"Ich will einen Schlussstrich ziehen"
Frage: Papst Franziskus hat sich kürzlich von Kardinal Gerhard Ludwig Müller in seiner Funktion als Präfekt der Glaubenskongregation getrennt. Was sagen Sie zu dieser Entscheidung?
Peter Schmitt: Ich finde die Entscheidung von Papst Franziskus sehr klug und gut. Um Hermann Hesse zu zitieren: Jedem Neubeginn liegt ein Zauber inne. In meiner Rolle als Mitglied des Aufarbeitungsgremiums habe ich letztes Jahr versucht, mit Kardinal Müller ein Gespräch über die Missbrauchsfälle bei den Domspatzen zu führen, da er bei der Bekanntgabe 2010 Bischof von Regensburg gewesen ist. Ein Gespräch mit ihm ist aber nie zustande gekommen.
Frage: Kardinal Müller wurde immer wieder vorgeworfen, er bagatellisiere Missbrauchsfälle. Sehen Sie das auch so? Bleibt da eine Wunde offen?
Schmitt: Jeder kann nachlesen, wie Kardinal Müller im Jahr 2010 als Bischof von Regensburg mit den Missbrauchsfällen umging. Hätte es damals schon gemeinsame Bemühungen um einen Lösungsansatz gegeben, hätten wir nicht sieben Jahre warten müssen, ehe sich wirklich etwas bewegt. Für mich war es mehr als befremdlich und teilweise unter der Gürtellinie, wie damals mit der Thematik umgegangen wurde. Medien wurden als "Nestbeschmutzer" beschimpft, Opfer vom Bischof nicht einmal gehört. Doch der Blick sollte jetzt nach vorne gehen. Der heutige Regensburger Bischof, Rudolf Voderholzer, hat nach vielen Einzelgesprächen mit Missbrauchsopfern für Bewegung gesorgt, er hat 2015 Rechtsanwalt Ulrich Weber mit der Aufklärung der Missbrauchsfälle beauftragt.
Zur Person
Peter Schmitt ist 56 Jahre alt, lebt in der Nähe von Mainz und ist heute Mediendirektor beim Deutschen Leichtathletik-Verband in Darmstadt. Die Affinität dazu hat er seit seiner Zeit bei den Domspatzen, denn dort hat er in seiner Freizeit sehr viel Sport getrieben. Als kleiner Junge in der dritten und vierten Klasse erfuhr Schmitt in der Vorschule der Regensburger Domspatzen in Etterzhausen von 1969 bis 1971 über einen langen Zeitraum massiv körperliche Gewalt. Schmitt ist mit Alexander Probst Vertreter der mindestens 422 Opfer von Übergriffen bei den Regensburger Domspatzen. (luk/dpa)Frage: Nun soll der Abschlussbericht zur Aufarbeitung bald vorliegen. Gibt es denn aus Ihrer Sicht als Mitglied des Aufarbeitungsgremiums noch etwas, das Sie vermissen?
Schmitt: Wir diskutieren im Aufarbeitungsgremium nur noch wenige Punkte. Zurzeit läuft die Umsetzung des beschlossenen Vier-Säulen-Konzeptes, das im vergangenen Oktober der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Ob die soziologische und historische Studie, das therapeutische Zentrum MIM in München, die Anträge zu den finanziellen Anerkennungsleistungen in Höhe von 5.000 bis 20.000 Euro, über die das Anerkennungsgremium entscheidet - in allen Bereichen wird mit Akribie gearbeitet.
Frage: Sind Sie mit Ihrem Kampf also am Ziel?
Schmitt: Für mich ist das kein Kampf, sondern eine Suche nach einer guten Lösung für Betroffene von Missbrauchsfällen bei den Domspatzen in den Jahren 1949 bis Anfang der 90er Jahre. Ich denke, wir haben eine sehr passable Lösung gefunden, zumal es juristisch aufgrund von Verjährungsfristen schwierig geworden wäre, Ansprüche geltend zu machen. Natürlich gibt's Betroffene, die sich finanziell mehr erhofft haben, aber wir sind nicht in den USA - und die Zahlungen sind symbolisch, denn Geld kann nicht aufwiegen, was passiert ist.
Frage: Hat der Aufarbeitungsplan für Sie persönlich etwas verändert?
Schmitt: Ja, auf jeden Fall. Die Arbeit im Aufarbeitungsgremium hat mir sicherlich geholfen, Dinge, die Jahre verdrängt wurden, besser einzuschätzen. Jeder einzelne muss für sich individuell entscheiden, wie er Frieden schließt. Ich persönlich bin an dem Punkt angelangt, wo ich sage: Ich will einen Schlussstrich ziehen. Von Beginn an war es mein Ziel, im Aufarbeitungsgremium nicht nur zu fordern, sondern vor allem bei der Suche nach Lösungen zu helfen. Mit dem Ergebnis bin ich letztlich zufrieden.