Offizielle Anerkennung des Titels seit Jahrzehnten gefordert

Ist Maria "Miterlöserin"?

Veröffentlicht am 08.05.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Theologie

Bonn ‐ Bestrebungen, Maria den Titel "Miterlöserin" zu geben, gibt es seit langem. Würde die Kirche die Bezeichnung "offiziell" machen – etwa in Form eines Dogmas –, könnte das Probleme mit sich bringen.

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Quell aller Freuden, Rose ohne Dornen, Meerstern, aller Jungfrau'n Krone, Lilie ohnegleichen: Marientitel gibt es wie Sand am Meer. In Gebeten, Liedgut und Volksfrömmigkeit hat sich eine schier unüberschaubare Zahl von Bezeichnungen für die Gottesmutter niedergeschlagen. Allein in der Lauretanischen Litanei wird Maria mit 50 unterschiedlichen Namen angerufen.

Dogmatisiert, und damit lehramtlich-verbindlich festgelegt wurden in der Kirchengeschichte hingegen nur vier Aussagen: Maria ist Gottesmutter, war allzeit Jungfrau, wurde ohne Erbsünde empfangen und leiblich in den Himmel aufgenommen. Im 20. Jahrhundert kam verstärkt die Forderung auf, dass für Maria der Titel "Miterlöserin" (lateinisch: Co-Redemptrix) offiziell anerkannt werden soll. Manche sehen gar die Notwendigkeit eines fünften Mariendogmas. Doch würde dieser Marientitel die Rolle Christi in seiner Erlösungstat nicht verdunkeln? Was ist mit einer Miterlösung durch Maria gemeint?

Der Titel ist zum ersten Mal bezeugt in einer Salzburger Handschrift aus dem 15. Jahrhundert. "Für das erste Jahrtausend gilt grob gesagt, dass sich die Aufmerksamkeit der Christen bezüglich der Gottesmutter auf ihr Ja-Wort bei der Verkündigung durch den Engel konzentrierte", sagt Manfred Hauke, Professor für Dogmatik an der Theologischen Fakultät von Lugano in der Schweiz.

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Erst im Mittelalter, ab dem 12. Jahrhundert habe man den Blick stärker auf ihre Rolle unter dem Kreuz, und damit auch ihr Ja-Wort zum Opfer ihres Sohnes geworfen. "Diesbezüglich kam der Begriff der 'compassio', des Mitleidens Mariens auf – eine Variante des späteren Begriffs der Miterlösung", so Hauke. Gemeint sei damit Folgendes: Marias Mitwirkung an Christi Erlösungstat beginnt bei ihrer Zustimmung zur Gottesmutterschaft, setzt sich fort in ihrem Leben an der Seite Jesu und erreicht ihren Höhepunkt unter dem Kreuz. "Unter dem Kreuz schließt sie sich der Erlösung Christi innerlich an", erklärt Hauke, "und hat somit Anteil an der Selbstaufopferung ihres Sohnes."

Keine Erlösung ohne Maria?

Also keine Erlösung ohne die Gottesmutter? Der Titel meine keineswegs, dass Maria Jesus ersetzen könne, so der Dogmatikprofessor. "Die Miterlösung bezieht sich immer auf ein Wirken Marias in und nicht neben Christus." Schon das biblische Zeugnis deutet laut Hauke ihre Mitwirkung an der Erlösung an: Das Buch Genesis spreche davon, dass die Schlange zertreten werde vom Nachwuchs Evas, der Frau (Gen 3,15). In der Wirkungsgeschichte habe man dies auf den Messias bezogen, der ebenfalls Sohn "der Frau" ist und die Mächte des Bösen besiegt, so Hauke. "Bei Kirchenvätern wie Justin und Irenäus kam dann auch explizit die Deutung Mariens als 'neue Eva' auf." Eva als die Gefährtin Adams und Mutter aller Lebendigen – Maria als Gefährtin Christi sowie Mutter und Urbild des Gottesvolkes. Schon am ersten Wunder Jesu bei der Hochzeit zu Kana war Maria beteiligt, ruft Hauke in Erinnerung.

Der Titel der Miterlöserin ist ab dem frühen 20. Jahrhundert von den römischen Autoritäten gebraucht worden. Etwa in einem Gebet, das vom Heiligen Offizium – der Glaubenskongregation – im Jahr 1914 approbiert wurde und das Maria als "Miterlöserin des Menschengeschlechts" bezeichnet. Wörtlich verwendet wurde der Begriff von Pius XI. und Johannes Paul II. Daneben hätten die Päpste immer wieder von der Mitwirkung Marias an der Erlösung gesprochen: so etwa Leo XIII., Pius X. und Pius XII. Letzterer schrieb in seiner Enzyklika Ad caeli reginam (An die Königin des Himmels, 1954): Maria ist "Königin" wegen ihrer Gottesmutterschaft und "wegen ihrer einzigartigen Mitwirkung zu unserer Erlösung".

Maria, Mittlerin der Gnaden

"Das Zweite Vatikanische Konzil hat dem biblischen Zeugnis entsprechend betont, dass Maria in einzigartiger Weise an der Erlösung mitgewirkt hat", sagt Hauke. Den Begriff der Miterlöserin habe es hingegen vermieden, vor allem mit Rücksicht auf den Protestantismus. Wohl aber bezeichnet das Konzil in seiner Dogmatischen Konstitution Lumen gentium Maria als "Mittlerin" (LG 60ff). Ein Begriff, der im engen Zusammenhang mit der Miterlösung stehe, so Hauke. Die Anrufung Mariens als "Mittlerin" der Gnaden griff später Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Redemptoris mater (Mutter des Erlösers, 1987) auf und widmete der "Mütterlichen Vermittlung" in Christus ein eigenes Kapitel. "'Mittlerschaft' ist der umfassendste Begriff, den wir für die einzigartige und unmittelbare Teilhabe Marias am Erlösungswerk Christi verwenden können", sagt Hauke. Inhaltlich sei eine Miterlösung Mariens also längst vonseiten des Lehramtes anerkannt, auch wenn der Titel selbst in Dokumenten nicht vorkomme.

Bild: ©Privat

Manfred Hauke ist Professor für Dogmatik an der Theologischen Fakultät von Lugano, Schweiz, und Vorsitzender der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Mariologie.

Trotzdem gibt es immer wieder die Forderung nach einem Dogma: Weltweit mehrere Millionen Unterschriften, darunter die von hunderten Bischöfen, wurden für eine Petition gesammelt, Maria in den Rang einer "Miterlöserin" zu erheben. Aber selbst der große Marienverehrer Johannes Paul II. kam der Bitte nicht nach. Zu Beginn dieses Jahres – mit Blick auf das 100. Jubiläum der Erscheinungen in Fatima am 13. Mai – bat die "International Marian Association" (Internationale Marianische Gesellschaft) Papst Franziskus erneut um eine "offizielle Anerkennung" des Titels.

Doch auch Franziskus, der als Verehrer des Gnadenbildes "Maria Knotenlöserin" – einer ikonografischen Darstellung der Miterlösung durch Maria – gilt, kam dem bislang nicht nach. Ist der Begriff der Kirche zu heikel? Kardinal Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., betonte bereits im Interview-Buch "Gott und die Welt" aus dem Jahr 2000, dass "die Formel 'Miterlöserin' sich von der Sprache der Schrift und der Väter zu weit entfernt und daher Missverständnisse hervorruft". Der wesentliche Vorrang Christi im Erlösungswerk könnte durch den Titel verdunkelt werden.

Dogma auf lange Sicht sinnvoll?

Missverständnisse könne es allerdings auch hinsichtlich anderer lehramtlicher Aussagen geben, sagt Hauke: "Denken wir an den Begriff der Gottesmutterschaft. Man könnte ihn auch so deuten, dass Maria gewissermaßen die Gottheit 'produziert' hätte – Gott somit abhängig von einem Menschen wäre." Deshalb ist seiner Ansicht nach auf lange Sicht eine neue dogmatische Definition für Maria durchaus sinnvoll. "Die darf man allerdings nicht vom Zaun brechen", so der Dogmatikprofessor. Eine Dogmatisierung müsse – ähnlich wie schon beim Dogma von der Unbefleckten Empfängnis – gründlich theologisch vorbereitet, in der Gesamtkirche diskutiert werden und Eingang in die Volksfrömmigkeit finden. "Außerdem muss man sich auf einen Titel festlegen", so Hauke. In bisherigen Vorschlägen für eine Definition würden die Begriffe Miterlöserin, Mittlerin aller Gnaden und Fürsprecherin in einem Atemzug genannt. "Diese Titel sind natürlich nicht falsch, aber passen so nicht zusammen", sagt Hauke. Für ein Dogma müsse ein einziger Titel im Vordergrund stehen.

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Video: © katholisch.de

Stadtdechant Wilfried Schumacher erklärt das Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau Maria und seine Bedeutung.

Der inzwischen verstorbene Pater Stefano De Fiores von der Internationalen Marianischen Päpstlichen Akademie warnte: "Hinsichtlich des Konzils und der Ökumene wäre es sicher nicht ratsam, derzeit ein neues Dogma zu definieren. Die getrennten orthodoxen und protestantischen Brüder werfen uns ja gerade den Alleingang bei den letzten beiden Mariendogmen vor." Damit bringt er neben möglichen Missverständnissen um den Begriff "Miterlöserin" die zweite Problematik auf den Punkt: Was würden die getrennten Kirchen zu einem Dogma sagen? "Bei den Ostkirchen sehe ich eigentlich wenige Probleme", sagt Hauke. "Dort gibt es die Vorstellung von einer Miterlösung durch Maria sogar länger als im Westen, seit dem 10. Jahrhundert." Anders bei den Protestanten: Für Luther sei Maria rein passiv gewesen, sie könne wegen der Rechtfertigungslehre nicht aktiv am Heilsgeschehen beteiligt gewesen sein. "Aber Luther ist für die Protestanten ja kein unfehlbarer Lehrer", so Hauke. Daher könnten sie die Richtigkeit der Mitwirkung Mariens, die durch Bibel und Kirchenväter bezeugt sei, eines Tages anerkennen.

Selbst Auferstehung ist nicht dogmatisiert

Wann der Zeitpunkt für ein Dogma gekommen ist, darauf will sich Hauke nicht festlegen. "Man muss auf die gesamte Kirchengeschichte schauen, und da stellt man fest, dass längst nicht alles gleich dogmatisiert wird." So fand zum Beispiel auch die Auferstehung Christi – die Kernaussage des christlichen Glaubens – niemals Eingang in ein Dogma. "Das ist nicht nötig, weil die Heilige Schrift die Auferstehung hinreichend belegt", so Hauke. Demgegenüber seien vor allem die Aussagen, die sich nicht ausdrücklich in der Bibel finden und deshalb von Teilen der Christenheit bestritten wurden, dogmatisiert worden – etwa bei den letzten beiden Mariendogmen von der Unbefleckten Empfängnis (1854) und der Leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel (1950). Hauke: "Insofern ist ein Dogma zu Maria als unserer geistlichen Mutter, als mütterliche Mittlerin aller Gnaden in Christus oder als Miterlöserin zwar möglich, auch durchaus sinnvoll, aber eben nicht zwingend notwendig."

Von Tobias Glenz

Marientitel, die Sie noch nicht kannten

Unter der Vielzahl von Marientiteln sind auch solche, die man nicht unbedingt erwarten würde. Warum ist Maria zum Beispiel der Turm Davids? Der Begriff stammt aus dem Alten Testament (Hld 4,4). König David ließ in Jerusalem zum Schutz der Einwohner einen Turm errichten. Wie diese Festung ist auch Maria eine Schutzburg für das Gottesvolk. Gleich einem Turm ist sie zudem Bild für die Kirche, der Braut Christi. Der Titel Turm aus Elfenbein stammt ebenfalls aus dem Hohelied (7,5) und hat dieselbe Bedeutung wie der Turm Davids. Das weiße Elfenbein ist hier zusätzlich Bild der Reinheit Mariens, Sinnbild der Unbefleckten Empfängnis. Der Morgenstern ist bekannt als der letzte Stern, der vor dem Sonnenaufgang noch zu sehen ist. Maria als Morgenstern erscheint vor Jesus, der Sonne, und ist zugleich das sichere Anzeichen für eine baldige Ankunft Christi. Der Titel Zerstörerin aller Häresien stammt von Papst Pius X., der Gegner modernistischer Tendenzen in der Kirche war. Häresien, Irrlehren als Werke des Satans, werden nach diesem Bild von Maria, der Feindin der Schlange (als Weiterführung von Gen 3,15), zertreten; sie führt die Kirche zur Wahrheit. (tmg)