Hieronymus, der Frauenversteher
Der Kirchenvater Hieronymus (347-420) hat mit der Vulgata, der Übersetzung der Bibel ins Lateinische, ein großes Werk vorgelegt. Beim Übertragen des alttestamentlichen Buchs Judit hielt er sich aber nicht allzu sehr an die griechische Vorlage, wie die Würzburger Theologin Lydia Lange (32) für ihre Doktorarbeit herausgefunden hat. Im Interview spricht sie über die Abweichungen - und darüber, ob Hieronymus vielleicht ein Frauenversteher war.
Frage: Frau Lange, Hieronymus soll wissenschaftlich nicht sauber gearbeitet haben. Woran machen Sie das fest?
Lange: Die Formulierung "wissenschaftlich nicht sauber" lässt gleich an heutige Plagiatsdiskussionen denken. Für antike Übersetzungen muss aber ein anderer Maßstab angelegt werden. Schon damals gab es einen großen wissenschaftlichen Diskurs unter Bibelübersetzern, ob ein Text eher Wort für Wort oder sinngemäß und im Interesse des Lesenden übersetzt werden soll. In den Briefen des Hieronymus finden sich unterschiedliche Aussagen dazu. Bei seiner Übersetzung des Buches Judit allerdings zog er eher die sinngemäße Übersetzung vor, wie er im Vorwort schreibt.
Frage: Wie zeigt sich dies?
Lange: Beim Vergleich wird deutlich, dass die lateinische Fassung von Hieronymus nur zur Hälfte mit der griechischen Vorlage übereinstimmt. Dazu kommen inhaltliche Unterschiede. Der Kirchenvater stellt Judit etwa als sehr keusch dar. Das Wort "keusch" taucht aber in der griechischen Vorlage überhaupt nicht auf, auch nicht in den zahlreichen altlateinischen Übersetzungen, die vor der Übersetzung des Hieronymus entstanden. Nur bei ihm findet sich das Motiv, wonach Judit keusch war und deswegen von Gott erwählt wird, um Israel zu retten.
Frage: Judit soll schön gewesen sein und so dem General Holofernes in seinem Lager nicht nur den Kopf verdreht, sondern diesen gleich noch abgeschlagen haben...
Lange: So wird dies in allen Judittexten erzählt. In der Übersetzung des Hieronymus gibt es aber einen feinen Unterschied. Denn dort ist Judit nicht von Natur aus schön, sondern wird erst von Gott aufgrund ihrer Tugendhaftigkeit, wie es heißt, und nur zur Ausführung ihrer Tat wunderschön gemacht.
Frage: Gott mischt bei Hieronymus massiv mit...
Lange: Ja. In anderen Textfassungen des Buches Judit erfährt der Lesende nur, dass Gott die Not seines Volkes hört und sieht, mehr nicht. In Hieronymus' Vulgata-Fassung aber greift Gott aktiv in das Geschehen ein, indem er Judit schön macht. Auch versichert Judit ihrem Volk, nachdem sie wieder mit dem Kopf des Holofernes zurück in ihrer Heimatstadt Betulia ist, dass niemand sie im feindlichen Lager sowie auf den Wegen hin und zurück berührt habe. Gottes Engel habe sie beschützt. So wird ihre Keuschheit erneut betont.
Frage: Warum macht er das so?
Lange: Hieronymus wollte wohl, dass Judits asketische Lebensweise und Keuschheit bei seinen Lesenden Nachahmung findet. In seinem Vorwort bezeichnet er Judit als Vorbild und empfiehlt ihre Lebensweise allen Frauen und auch allen Männern. Die Unterstützung Gottes bei der Rettung des Volkes Israel stellt er darin auch in direkte Verbindung zu Judits vorbildlicher Lebensweise.
Frage: Sagt eine solche Interpretation etwas über den Charakter des Kirchenvaters aus?
Lange: Auf jeden Fall, dass ihm die Verbreitung seiner asketischen Idealvorstellung, die er selbst gelebt hat und die sich an der Juditfigur beobachten lässt, sehr am Herzen lag. Er empfiehlt sie zur Nachahmung vielfach auch in seinen Briefen. Dazu gehören neben der Einhaltung der Keuschheit unter anderem maßvolles Essen, ein Leben in Zurückgezogenheit, aber gemeinschaftlich unter Gleichgesinnten, bescheidene Kleidung, Verzicht auf Schmuck, Schminke und warme Bäder sowie Spenden an die Kirche. Nicht gemeint ist eine auszehrende Wüstenaskese, wie so manches Bild von Hieronymus suggeriert.
Hintergrund: Das Buch
Lydia Lange: Die Juditfigur in der Vulgata. Eine theologische Studie zur lateinischen Bibel (Deuterocanonical and Cognate Literature Studies, Band 36), Berlin 2016. Verlag De Gruyter, 456 Seiten, 129,95 Euro.Frage: Hieronymus soll sich in Rom mit reichen Witwen und Jungfrauen umgeben haben. War er so etwas wie ein Frauenversteher?
Lange (lacht): Als Hieronymus nach Rom kam, hat er schnell die Gemeinschaft zu diesem bereits bestehenden Zirkel von reichen aristokratischen Witwen und Jungfrauen gesucht. Er wurde ihr Mentor und hat seine Vorstellung der gemäßigten Askese dort vorgestellt und verbreitet. Viele Briefe von ihm an diese Frauen sind erhalten. Die Witwe Paula die Ältere sowie ihre Tochter Eustochium folgten Hieronymus sogar bis nach Bethlehem und unterstützten ihn dort mit dem Bau von zwei Klöstern.
Frage: Er hatte für seine Übersetzungen also auch die Frauen im Blick...
Lange: Nicht nur, aber sicherlich auch, wie seine vielen an Frauen adressierten Briefe und seine Vorworte zu einzelnen Bibelübersetzungen, in denen er auch Frauen aus diesem Zirkel als Adressaten erwähnt, zeigen. Leider haben sich keine Briefe von diesen Frauen erhalten, sondern nur Antwortbriefe von Hieronymus. Diese waren indes nicht privat gehalten, sondern für die Öffentlichkeit gedacht, sicher nicht zuletzt, um das asketische Leben weiter zu verbreiten.
Frage: Müssen jetzt auch andere Übersetzungen von Hieronymus mit neuen Augen betrachtet werden?
Lange: Für mich wäre es spannend zu sehen, welche Ergebnisse bei weiteren Textvergleichen etwa mit dem Pentateuch herauskommen, den fünf Büchern Mose. Das ist bisher noch nicht hinreichend untersucht worden. Hieronymus selbst gibt ja unterschiedliche Angaben über die beste Übersetzungspraxis und schwankt, ob eher wörtlich oder eher sinngemäß übersetzt werden müsse.