Glücks Momente
2010: In den ersten Monaten des Jahres erlebt die katholische Kirche in Deutschland eine ihrer schlimmsten Krisen. Ausgehend von Berlin geht eine Enthüllungswelle von Kindesmissbrauch in kirchlichen Einrichtungen durchs Land. Die Bischöfe sind zunächst wie gelähmt und finden keine Worte. Glück ist erst seit wenigen Wochen im Amt, doch der CSU-Spitzenmann springt in die Bresche und gibt so viele Interviews wie nie zuvor. Dabei beschönigt der Oberbayer nichts, stellt aber auch niemanden bloß.
6. November 2015: Der Bundestag verbietet die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe. Die Abgeordneten haben die Wahl zwischen vier Anträgen, der Fraktionszwang ist aufgehoben. Die Entscheidung fällt früh und mit breiter Mehrheit. Es ist auch ein Erfolg für Glück, der in den zurückliegenden Monaten auf allen Ebenen Überzeugungsarbeit geleistet hat, durch Briefe, vertrauliche Hintergrundgespräche, öffentliche Stellungnahmen. Einige konservative Katholiken und auch Bischöfe hätten ein Totalverbot bevorzugt, das aber keine Chance auf eine Mehrheit hatte.
Der Vorgang ist typisch für das, wofür Glück steht: für einen gediegenen Kompromiss, für eine realistische Sicht auf das Machbare in einer pluralistischen Gesellschaft, in der die überzeugten Christen nicht mehr werden. Beim Werben für seine Position, die von einer breiten Mehrheit der katholischen und evangelischen Kirche getragen wird, hat sich der gelernte Landwirt aus dem Chiemgau nie auf Gott oder den Papst berufen.
Religiöse Autoritäten reichen nicht
Mit dem Verweis auf religiöse Autoritäten oder die reine Gesinnung lässt sich nach seiner Überzeugung in einer säkularen Gesellschaft keine Durchschlagskraft mehr erzielen. Es zählt nur das mit Sachkunde vorgetragene Argument, das überdies nicht den Anschein erwecken darf, rein kirchliche Interessen zu wahren, sondern auf das Gemeinwohl ausgerichtet sein muss.
Diesem Credo ist Glück nicht erst als ZdK-Präsident gefolgt, sondern davor auch als Parlamentarier. Seine Partei hat ihn dafür mit dem informellen Ehrentitel "wandelnder Vermittlungsausschuss" bedacht. Im Nachhinein verhehlt der 75-Jährige nicht, dass er sich dafür manchmal auch mehr Rückhalt seiner Kirche gewünscht hätte.
Unter Glücks Ägide hat sich das oberste katholischen Laiengremium konsolidiert. 2009 musste der passionierte Bergwachtler entgegen seiner persönlichen Lebensplanung als Nothelfer einspringen. Die Deutsche Bischofskonferenz hatte zuvor einen bereits gewählten Kandidaten durchfallen lassen. Der bis dato Bayerische Landtagspräsident ließ sich in die Pflicht nehmen. In seiner Amtszeit blieben weitere Zerreißproben aus, auch wenn das ZdK mit seiner öffentlichen Positionierung vor der Familiensynode für eine kirchliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften bei mehreren Bischöfen Stirnrunzeln auslöste.
Neues Vertrauen durch den Dialogprozess
Die Missfallensbekundungen aus dem Episkopat fielen zwar deutlich aus, doch zu einem Zerwürfnis kam es deshalb nicht. Das liegt auch an einem belastbarer gewordenen Verhältnis zwischen Bischöfen und den Vertretern kirchlicher Verbände, Räte und Initiativen. Glück hat sein Gremium nicht als Opposition zum kirchlichen Amt profiliert, sondern als integrative Kraft.
Im Dialogprozess, den Glück nach dem Missbrauchsskandal engagiert mit vorantrieb, wurde neues Vertrauen aufgebaut. Am Ende beteiligten sich auch Bischöfe, die sich anfangs skeptisch zurückgehalten hatten. Beim Regensburger Katholikentag 2014 in Regensburg ließen sich erstmals konservative Gruppen einbinden, die dem ZdK bisher reserviert gegenüberstanden. Es scheint, als sei es in der katholischen Kirche in Deutschland leichter geworden, Differenzen untereinander auszutragen und auszuhalten. Man darf gespannt sein, wie der Nachfolger oder die Nachfolgerin Glücks mit diesem Erbe umgehen.