Herde gegen Hirten
Auch im Gottesdienst gibt es, insbesondere in der Deutschschweiz, allerlei Protestantisches, von der Laienpredigt bis zu Frauen in liturgischen Gewändern.
"Es reicht"
Im Bistum Chur, das ländliche Kantone wie Graubünden und Schwyz, aber auch den großstädtischen Kanton Zürich umfasst, droht die Unbotmäßigkeit nun erneut zu eskalieren: Unter dem Motto "Es reicht" wollen aufsässige Eidgenossen am 9. März beim Vorsitzenden der Bischofskonferenz in Sankt Gallen gegen den Churer Bischof Vitus Huonder demonstrieren, ja den Rücktritt der gesamten Bistumsleitung erzwingen.
Der Unmut entzündet sich nicht an einem teuren Bau oder an Missbrauchsfällen. Es geht um die Lehre. Huonder pocht auf den Buchstaben des Katholischen, und er scheut sich nicht, diese, seinem Hirtenamt gemäß, als verbindlich einzufordern. Querelen gibt es viele: um Abtreibungsfinanzierung, den Umgang mit Homosexualität, die Umfrage zu Ehe und Familie oder zuletzt um die Leitung des Priesterseminars. Eine Aussöhnung zwischen Hirt und Herde scheint ferne.
Unmittelbarer Anlass war ein Vorschlag des Bistums im Januar, wiederverheiratete Geschiedene und andere in einer "irregulären Situation" Lebende sollten beim Kommuniongang mit verschränkten Armen vor den Priester treten und sich segnen lassen, statt die Kommunion zu empfangen."Wir haben genug von disziplinierender Haltung, von hartherziger Theologie und pessimistischen Bischöfen, die den Gläubigen misstrauen", heißt es vonseiten der Protestierer. Und sie nehmen dabei auch die Bischofsbrüder Huonders in die Pflicht: Sie ließen es sich gefallen, dass Huonder die Themen diktiere; es sei Zeit, "dass die Schweizer Bischofskonferenz Verantwortung übernimmt und - gemeinsam mit uns - einsteht für eine neue Leitung des Bistums Chur".
Nicht der Botschafter, sondern die Botschaft passt nicht
Der Churer Mediensprecher Giuseppe Gracia reagierte gelassen auf die angekündigte Demo. Der Unmut richte sich nicht primär gegen die Person des Bischofs, sondern gegen die kirchliche Lehre, die dieser vertrete, sagte Gracia der Schweizer Presseagentur Kipa. Namentlich die katholische Sexualmoral werde "als nicht mehr zumutbar empfunden". Huonders Sprecher weiter: "Vielleicht schießt man auf einen Bischof, weil das emotionaler ist und zu größerer Medienresonanz führt. Aber es wird das Grundproblem nicht lösen - denn das ist nicht der Botschafter, sondern die Botschaft, die nicht passt."
Streit im Bistum Chur - das weckt ungute Erinnerungen an die 90er Jahre. Damals liefen Katholiken Sturm gegen Bischof Wolfgang Haas (1990-1997). Der war - unter Umgehung der Rechte der Diözese - vom Vatikan direkt ernannt worden und stieß durch konservative Haltung und Personalentscheidungen die an Mitbestimmung gewöhnte Herde vor den Kopf. Nach jahrelangen Konflikten versetzte Johannes Paul II. den heute 65-jährigen Haas im Dezember 1997 ins neu geschaffene Erzbistum Vaduz im Zwergstaat Liechtenstein. Nominell eine Beförderung, tatsächlich die Zerschlagung eines Gordischen Knotens.
Haas' Nachfolger in Chur, dem Benediktiner Amedee Grab (84), gelang es in seiner zehnjährigen Amtszeit, Gras über die Zerwürfnisse wachsen zu lassen. Nun droht der Konflikt erneut zu eskalieren. Der Schweizer Bischofskonferenz-Vorsitzende - derzeit Bischof Markus Büchel von Sankt Gallen - ist von Amts wegen kein starker Mann, der es richten könnte, sondern Ehrenamtler unter Gleichen. Einstweilen ist Vitus Huonder mit 71 Jahren im besten Bischofsalter; seine turnusmäßige Amtszeit dauert bis mindestens April 2017. Es könnten bewegte Jahre werden.
Von Alexander Brüggemann (KNA)