum benachbarten Kirchenraum eine ungewöhnliche Perspektive auf die antiken Seherinnen des umbrischen Meisters.
Älter als alle Kirchen Roms ist jüdische Gemeinde. Sie war eine der bedeutendsten in der Antike. Doch von den einst zahlreichen Synagogen bewahrte sich kaum eine Spur. Das wohl früheste noch erhaltene Bethaus findet sich in Trastevere im Vicolo dell'Atleta: Hebräische Buchstaben, kaum sichtbar eingraviert in der mittleren Säule einer kleinen Loggia, erinnern an die jüdische Vergangenheit.
Luxus-Hotel in einstigem Kloster
Heute ist hier ein Restaurant, "Spirito DiVino". Im Innern verweist nichts mehr auf die Synagoge aus dem 11. Jahrhundert - kein Thora-Schrein, keine Sitzbank, kein Baudekor. Der Gastraum beherbergt einen Brunnenschacht, mehrere Meter tief. Junior-Chef Francesco Catalani spekuliert, es könne sich um das rituelle Tauchbad handeln. Eine gewagte Vermutung, ebenso die These, zwischen den antiken Fundamenten des heutigen Weinkellers habe vielleicht Apostel Paulus die Juden belehrt. Aber wer weiß?
Einen Spazierweg weiter, am Aufstieg zum Gianicolo, liegt das einstige Kloster der Augustiner-Oblatinnen. Die Fürstin Donna Camilla Virginia Savelli gründete die Gemeinschaft 1641 und gewann den damals begehrten Architekten Francesco Borromini für den Kirchenbau. Am Ende hatten sich beide übernommen; sie finanziell, er arbeitsmäßig. Aber der Konvent bestand immerhin mehr als 300 Jahre.
Dann mussten sich die Ordensfrauen verkleinern und traten den Hauptteil ihres Anwesens einem Hotelbetreiber ab. Nach der Sanierung schrieben römische Medien spöttisch von einem "Luxus-Konvent". Im Hof parken Bentleys und Porsches, nebenan beten und arbeiten die verbliebenen Schwestern bescheiden und still wie ehedem. Die Hotelbar steht auch auswärtigen Gästen offen - und nirgends in Rom genießt man seinen Aperitif friedlicher als unter den Lauben des Klostergärtchens.