Helfen, wo es geht
Auf einen Fortschritt im verzweifelten Kampf gegen die islamistische Terrormiliz, deren Name soviel heißt wie "Westliche Bildung ist Sünde", hoffen Beobachter aufgrund der Wahl jedoch nicht. Im Gegenteil. "Obwohl Boko Haram sich territorial ausweitet und Menschen aus ihren Häusern vertreibt, sind unsere Entscheidungsträger und Politiker ganz wild mit Wahlkampagnen beschäftigt", sagte der Vorsitzende der Nigerianischen Bischofskonferenz, Erzbischof Ignatius Kaigama (im Bild oben) kürzlich in einem Interview mit dem Hilfswerk Missio.
Ähnliches hat auch der Journalist Marc Engelhardt beobachtet, der bis 2010 sieben Jahre in Afrika lebte und noch immer Kontakt zu Kollegen vor Ort hat. Die bevorstehenden Wahlen spielen der Terrorgruppe nach seiner Einschätzung sogar in die Hände. "Die im Wahlkampf befindlichen Parteien haben im Moment kein Interesse, Boko Haram zu stoppen", sagt er. "Die Regierung profitiert, wenn die Menschen in den betroffenen Gebieten nicht wählen gehen können, da sie traditionell für die Opposition stimmen. Und die Opposition profitiert ihrerseits, weil das Chaos im Norden die Regierung von Jonathan Goodluck schlecht dastehen lässt", analysiert er. Nicht zuletzt nutze auch Boko Haram selbst die bevorstehenden Wahlen, um auf der politischen Ebene eine stärkere Präsenz zu bekommen. "Obwohl die Terrorgruppe im Norden einen Kalifatsstaat errichtet hat, der etwa so groß ist wie Belgien, spielt das im Südens kaum eine Rolle." Dort werde der Konflikt noch als eine lokale Angelegenheit wahrgenommen.
Geplündert, vergewaltigt, getötet
Mehr Unterstützung hätten die Menschen in den von Boko Haram beherrschten Gebieten jedoch dringend nötig. Christen - besonders in den Diözesen Maiduguri und Yola - seien einem "Leid ausgesetzt, das zuvor so undenkbar war", beklagt Erzbischof Kaigama gegenüber Missio. Menschen würden getötet und vertrieben, lebten unter unmenschlichen Bedingungen in Höhlen oder Wäldern, nicht wenige seien gezwungen worden, zum Islam zu konvertieren. Damit deckt sich auch die Beschreibung Engelhardts: "Wo Boko Haram in ein Dorf kommt, wird geplündert, vergewaltigt, getötet", sagt er.
Die Unterdrückung der Bevölkerung gehört seiner Ansicht nach zum Kalkül der Terrorgruppe. "Wie schafft es eine Miliz von einigen Tausend Kämpfern, ein Gebiet mit rund 1,7 Millionen Menschen zu unterwerfen? Indem sie Angst und Schrecken verbreitet", analysiert Engelhardt.
Es ist eigentlich kein Gotteskrieg
In seinem Buch "Heiliger Krieg, Heiliger Profit" stellt der Afrika-Kenner die These auf, dass es sich bei den Gewalttaten letztlich gar nicht um einen Gotteskrieg handelt – sondern schlicht um organisierte Kriminalität. "Die Religion dient lediglich als Vorwand, um Menschen zu unterdrücken und zu vertreiben." So hätten viele Christen nicht nur ihre Religion gemeinsam - viele von ihnen seien auch Landbesitzer, deren Territorien enteignet würden. "Die einfachen Kämpfer und Fußsoldaten von Boko Haram mögen Islamisten sein, aber die Motive der Anführer sind andere", ist Engelhardt überzeugt.
Ihnen gehe es vor allem darum, mit dem Terror Geld zu verdienen. Und das funktioniere sehr gut: Die Terroristen verlangten Schutzgeld von der Bevölkerung in den unterdrückten Gebieten, betrieben Menschenhandel, dealten mit Drogen, schmuggelten Waffen. Folglich sei der Vormarsch von Boko Haram auch nicht mit militärischen Mitteln zu stoppen, so Engelhardt. Die empfindlichste Stelle der Organisation seien ihre Finanzen. "Die Geldflüsse müssen offen- und trockengelegt werden, das ist die einzige Chance", so Engelhardt. Er beschreibt Nigeria als einen Staat, in dem Korruption eine große Rolle spielt.
Auch Erzbischof Kaigama berichtet, dass sogar Gelder veruntreut würden, die eigentlich für Hilfsgüter bestimmt seien. In dieser Situation hilft die Kirche vor Ort, wo sie kann. Sie kümmert sich um Vertriebene, sammelt Hilfsgüter und Spenden. Doch das ist bisher nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Es werde noch viel gebraucht, sagt Kaigama.
Von Gabriele Höfling