"Ich muss erst mal erkunden"
In Sachsen erwartet Heinrich Timmerevers als neuen katholischen Bischof von Dresden-Meißen eine Gesellschaft, die mit Fremdenfeindlichkeit ringt. Ob der von außen kommende Südoldenburger, der am Samstag sein Amt antritt, zu einem Vermittler werden kann, muss sich zeigen. Im Interview sprach er am Donnerstag in Dresden darüber, wie er sich seinem neuen Wirkungsbereich annähert.
Frage: Bischof Timmerevers, Sie kommen aus dem Oldenburger Münsterland - wie eignen Sie sich eigentlich Ihr neues, völlig fremdes Bistum an?
Timmerevers: Ich bin dabei, die Menschen hier und ihre Lebensgeschichten wahrzunehmen: Was sie bewegt, wovon sie leben, was die Herausforderungen sind. Ich will ganz viel aufnehmen, sehen und hören. Ich habe noch gar kein Gefühl für das Territorium. Deshalb habe ich darum gebeten, dass man mir eine große Bistumskarte fürs Arbeitszimmer anfertigt, auf der mit Stecknadeln die verschiedenen Kirchen und kirchlichen Einrichtungen markiert sind. Und dann werde ich mit Stecknadeln sichtbar machen: Da war ich schon mal. Ich will das immer vor mir sehen.
Frage: Vor Ihrer neuen Haustür sehen Sie jetzt regelmäßig Pegida-Demos. Haben Sie sich schon ein Bild gemacht?
Timmerevers: Nein, da muss ich mir erst noch einen Eindruck verschaffen. Aber ich nehme schon wahr, dass es sehr differenziert zu betrachten ist und es große Unsicherheiten und Ratlosigkeit gibt, von Seiten der Gesellschaft wie von Seiten der Kirche.
Frage: Eine Frage, an der sich viele Diskussionen entzünden, ist: Soll man mit Pegida-Anhängern diskutieren oder nicht?
Timmerevers: Auf jeden Fall sollte man mit ihnen reden. Ich kann nicht sagen, wie weit das möglich ist. Aber ich bin gegen eine generelle Gesprächsverweigerung. Natürlich kann es immer Situationen geben, wo man sagt: Hier ist ein Gespräch kaum noch möglich.
Frage: Wo ist denn für Sie die rote Linie?
Timmerevers: Wenn jemand andere Mitmenschen verachtend klassifiziert nach Hautfarbe oder Religion, dann sage ich: Das ist nicht okay. Keiner hat das Recht, einem anderen Menschen seine unantastbare Würde abzusprechen. Das muss Grundkonsens sein. Diese Haltung zu vermitteln, das ist Christenpflicht, aber auch generell Menschenpflicht in unserer Gesellschaft. Dafür müssen wir eintreten, nicht zuletzt auch aufgrund unserer deutschen Geschichte.
Frage: Ende Februar appellierten Theologieprofessoren in einem offenen Brief an die katholischen und evangelischen Pfarrer in Sachsen, sich bei Diskussionsveranstaltungen in Kirchenräumen zu Pegida deutlich von rechten Parolen und Hetze abzugrenzen. Das war nicht immer der Fall. Wie sehen Sie das?
Timmerevers: Da kann ich kaum etwas zu sagen, da ich die Fälle nicht kenne. Ich denke, man muss immer nach Wegen suchen, dass die Debatten nicht eskalieren. Ich bin da vorsichtig. Aber ich denke, dass in unseren Gemeinden engagierte Personen sind, die mit diesem Thema sensibel umgehen.
Frage: Sie gehören der geistlichen Gemeinschaft der Fokolare an. Deren Gründungsidee und Zukunftsvision ist es, Spaltungen in der Menschheit zu überwinden. Gibt Ihnen das Werkzeug an die Hand für Sachsen?
Timmerevers: In der Tat geht es der Fokolar-Bewegung darum, Menschen zusammenzuführen. Und dafür muss man manchmal weite Wege gehen. Das heißt, man muss sich immer auf den konkreten Menschen einlassen und versuchen, mit ihm einen Weg zu gehen. Das ist manchmal sehr mühsam und gelingt nicht immer.
Linktipp: Einer mit klarer Kante
Gegen Rechtsextremismus hat Heinrich Timmerevers schon in Niedersachsen klare Kante gezeigt. Nun wird er Bischof von Dresden-Meißen - und dort mit seiner Einstellung vermutlich auch auf Widerstand stoßen.Frage: Die Themen Flucht und Migration werden das Land langfristig bewegen. Braucht Deutschland ein Einwanderungsgesetz?
Timmerevers: Ja. Ich denke schon, dass man Einwanderung gesetzlich regeln und ermöglichen sollte. Das wäre hilfreich und würde wahrscheinlich das Konfliktfeld etwas entspannen, das wir im Augenblick zu bewältigen haben. Wir können dankbar sein, dass wir in einem gut situierten Land leben. Aber das nur für uns zu sichern, das ist keine menschliche Haltung. Wenn wir Mitmenschen sein wollen, dann gehört dazu auch die Bereitschaft zum Teilen. Wir sollten anderen Anteil an einem besseren, menschenwürdigeren Leben geben.
Auf's Ganze gesehen hat Europa und hat Deutschland aber auch eine Verantwortung dazu beizutragen, dass die Menschen in ihren Ländern bessere Lebensbedingungen vorfinden.
Frage: Im Bistum läuft der sogenannte Erkundungsprozess zur Bistumsreform. Es wird schon ein Weilchen erkundet, seit 2013. Jetzt kommen Sie...
Timmerevers: ...und muss auch erst mal erkunden.
Frage: Also zieht sich der Erkundungsprozess weiter in die Länge?
Timmerevers: Das weiß ich nicht. Zumal ich noch nicht über den genauen Stand informiert bin. Nach meiner Amtseinführung werden mich die Hauptabteilungsleiter des Ordinariates informieren, wie ich alle Verantwortungsgemeinschaften im Bistum möglichst zügig im ersten Jahr erleben kann. Meine Erfahrung ist: Die Begegnung mit den Menschen vor Ort bringt viel mehr Information als bloßes Nachlesen, und dann wird das Thema auch "meins".
Frage: Wie ist Ihre Einstellung zu Wort-Gottes-Feiern am Sonntag in Ermangelung von Priestern?
Timmerevers: Das ist hier ja eine gelebte Praxis seit vielen Jahren. Ich finde, eine christliche Gemeinde muss den Sonntag heilig halten - dazu gehört auch der Gottesdienst. Und wenn eine Eucharistiefeier aus nachvollziehbaren Gründen nicht möglich ist, dann finde ich es gut, wenn eine Gemeinde trotzdem zusammenkommt und miteinander Gottesdienst feiert.