Kirchenrechtler Ohly über den Brief des Papstes

Heilige Pforte Gefängnistür

Veröffentlicht am 03.09.2015 um 13:30 Uhr – Von Oliver Buchholz – Lesedauer: 
Kirchenrecht

Bonn ‐ Anfang der Woche hat ein Brief des Papstes zum Jahr der Barmherzigkeit für Wirbel gesorgt. Im Interview mit katholisch.de erklärt der Kirchenrechtler Christoph Ohly, wie die päpstlichen Anordnungen zu Ablass, Piusbrüdern und Abtreibung zu verstehen sind.

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Frage: Bei der Pilgerfahrt nach Rom gewinnen die Gläubigen im Heiligen Jahr den Jubiläumsablass: Der Papst spricht jetzt auch von Gefängnissen und Krankenbetten als Orten, an denen man einen solchen Ablass erwerben kann. Wie geht das zusammen?

Ohly: Der originäre Bezugspunkt für die Feierlichkeiten und den Jubiläumsablass in einem Heiligen Jahr ist die sogenannte "Heilige Pforte" im Vorbereich der Peterskirche in Rom. Man konnte diesen Ablass aber schon immer auch dann erlangen, wenn man die "Heilige Pforte" einer anderen, eigens dafür in den Diözesen benannten Kirche aufsuchte. Das soll deutlich machen, dass das Heilige Jahr die universale Kirche betrifft und allen Gläubigen die Möglichkeit gegeben sein soll, die Gnadengeschenke eines solchen besonderen Jahres zu empfangen. Insofern knüpft Papst Franziskus hier an eine gute Tradition der Heiligen Jahre an.

Andererseits hat er die Frage des Ortes insofern erweitert, als er dafür spezifische Gruppen in den Blick nimmt, und hier vor allem die Kranken, Alten, Einsamen und Gefangenen, die ja durch ihre spezifische Situation oft an ihren jeweiligen Ort gebunden sind. Er erklärt diese Stätten sozusagen zu "Heiligen Pforten", sei es das Krankenbett, sei es die Gefängniszelle, wo sich die Gläubigen mit den Gebeten der Kirche vereinen und durch die diversen Medien an den Feierlichkeiten des Jahres teilnehmen. Es berührt sicher sehr, wenn Papst Franziskus beispielsweise die Zellentür des Gefangenen zu einer solchen Pforte erhebt, bei deren Durchschreiten sich der Gefangene im Gebet an den Vater mit dem Gebet der Kirche verbindet. Solche recht konkreten Überlegungen gehen ohne Zweifel über bisherige Bestimmungen zum Heiligen Jahr hinaus und unternehmen den Versuch, wirklich alle mit in die Bitte der Kirche um Gottes Barmherzigkeit und ihre Vermittlung einzubeziehen.

Professor Christoph Ohly
Bild: ©picture alliance/dpa

Professor Christoph Ohly hat den Lehrstuhl für Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät Trier inne.

Frage: Die Beichte wird bei den Kranken und Gefangenen nirgends ausdrücklich als Voraussetzung für den Ablass erwähnt. Reichen etwa für den Gefangenen tatsächlich ein Stoßgebet und der Gang durch die Zellentür für den besonderen Ablass aus?

Ohly: Papst Franziskus erinnert zu Beginn seines Briefes grundsätzlich an die Bedingungen zur Erlangung eines Ablasses. Dazu zählt neben dem Kommunionempfang, dem Glaubensbekenntnis und dem Gebet in den Anliegen des Papstes und der Kirche auch und gerade der Empfang des Bußsakraments. Der Ablass als solcher ist theologisch ja ohne die vorausgehende Beichte nicht zu verstehen. Die konkret aufgeführten Bedingungen gelten somit für alle Gläubigen, die Rompilger ebenso wie für die, die sich auf den verschiedenen Wegen auf eine wirkliche oder geistliche Pilgerschaft begeben, darunter auch die Kranken, Alten, Einsamen und Gefangenen. Daraus folgt, dass es im Heiligen Jahr auch für sie verstärkt die Möglichkeit zur Beichte geben muss. Hier sind tatsächlich alle Priester vom Papst in die Pflicht gerufen; im Fall der Gefangenen vornehmlich die Priester, die als Gefängnisseelsorger ihren Dienst tun.

Diese Bestimmungen gelten folglich auch bei den genannten "Werken der Barmherzigkeit", die Papst Franziskus in seinem Brief erwähnt: Es genügt nicht allein ein Werk der Barmherzigkeit, wie etwa Hungrige zu speisen oder Fremde zu beherbergen. Auch dort gehören Beichte, Gebet und Kommunion zum Erlangen des Ablasses dazu.

Frage: Franziskus hat auch festgelegt, dass jeder Priester eine Absolution für den Tatbestand einer Abtreibung erteilen kann. Inwiefern ist das eine Neuerung?

Ohly: Bisher können Priester im Fall der Abtreibung nur dann die sakramentale Absolution erteilen, wenn zuvor die mit der Abtreibung eingetretene Kirchenstrafe der Exkommunikation durch den zuständigen Bischof aufgehoben und der Gläubige dadurch wieder in die volle Gemeinschaft mit der Kirche aufgenommen wird. Allerdings sieht das kirchliche Gesetzbuch vor, dass der Beichtvater die Kirchenstrafe im Bereich der Sakramentenspendung nachlassen kann, wenn es für den Beichtenden zu hart ist, im Stand der schweren Sünde so lange zu verharren, bis der Bischof angegangen werden kann. Der Beichtende ist in diesem Fall aber verpflichtet, sich nach der Lossprechung innerhalb eines Monates an den zuständigen Bischof zu wenden, um den Nachlass der Kirchenstrafe mitzuteilen. Allerdings kann dieser sogenannte Rekurs an den Bischof auch ohne Namensnennung durch den Beichtvater selbst erfolgen.

Nun haben die deutschen Bischöfe in Anwendung dieses Dringlichkeitsfalls schon seit geraumer Zeit generell auf diesen Rekurs verzichtet, um die Situation der Beichte nicht zu erschweren. Das heißt, in Deutschland ist es generell möglich, dass der Priester bei der Beichte bevollmächtigt ist, sowohl von dieser Kirchenstrafe zu befreien als auch in direktem Anschluss daran die Absolution zu erteilen. Diese Möglichkeit möchte Papst Franziskus für den Zeitraum dieses Jahres der Barmherzigkeit auf die ganze Kirche ausdehnen. Es ist durchaus denkbar, dass er auch auf Zukunft hin daran festhält und es damit möglicherweise zu einer entsprechenden rechtlichen Veränderung - sprich zu einer generellen Bevollmächtigung der Beichtväter zum Nachlass der Exkommunikation im Fall der Abtreibung - kommt.

Linktipp: Themenseite Heiliges Jahr

Papst Franziskus hat am 13. März 2015 die Feier eines außerordentlichen Heiligen Jahres angekündigt. Dieses "Jubiläum der Barmherzigkeit" beginnt mit der Öffnung der Heiligen Pforte im Petersdom am 8. Dezember 2015, dem Hochfest der Unbefleckten Empfängnis Mariens, und endet am 20. November 2016 mit dem Christkönigssonntag. Diese Themenseite bündelt die katholisch.de-Berichterstattung zum Heiligen Jahr.

Frage: Am Ende des Briefes spricht der Papst auch die Piusbruderschaft an: Wie schätzen Sie sein Entgegenkommen ein? Als kleine Geste oder großen Schritt?

Ohly: Dieses Entgegenkommen ist für Papst Franziskus sicher ein wichtiges Zeichen. Er weiß, dass nicht wenige Gläubige in Gottesdiensten der Piusbrüder die Sakramente empfangen, aber zugleich um die schwierige Situation der Bruderschaft in der Katholischen Kirche wissen. Für den Zeitraum des Heiligen Jahres soll es nun möglich sein, dass die Gläubigen die Beichte bei den Priestern der Piusbruderschaft gültig und erlaubt empfangen. Für Papst Franziskus scheint dies ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einer vollen Einheit mit der Piusbruderschaft zu sein, die er nach seinen Worten aus den vergangenen Tagen für die nahe Zukunft herbeisehnt.

Frage: Der Papst hat für diese Bestimmungen die Briefform gewählt: Ist diese Form als solche schon rechtsverbindlich?

Ohly: Der Papst kann die Form frei bestimmen. Er hat sich für diesen Brief entschieden. Und damit ist durch den Brief das vorgegeben, was Papst Franziskus für das Heilige Jahr als notwendig erachtet.

Stichwort: Ablass und Absolution

Der Ablass ist die gnadengewirkte Läuterung des Sünders durch die Verrichtung einer Buße. Durch diesen Gnadenakt werden ihm die zeitlichen Sündenstrafen (also jene Folgen, die aus der Sünde selbst stammen) erlassen, nicht jedoch die Sünden selbst vergeben. Die Sündenvergebung geschieht allein im Sakrament der Versöhnung. Mit der Entwicklung der Lehre vom Fegefeuer entstand die Vorstellung von zeitlichen Sündenstrafen im Jenseits, die durch Buße und gute Werke im Diesseits vermieden oder verkürzt werden können. Aus diesem für die katholische Lehre bis heute gültigen Grundgedanken entwickelte sich im Mittelalter allerdings eine fragwürdige Praxis. So konnte durch die Ableistung einer bestimmten Zahl von Bußwerken und durch die Zahlung einer Geldsumme eine festgelegte Zahl von Tagen im Fegefeuer aufgehoben werden. Die heutige katholische Ablasslehre wurde von Papst Paul VI. 1967 neu festgelegt und von Papst Johannes Paul II. zuletzt 1998 in der Bulle für das Heilige Jahr 2000 bestätigt. Demnach unterscheidet die Kirche zwischen einem teilweise erfolgenden und einem vollkommenen Ablass. Letzteren kann zu bestimmten Anlässen - etwa zu einem Heiligen Jahr - jeder Katholik für sich oder für einen Verstorbenen erwerben, der nach Beichte, Eucharistie und Gebeten bestimmte Werke der Buße vollzieht. Eine Absolution ist eine Lossprechung von Sünden durch den Priester. Sie stellt den Abschluss des Bußsakramentes, also der Beichte, dar. Ihr geht ein persönliches Sündenbekenntnis voraus und sie verlangt den Willen zur Besserung.
Von Oliver Buchholz