Familien streiten vor Bundesgericht für niedrigere Sozialabgaben

Hoffen auf die Rentenrevolution

Veröffentlicht am 27.09.2015 um 14:00 Uhr – Von Volker Hasenauer – Lesedauer: 
Familienpolitik

Freiburg ‐ Sind Familien mit Kindern die Zahlmeister der deutschen Sozialversicherung? Ein Rechtsstreit könnte Kranken- und Rentenversicherung stark verändern. Dabei stehen Milliarden auf dem Spiel.

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Am Mittwoch wird das höchste deutsche Sozialgericht in Kassel über die Klage des katholischen Diakons aus Freiburg entscheiden. Familie Essig - und mit ihr die sie unterstützenden Familienverbände - hoffen auf nicht weniger als eine Revolution der deutschen Sozialsysteme.

Dabei ist der Ausgang des Grundsatzstreits völlig offen. Das Bundessozialgericht könnte beispielsweise die Klage zurück an die Vorinstanzen verweisen. Essig fürchtet dies als "Supergau", weil dann weitere Jahre der Unsicherheit folgen dürften. Oder aber, wenn die Richter der Argumentation von Essig folgen, könnten sie den Ball ins Feld des Bundesverfassungsgerichts weiterspielen. "Eine Grundsatzentscheidung mit diesen gesellschaftspolitischen und finanziellen Folgen wird letztlich wohl nur Karlsruhe fällen können", glaubt der Familienvater.

Markus Essig
Bild: ©KNA

Der Freiburger Diakon Markus Essig klagt vor dem Bundessozialgericht. Er fordert, Familien mit minderjährigen Kindern bei den Beiträgen für Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung zu entlasten.

Unterstützt wird Essig vom Familienbund der Katholiken (FDK) und vom Deutschen Familienverband (DFV). Mit einer Internetkampagne "elternklagen.de" versuchen die Familien-Lobbyisten zudem, möglichst viele Eltern zu animieren, dem Beispiel Essigs zu folgen und bei Krankenkassen für jedes Kind eine Beitragskürzung einzufordern. Heute würden 14 Millionen Eltern mit minderjährigen Kindern doppelt in die Sozialversicherungen einzahlen, klagen die Verbände.

Das Rentensystem ist nicht familiengerecht

Argumentationshilfe gibt ihnen eine Studie der Bertelsmann Stiftung, die das Rentensystem als "nicht familiengerecht" kritisiert: Ein heute 13-Jähriger werde im Laufe seines Lebens durchschnittlich

77.000 Euro mehr in die Rentenkasse einzahlen, als er selbst an Rente beziehen wird, heißt es darin. Seine Eltern jedoch hätten davon wenig: Zwar hätten sie mit der Gründung einer Familie und ihrer Erziehungsleistung der Rentenkasse diesen Überschuss erst ermöglicht. Aber weder erhöhe sich dadurch ihre eigene Rente wesentlich, noch zahlten sie weniger Beiträge als Kinderlose.

Deshalb fordern Essig und die die Klage mittragenden familienpolitischen Experten und Juristen - unter ihnen der ehemalige Sozialrichter und Buchautor Jürgen Borchert - Beiträge für Familien mit minderjährigen Kinder nur nach der Hälfte der bisherigen Bemessung zu erheben. Damit müsste eine Familie pro Kind und Monat rund 240 Euro weniger für Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung zahlen. "Nur so würde endlich die Erziehungsleistung von Familien auf faire Weise anerkannt", sagt Essig. Und endlich könnten viele Familien, die am Existenzminimum leben, etwas freier atmen, ist der Theologe überzeugt. In seiner seelsorglichen Arbeit begegneten ihm immer wieder Familien, die kaum über die Runden kommen.

Es geht um Milliarden

Ihm ist klar, dass es mit seinem Vorstoß aufs Ganze gesehen um Milliarden geht. Und im Falle einer Besserstellung von Familien dramatische Verteilungskämpfe um eine Gegenfinanzierung beginnen würden. "Das wäre sicher ein politischer Kraftakt", sagt Essig dazu nur. Aber gerade deshalb könne eine Veränderung nur über den Gerichtsweg gelingen.

Am Mittwoch wird er mit seiner Ehefrau und den drei über die lange Verfahrensdauer erwachsen gewordenen Kindern im Gerichtssaal auf das Urteil der Richter warten. Für Familie Essig kommt die Entscheidung zu spät. "Uns ist längst klar, dass wir das nun als Musterfamilie anwaltschaftlich für andere durchkämpfen müssen."

Von Volker Hasenauer