Am Samstag wird der Märtyrer Oscar Romero seliggesprochen

Im Volk lebt er weiter

Veröffentlicht am 22.05.2015 um 13:00 Uhr – Von Christian Frevel – Lesedauer: 
Seligsprechung

Bonn ‐ Vor 35 Jahren wurde Oscar Romero am Altar erschossen. Am Samstag wird der Märtyrer seliggesprochen. Unser Lesestück blickt zurück auf die Geschehnisse um den Tod und die Aufarbeitung der Geschichte Romeros.

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Nur wenige Meter von der Kapelle entfernt steht das kleine Haus, in dem Erzbischof Romero wohnte. Man hat es im ursprünglichen Zustand belassen, selbst Romeros Wagen steht, aufgebockt unter einem schützenden Dach, neben dem Hauseingang. Die Alltagsgegenstände im Haus bezeugen einen bescheidenen Lebenswandel: ein Kofferradio, das Waschzeug im engen Bad, das einfache Bett neben dem Schreibtisch. Daneben sind in einem Glasschrank das Messgewand und die Kleidung aufgehängt, die Romero am Tag seines Todes trug. Die Blutspuren und das Einschussloch sind deutlich erkennbar.

"Romero hat geholfen", "Danke Mons. Romero" steht auf den Votivtafeln, die im Zugangsbereich des Hauses prangen. Für das Volk von El Salvador war Romero längst ein Heiliger, auch bevor der Vatikan am 3. Februar 2015 das Martyrium Oscar Romeros anerkannte.

„Romero muss klar gewesen sein, dass er jetzt sterben wird.“

—  Zitat: Weihbischof Rosa Chávez

Eigentlich war Romero ein zurückhaltender Mensch. Er galt, als er 1966 zum Sekretär der Bischofskonferenz von El Salvador berufen wurde, als Priester von lauterem Lebenswandel und tiefer persönlicher Frömmigkeit. 23 Jahre hatte er als Gemeindepriester gewirkt, hatte Katechese sowie Schulunterricht gegeben und Sakramente gespendet.

Bei der Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe in Medellín (1968), als "progressive" Bischöfe die vorrangige Option der Kirche für die Armen formulierten, galt er als "Konservativer". 1970 wurde Romero zum Weihbischof in der Erzdiözese San Salvador ernannt, 1977 zum Erzbischof des größten und wichtigsten Bistums des mittelamerikanischen Landes.

Rückblick

El Salvador steckte 1977 in einer tiefen Krise. Die Reichen und die Militärs versuchten mit allen Mitteln, ihre Macht gegenüber den Armen, die in der demokratischen Bewegung eine Hoffnung sahen, zu verteidigen. Zwei Wochen, nachdem Oscar Arnulfo Romero zum Erzbischof ernannt wurde, kam es zu massiven Wahlfälschungen. Etliche Menschen, die gegen die Manipulationen protestierten, wurden ermordet. Einen Monat später töteten Paramilitärs im Dienst von Großgrundbesitzern Pater Rutilio Grande. Der Jesuit war der erste Tote in einer langen Reihe von Priestern, Ordensleuten und Laien im Dienst der Verkündigung, die ermordet wurden.

Mehr als 100.000 Menschen kamen zur Gedenkmesse für Rutilio Grande, die Erzbischof Romero zelebrierte. Er klagte die Mörder an, und fortan war das Leben des Oscar Arnulfo Romero nicht mehr das gleiche wie zuvor.

Romero blieben nur drei Jahre Zeit als Erzbischof von San Salvador. Er nutzte sie, um Sonntag für Sonntag in Predigten, die immer mehr zur politischen Situationsanalyse des Landes wurden, gegen die Ungerechtigkeit, gegen Folter und Mord und gegen die Unterdrückung anzugehen. Es waren lange Predigten, manche dauerten fast zwei Stunden. Romero nahm seine Hirtenpflicht ernst und machte sich zur Stimme derer, die keine Stimme hatten.

„Als prophetische Kirche können wir in einer derart ungerechten Welt nicht schweigen.“

—  Zitat: Oscar Arnulfo Romero

Die Predigten, vom katholischen Radio übertragen, wurden zur meist gehörten Radiosendung des Landes. Am 8. Juli 1979 sagte er: "Als prophetische Kirche können wir in einer derart ungerechten Welt nicht schweigen. Die Kirche muss ihr Wort mitreden, auch wenn es bei jenen Anstoß erregt, die die Stimme ihres Königs mehr respektiert haben wollen als die Botschaft Gottes." Der Erzbischof klagte die unheilige Allianz der Großgrundbesitzer und korrupten Militärs an und forderte ein Ende der blutigen Unterdrückung der Landbevölkerung. Immer wieder kam es zu Opfern auch unter den Priestern und Ordensleuten in El Salvador.

Im Oktober 1979 putschten Teile des Militärs gegen die Regierung. Die Militärs befürchteten, dass in El Salvador die seit den 1970er Jahren bestehende linke Guerillabewegung die Regierung mit Gewalt stürzen könne – also taten sie es selbst.

Obwohl zuerst eine militärisch-zivile Junta auch zuvor oppositionelle Parteien einband, löste schon bald ein System staatlichen Terrors durch das Militär oder "Todesschwadronen", hinter denen sich das Militär verbarg, den Terror der vorherigen Regierung ab. Die Guerilla antwortete mit Gegenterror.

Bild: ©KNA

Ein unbequemer Kämpfer für Gerechtigkeit: Oscar Romero wurde vor 35 Jahren erschossen und wird seither als Märtyrer verehrt.

Rechtfertigung in Rom

Romeros politisches Engagement wurde in Rom mit Skepsis aufgenommen. Mehrfach musste sich der Erzbischof im Vatikan rechtfertigen. "Eine Kirche, die sich nicht die Sache der Armen zu eigen macht, um aus Sicht der Armen das Unrecht anzuprangern, das man an den Armen begeht, ist nicht die wahre Kirche Jesu Christi", hieß es in einer seiner Predigten. Seine Ansprachen seien zu konkret, hörte er im Vatikan. Manche Kardinäle im Vatikan betrachteten den Erzbischof aus El Salvador als "Instrument linker politischer Gruppen", während es ihm, wie er in Gesprächen mit Papst Johannes Paul II. betonte, um den "bedingungslosen Einsatz für die Armen" ginge.

Am 2. Februar 1980, bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Leuven in Belgien, sagte Romero: "Der größte Beweis des Glaubens an einen Gott des Lebens ist das Zeugnis dessen, der bereit ist, sein Leben einzusetzen. […] Viele Salvadorianer sind bereit, ihr Leben zu opfern, damit die Armen leben können." Über die Opfer der Gewalt sagte er in einem Interview: "Angesichts solcher Gewalttaten […] muss man in der Tat von einem Martyrium im modernen Stil reden."

„Machen Sie der Repression ein Ende.“

—  Zitat: Oscar Arnulfo Romero

In seiner letzten Sonntagspredigt, am 23. März 1980, wandte Romero sich noch einmal direkt an die Angehörigen der Armee, der Nationalgarde und der Polizei: "Im Namen Gottes und im Namen dieses leidenden Volkes, dessen Wehklagen täglich eindringlicher zum Himmel steigen, flehe ich Sie an, bitte Sie inständig, ersuche ich Sie im Namen Gottes: Machen Sie der Repression ein Ende."

Am nächsten Tag sagte der Sprecher des Generalstabes des Heeres vor der Presse, der Erzbischof habe mit seinem Aufruf ein Vergehen begangen, das ihn an den Rand des Gesetzes bringe. Wenige Stunden später wurde Romero erschossen. Zuvor hatte er über das Weizenkorn, das sterben muss, um reiche Frucht zu bringen, gepredigt. Romero war sich sicher gewesen, dass man ihn ermorden wollte. Doch er wollte nicht sterben: "Niemals habe ich das Leben so sehr geliebt. Ich möchte ein wenig mehr Zeit, ich bin nicht zum Märtyrer berufen", hatte er einem Freund in den Tagen vor seinem Tod gesagt. Aber auch: "Das Martyrium ist eine Gnade, die ich nicht verdiene. Aber wenn Gott das Opfer meines Lebens akzeptiert, möge mein Blut Same der Hoffnung sein."

Bürgerkrieg

Mit dem Mord an Oscar Romero eskalierte der Bürgerkrieg in El Salvador, der erst 1992 endete. Bis zum Jahr 2009 dauerte die Herrschaft der rechtsgerichteten Arena-Partei im Land. Es war der Gründer der Arena-Partei, der frühere Geheimdienstchef Roberto D'Aubuisson, der den Befehl zur Ermordung Romeros gab und den Mitgliedern seines Sicherheitsdienstes, den berüchtigten "Todesschwadronen", genaue Anweisungen erteilte, wie der Mord zu organisieren und zu überwachen sei – so steht es im Bericht der "Wahrheitskommission" der OAS von 1993. Fünf Tage nach Veröffentlichung des Reports erließ das Parlament in El Salvador eine Generalamnestie für alle Verbrechen im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg.

Bei der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte, die den Report erstellte, ist der "Fall 11.481" noch immer offen. 2004 wurde der Leiter des Sicherheitsstabs von D'Aubuisson in den USA in Abwesenheit als Drahtzieher des Mordes schuldig gesprochen. Das Urteil konnte nie vollstreckt werden.

Von Christian Frevel