Pater Nikodemus Schnabel über Angriffe auf die Dormitio-Abtei

"Ich habe große Fragen"

Veröffentlicht am 19.01.2016 um 00:01 Uhr – Von Gabriele Höfling – Lesedauer: 
Die Dormitio-Abtei in Jerusalem.
Bild: © KNA
Israel

Bonn ‐ "Tod den Christen" - am Wochenende wurde die Dormitio-Abtei in Jerusalem mit antichristlichen Sprüchen beschmiert. Der Benediktiner Nikodemus Schnabel kritisiert das Vorgehen der israelischen Polizei und erklärt, warum die Brüder für die Täter beten.

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Frage: Pater Nikodemus, was wissen Sie schon über die Täter?

Schnabel: Wir selbst haben keine Erkenntnisse, ich bin ja auch kein Fachmann. Die Polizei sucht die Täter im jüdisch-extremistischen Umfeld. Bei uns auf dem Gelände gibt es seit drei Jahren jeden Samstagabend eine unglaublich laute, aggressive Party jüdischer Rechtsradikaler. Aber da bitte ich die Polizei, ihre Arbeit zu machen; wir verdächtigen niemanden.

Frage: Wie beurteilen Sie die Arbeit der Polizei?

Schnabel: Die Polizei hat sich ihre Arbeit selbst erschwert. Das muss man so klar sagen. Der Bereich, wo die fast 20 Graffitis angebracht wurden, ist nicht kameraüberwacht. Das ist umso tragischer, als 2013 genau dort schon einmal ein vandalistischer Akt verübt wurde. Damals wurden zwei unserer Autos schwer beschädigt. Schon damals hat die Polizei hoch und heilig versprochen, dass dort Kameras angebracht werden. Jetzt haben wir Januar 2016 und sie sind immer noch nicht da.

Pater Nikodemus Schnabel, Jerusalem, Dormitio
Bild: ©Dormitio-Abtei

Pater Nikodemus Schnabel OSB ist Pressesprecher der Dormitio-Abtei in Jerusalem und leitet das Jerusalemer Institut der Görres-Gesellschaft.

Frage: Wie hat die Polizei auf den aktuellen Anschlag reagiert?

Schnabel: Sie hat versucht, die Graffitis unleserlich zu machen, in dem sie mit schwarzem Stift oder roter Farbe übertüncht wurden.  Dazu habe ich aber große Fragen: Denn dadurch wurde der Sachschaden erstens enorm erhöht und natürlich besteht so auch die Gefahr, dass Beweismaterial vernichtet wird. Das hat für mich schon ein Geschmäckle. Aber wir haben aus ähnlichen Erfahrungen in der Vergangenheit gelernt und die Schäden selbst ausführlich fotografisch dokumentiert – eben auch um etwa Journalisten zeigen zu können: Das stand wirklich da. Die aktuell angebrachten Grafittis wurden übrigens bereits im Verlauf des Sonntags professionell entfernt.

Frage: Wie waren die sonstigen Reaktionen?

Schnabel: Es gab zwei Aspekte, die mich gestern doch mit friedlichem Herzen haben ins Bett gehen lassen. Für uns Ordensleute selbst war es wichtig, gleich am Sonntag in der Eucharistiefeier für die Täter zu beten, vor Gott zu bringen, dass der Hass aus ihren Herzen verschwindet. Das hat uns den Seelenfrieden gegeben, nicht auf die Hassspirale einzusteigen. Außerdem haben wir eine enorme, ermutigende Solidaritätswelle erfahren. Schon morgens vor der Messe haben mehrere Rabbiner ihr Beileid und ihre Solidarität bekundet. Ich habe unglaublich viele Mails und Anrufe bekommen, Diplomaten aus verschiedenen Staaten waren da. So merken wir, wir sind nicht allein, und mit jedem dieser Ereignisse wächst unser jüdischer Freundeskreis. Die Mehrzahl der jüdischen Israelis sind wunderbare Menschen. Aber es gibt eben eine kleine Gruppe von Scharfmachern, die schon 2015 das Kloster Tabgha in Brand gesetzt haben, die schon 2014 einen Brandanschlag auf die Dormitio in Jerusalem verübt haben, die 2013 die Autos zerstört haben. Und da ist schon meine Forderung an die Politik, dieses Phänomen endlich einmal wirklich ernst zu nehmen.

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Pater Nikodemus Schnabel über die große Solidarität nach den neuen Angriffen auf die Dormitio-Abtei.

Audio: © katholisch.de

Frage: Hat sich die Sicherheitslage in den vergangenen Jahren denn schon merkbar verbessert – etwa durch staatlichen Schutz?

Schnabel: Nein. Das ist ja genau das, was ich kritisch ansprechen muss. Da ist noch enorme Luft nach oben. Inzwischen gibt es immerhin auf verbaler Ebene klare Statements. Ministerpräsident Netanjahu hat den Anschlag vom Wochenende schnell und deutlich verurteilt. Das gab es in der Klarheit in der Vergangenheit nicht. Und es wird auch erfolgreicher vermittelt als zuvor – bei dem Anschlag auf Tabgha konnten die Täter gefunden werden. Ich hoffe, das ist diesmal auch der Fall. Was ich aber nicht sehe, ist dass in der Präventionsarbeit mehr getan wird. Wie gesagt, 2013 wurden Kameras versprochen, noch immer sind sie nicht da. Außerdem müsste über Bildung in Israel gesprochen werden: Was unterrichtet man in Schulen über das Christentum, wie werden Minderheiten dargestellt? Das sind alles Themen, bei denen ich große Aufbrüche in der Zivilgesellschaft sehe, aber an die offiziellen Stellen und die Sicherheitsbehörden habe ich doch die Frage: Wann tut sich endlich etwas?

Frage: Wie geht die Gemeinschaft der Dormitio-Abtei mit den immer wiederkehrenden Anfeindungen um? Gibt es so etwas wie Resignation oder Aggressionen gegen die Angreifer?

Schnabel: Nein. Unsere Reaktion ist mittlerweile sogar sehr professionell. Wir haben am Wochenende fast ein bisschen gescherzt, weil wir wie ein Uhrwerk funktioniert haben, obwohl es ja mitten in der Nacht war. Ein Mitbruder hat sofort die Kamera zur Dokumentation geholt, ich habe das Pressestatement aufgesetzt, ein anderer hat es ins Englische übersetzt. Wir sind da mittlerweile geübt. Das sind Momente, in denen die Gemeinschaft zusammensteht und sich jeder selbstverständlich einsetzt. Unsere Reaktionen ist und bleibt: Wir wollen nicht noch höhere Zäune bauen, nicht noch höhere Mauern, sondern wir bleiben ein Ort der offenen Herzen und der offenen Tür. Jeder ist willkommen, ob Christ oder Jude, Druse, Muslim oder Atheist. So zu reagieren, ist auch für unsere Seele wichtig.

Bild: ©Dormitio-Abtei

Anti-christliche Schmierereien wurden in der Nacht zum 17. Januar 2016 an eine Tür der Dormitio-Abtei in Jerusalem angebracht.

Frage: Schürt so ein Ereignis nicht Zweifel an der Fruchtbarkeit des Dialogs der Religionen?

Schnabel: Ganz im Gegenteil. Es zeigt, dass der Dialog notwendiger ist denn je. Das Schlimmste ist, den anderen nicht zu kennen. Erst dann können Vorurteile wachsen, dann kam man sich im Hirn zusammenspinnen, dass der andere mich hasst, dass der andere die Weltherrschaft will, dass der andere mich vernichten will. Aber wenn ich dem anderen einmal ins Gesicht geschaut habe, gesehen habe, der hat auch Humor, der kann auch traurig sein, der hat auch seine Eigenarten, der hat auch eine Familie, dann kann ich nicht mehr Schwarz-Weiß malen. Deswegen wollen wir jetzt ganz im Gegenteil noch stärker in de Dialog eintreten.

Frage: Am Sonntag hat Papst Franziskus erstmals eine Synagoge besucht. Zeigt so eine Geste in Israel Wirkung?

Schnabel: Viele der Mails, Briefe und Anrufe unserer jüdischen Freunde haben genau darauf abgezielt: Was ist das für ein tragischer Tag. An dem Tag, an dem der Papst die Synagoge besucht, beschmieren jüdische Extremisten Euer Kloster. In der Geschichte waren wir Christen mit unserem Antijudaismus Täter, wir haben viel, viel Unheil geschaffen. Auch Sicht einiger Rabbiner, die mir geschrieben haben, hat sich die Lage nun geändert: Auf einmal sind die Christen sind die, die den Dialog suchen und jüdische Extremisten reagieren mit Hass.

Zur Person

Pater Nikodemus Schnabel wurde 1978 in Stuttgart geboren und wuchs im süddeutschen Raum auf. Nach seinem Theologiesudium in Fulda, München und Münster trat er im Jahr 2003 in die Jerusalemer Dormitio-Abtei ein. Seine Profess legte er 2004 ab, 2009 wurde er zum Diakon und 2013 zum Priester geweiht. Der Benediktiner ist promovierter Liturgiewissenschaftler und Ostkirchenkundler. Seit 2011 leitet er das Jerusalemer Institut der Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft. Sein aktuelles Buch "Zuhause im Niemandsland: Mein Leben im Kloster zwischen Israel und Palästina" ist im Herbig-Verlag erschienen.
Von Gabriele Höfling