"In der Sprache der Menschen"
"Eine Predigt ist dann wirklich gut, wenn sie bei den Hörern vom Glauben her etwas zum Schwingen gebracht hat und sie sich anschließend beim Mittagessen noch über den Inhalt austauschen", sagt der Mainzer Pastoraltheologe Philipp Müller. Das klingt im ersten Moment ziemlich unkonkret. Und das bleibt es auch im zweiten: Denn ein Patentrezept für eine gute Predigt gibt es nicht.
Wichtig sei, "dass eine Predigt am Leben der Menschen dran ist", so Müller. Dabei solle und dürfe sich ein Prediger nicht verbiegen und anbiedern. "Wenn jemand in einer Jugendpredigt einen Jugendjargon verwendet, den er sonst nicht benutzt, dann wirkt das aufgesetzt und vielleicht sogar peinlich", erklärt er. Auf der anderen Seite dürfe sie aber auch nicht langweilig sein. Das sei dann der Fall, wenn die Hörer nach dem ersten oder zweiten Satz schon wissen, worauf das Ganze hinauslaufe, erklärt der Theologe. Das Ziel lautet also: Die 2.000 Jahre alte Botschaft des Evangeliums immer wieder neu und überraschend für den Zuhörer erzählen.
Das sieht der evangelische Pastor Wolfgang Thielmann ähnlich. Auch er kennt sich mit dem Thema aus. Nicht nur weil er selbst Prediger ist, sondern auch, weil er in der Jury des ökumenischen Predigtpreises sitzt. "Evangelium heißt gute Botschaft", sagt Thielmann. "Deshalb lautet mein Kriterium für eine gelungene Predigt immer: Wo ist hier die gute Botschaft?" Das Ziel müsse es sein, von Gott in der Sprache der Menschen zu reden. Dabei könne man den Zuhörer durchaus fordern und müsse "keine billige Freundlichkeit" an den Tag legen. Prediger dürften sich jedoch nicht in Formeln verlieren, die die Sicht auf das Wesentliche verstellen.
Ganz ohne Formeln geht es nicht
Dennoch: Ganz ohne Formeln geht es nicht. "Natürlich sollten sich gerade Anfänger an ein gewisses Raster halten", sagt Müller, der als Regens lange Jahre in der Priesterausbildung des Erzbistums Freiburg tätig war. So ein Raster sieht dann in etwa so aus: 1. Motivationsphase, 2. Problemabgrenzung, 3. Versuch und Irrtum, 4. Lösungsangebot, 5. Lösungsverstärkung. Heißt übersetzt: Man muss das Problem benennen, abgrenzen und bei der Lösungssuche auch den ein oder anderen Rückschlag in Kauf nehmen. Im Englischen nennt man das auch "trial and error". Dieses "lernpsychologische" oder auch Fünf-Stufen-Modell empfehlen viele "Predigt-Lehrer", auch Homiletiker genannt, als Grundlage.
Doch wichtiger als die didaktischen und rhetorischen Stilmittel sei die Glaubwürdigkeit, erklärt Müller. Man müsse das Gefühl haben, "der Prediger oder die Predigerin steht hinter der eigenen Verkündigung". Natürlich ist es durchaus erlaubt, sich bei der Vorbereitung von den Predigtideen anderer inspirieren zu lassen. Aber Ideen und Erfahrungen anderer als eigene zu verkaufen, das ist für den Theologen ein "No-go". Man könne es auch als einen Verstoß gegen das achte Gebot sehen, sagt er. Und das lautet: "Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen wider deinem Nächsten."
Der evangelische Pastor Thielmann kritisiert das Wort zum Sonntag von Verena Maria Kitz, weil genau diese Authentizität fehlt. "Ich habe ihr diese Sätze wie 'Huch, die spielen ja aufs falsche Tor' einfach nicht geglaubt", sagt er. Dennoch müsse man das Evangelium immer im Kontext der Kultur oder Gesellschaft verkünden, die es gerade umgibt: "Ich kann einem Eskimo nur schwer das 'Lamm Gottes' erklären, weil er keine Lämmer kennt."
Gehört und verstanden werden
Ein guter Prediger will zudem auch auf ganz praktischer Ebene gehört und verstanden werden. "Stilistisch ist zu beachten, dass die Predigt Rede und keine Schreibe ist", sagt Müller. Von daher verböten sich komplizierte Schachtelsätze im Essay-Stil. Ebenso müsse verständlich und deutlich gesprochen werden. "Die beste Predigt nützt nichts, wenn sie unverständlich ins Mikrophon genuschelt wird."
Eine Predigtform, die dem Homiletiker im deutschsprachigen Raum viel zu kurz kommt, ist die frei gesprochene. Sie sei die Urform der Predigt, getreu dem biblischen Wort: "Wovon das Herz voll ist, davon läuft der Mund über." Die ersten Verkünder des Evangeliums hätten sich bestimmt nicht zu Hause hingesetzt, die Predigt schriftlich ausformuliert und sie den anderen vorgelesen, ist sich Müller sicher.
Ob vorher aufgeschrieben oder frei gepredigt: Ein Prediger sollte nach Meinung des Pastoraltheologen "im Blick auf ein christliches Handeln im Alltag keine Plattitüden von sich geben". Viel besser sei es, wenn die Hörer in einen Prozess des Nachdenkens hineingenommen und angeregt würden, aus dem Gehörten Konsequenzen für ihre konkrete Lebenssituation zu ziehen. Dabei dürfe die Botschaft des Evangeliums jedoch nicht trivialisiert werden.
Dass das auch gar nicht nötig ist, betont sein evangelischer Kollege Thielmann. Er tritt dem Vorwurf vieler Kritiker entgegen, die Botschaft des Evangeliums würde in der heutigen Zeit nicht mehr verstanden. "Die Grundworte der Bibel von Liebe, Vergebung und Erlösung sind zutiefst menschlich", sagt er. Die Aufgabe des Predigers sei es, die Umwelt der Bibel und die Gleichnisse zu erklären. Dann liefere das Evangelium auch Antworten auf die Fragen, Sehnsüchte und Ängste, die Menschen heute haben.
Von Björn Odendahl