Vor 100 Jahren wurde Heinrich Böll geboren

Heinrich Böll: Ein katholischer Rebell

Veröffentlicht am 21.12.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Literatur

Bonn ‐ Er kritisierte die Institution Kirche scharf und blieb doch nach eigener Auffassung zeitlebens katholisch. Dieses zwiespältige Verhältnis prägte auch sein literarisches Werk. Heute würde Heinrich Böll 100 Jahre alt.

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Unter den großen Schriftstellern der deutschen Nachkriegszeit war keiner so katholisch wie er: Heinrich Böll, der heute vor 100 Jahren in Köln geboren wurde. In seinen Romanen und Erzählungen ist der rheinische Katholizismus der Adenauer-Ära nahezu allgegenwärtig; von seinem Romandebüt "Wo warst du, Adam?" bis hin zu seinem letzten Werk "Frauen vor Flußlandschaft".

Die Frauen heißen bei Böll Maria oder Marie; Priester, Kirchen und Weihwasserbecken gehören zum festen Inventar seiner Werke, und die meisten Hauptfiguren haben Schwierigkeiten, ihr "fleischliches Verlangen" den rigiden Vorschriften der kirchlichen Sexualmoral zu unterwerfen. So wurde Böll auch zum Chronisten der katholischen Kirche in der jungen Bundesrepublik.

Doch auch jenseits seiner Werke meldete er sich bis zuletzt zu kirchlichen Themen zu Wort und nahm dabei kein Blatt vor den Mund. Böll verachtete die Kirche der "Pfaffen", die den Glauben nur verwalteten. Ihr stellte er die Kirche Jesu gegenüber, die auf der Seite der Armen und Entrechteten steht. Nicht umsonst wird er oft als "katholischer Rebell" bezeichnet.

Austritt wegen der Kirchensteuer

Böll selbst sagte über sein schwieriges Verhältnis zur Kirche als Institution einmal, es sei wie mit dem Deutschsein: "ständige Spannung, ständige Ablehnung - und Wissen: doch dazuzugehören – unvermeidlich". Doch zumindest formal dazugehören wollte er 1976 nicht mehr. Zusammen mit seiner Frau Annemarie trat er aus der Kirche aus, weil er die Kirchensteuer als "Zuhälterei" empfand. Allerdings blieb er auch jetzt noch "trotz allem katholisch, katholisch, katholisch", wie er 1981 in seiner autobiographischen Erinnerung "Was soll bloß aus dem Jungen werden" schreibt.

Dieses zwiespältige Verhältnis zur katholischen Kirche prägte auch sein literarisches Werk. Im Roman "Und sagte kein einziges Wort", seinem ersten großen Publikumserfolg, empfindet die Hauptfigur Käte Bogner, deren Ehe angesichts der beengten Wohnverhältnisse im Nachkriegsdeutschland fast zerbricht, "Hass auf die Priester, die in großen Häusern wohnen und Gesichter haben wie Reklamebilder für Hautcreme". Andererseits ist es dann ein "Dreiminuspriester" ohne Orden, ohne gute Zeugnisse und ohne "Märtyrer-Krone", der Bogner hilft.

Bild: ©dpa/picture alliance

Die Adenauer-Ära prägte die Romane und Erzählungen Heinrich Bölls in besonderer Weise.

Heftige Proteste löste 1958 Bölls "Brief an einen jungen Katholiken" aus. Wegen seiner schonungslosen Abrechnung mit dem deutschen Nachkriegskatholizismus setzte der damalige Intendant des Süddeutschen Rundfunks den Text, der ursprünglich für eine Sendung vorgesehen war, kurzfristig ab. Der Brief erschien schließlich in der Zeitschrift "Werkhefte katholischer Laien". Die deutschen Katholiken hätten "seit Jahrzehnten kaum andere Sorgen gehabt, als die Vervollkommnung der Liturgie und die Hebung des Geschmacks", heißt es darin. Das sei zwar höchst lobenswert. Doch der Briefschreiber fragt sich, "ob es als Alibi für eine oder zwei Generationen ausreicht". Ebenso hart ins Gericht ging Böll mit dem Schulterschluss zwischen katholischer Kirche und Adenauer-CDU. "Sie können getrost Zweifel am Dogma von der leiblichen Himmelfahrt Mariens äußern", heißt es in dem Brief. "Sollte es Ihnen jedoch einfallen, Zweifel am (unausgesprochenen) Dogma von der Unfehlbarkeit der CDU zu äußern, so wird der Pfarrer auf eine nervöse Weise ungemütlich". Bereits 1957 hatte sich Böll gegen die öffentlichen Wahlempfehlungen der katholischen Bischöfe für die Unionsparteien gewandt. Mit Blick auf die rigide kirchliche Sexualmoral heißt es in dem Brief, die eigentliche sittliche Gefahr seiner Jugend sei das Reichskonkordat zwischen dem Vatikan und Hitler-Deutschland von 1933 gewesen. Doch auch die vermeintlich fortschrittlichen Katholiken kommen bei Böll nicht ungeschoren davon. Die geistige Haltung, die aus Beschimpfungen der Bischöfe, des Klerus und der Generalvikariate spreche, sei "kaum ernster zu nehmen als die eines Obersekundaners, der sich beim Kommers über seinen Klassenlehrer lustig macht", schreibt er.

Die stärksten Proteste von Kirchenvertretern löste 1963 Bölls Roman "Ansichten eines Clowns" aus. Der Roman erzählt die Geschichte des Clowns Hans Schnier, dessen Beziehung zur streng katholischen Marie nach sechs Jahren letztlich daran scheitert, dass er nicht katholisch ist und Marie sich dem Druck ihres Umfelds beugt, indem sie ihn verlässt. Nach einem Vorabdruck in der "Süddeutschen Zeitung" forderte die Katholische Aktion die Redaktion der Zeitung auf, die "stellenweise schamlosen Bettgeschichten" in dem Buch dem Zugriff Jugendlicher zu entziehen. Doch auch auf literarischer Ebene entfachte das Buch eine Kontroverse. Auslöser war eine Rezension des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki in der Wochenzeitung "Die Zeit". Er, der frühere Werke Bölls gelobt hatte, warf ihm nun vor, dass er über seine Kirchenkritik den Blick auf die gesellschaftlichen Entwicklungen verloren habe.

Marcel Reich-Ranicki mit Fotografen
Bild: ©dpa

Übte scharfe Kritik an Böll: der bekannte Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki.

Böll schrieb nicht nur über Krieg und Kirche. In den 1970er-Jahren prangerte er in seinem Roman "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" die hetzerische Berichterstattung der Boulevardpresse in der Ära des RAF-Terrors an. Im Roman "Eine fürsorgliche Belagerung" verarbeitet er den "Deutschen Herbst" 1977, als der RAF-Terror seinen Höhepunkt erreichte. Böll selbst wurde damals wegen seiner Forderung nach einem besonnenen Handeln angesichts des Terrors von der Zeitung "Bild" angegriffen und sah sich selbst als Opfer eine Hetzkampagne.

Doch auch in seinem Roman über den Deutschen Herbst lässt ihn das Thema Kirche eben so wenig los wie der Zweite Weltkrieg.

Was von Bölls Werk bleibt

Was heute von Bölls Werk übrig bleibt, entscheidet sich jedoch nicht an der Frage, ob seine Kirchenkritik aktuell oder überholt ist. Ausschlaggebend ist die literarische Qualität. Spätestens seit den 1980er-Jahren scheint das Interesse an Böll deutlich nachgelassen zu haben. Bereits zu Lebzeiten begleitete den Autor die Debatte, ob er nicht mehr wegen seiner moralischen Integrität als wegen seiner literarischen Qualität geschätzt werde. Selbst als er 1972 den Literaturnobelpreis erhielt, verstummte sie nicht. Die meisten Literaturkritiker und Germanisten teilen heute die Auffassung Reich-Ranickis, dass wahrscheinlich nur einige Kurzgeschichten Bölls die Zeiten überdauern werden, die Romane jedoch nicht.

Nach seinem Tod am 16. Juli 1985 wurde Böll auf eigenen Wunsch kirchlich begraben – obwohl er aus der Kirche ausgetreten war. Proteste gegen diese Entscheidung wies der Vatikan mit einem Argument zurück, das Böll wohl gefallen hätte: Es entspreche nicht "dem Ernst der letzten Stunde eines Mitmenschen, zu fragen, ob er zuvor seine geschuldete Kirchensteuer nachbezahlt hat", beschied Rom denen, die Böll den kirchlichen Segen nicht gönnten.

Von Thomas Jansen