Ist Theologie eine Wissenschaft?
Ein Forschungsteam der Ruhr-Universität Bochum will genau das in den kommenden fünf Jahren untersuchen. Dabei sind die Einwände der Skeptiker größtenteils nicht neu. Zwar gehört die Theologie bereits seit der Entstehung der ersten Universitäten im 11. Jahrhundert zum klassischen Fächerkanon. Doch spätestens seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert verstärken sich die Zweifel daran, ob sie eine Wissenschaft im klassischen Sinn ist. Die Diskussionen halten bis heute an.
Existenz Gottes beweisen
Auf Seiten der Theologie berief man sich über Jahrhunderte vor allem auf die Kirchenlehrer Anselm von Canterbury und Thomas von Aquin, die bereits im Mittelalter versucht hatten, die Vereinbarkeit von Glaube und Vernunft aufzuzeigen. Die wiederum entwickelten ihre Theorien auf Basis der aristotelischen und neoplatonischen Metaphysik, bei der es im Allgemeinen um Ursachen und Wirkungen, Strukturen, Gesetzlichkeiten und "erste Gründe" des Seins und der Welt ging. Im Speziellen versuchten Thomas und Anselm mit dieser Methode jedoch allen Menschen – auch den Nicht-Gläubigen – die Existenz Gottes zu beweisen.
Während sich Philosophen und Naturwissenschaftler früher damit begnügten, den Gottesbeweisen an sich zu widersprechen, werden heute Anfragen an die Wissenschaftlichkeit der Theologie als Ganzes gestellt. Es geht um Fragen, ob und wie die Theologie überhaupt wissenschaftliche Erkenntnisse zutage fördert, ob sie voraussetzungslos ist oder ob sie wie andere Wissenschaften dazu dient, die Wirklichkeit treffend zu beschreiben. Überraschenderweise führt man diese Diskussionen gerade im Land der Dichter und Denker nicht so intensiv wie etwa im angelsächsischen Raum.
Benedikt Göcke will das nun ändern. Er leitet das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit 1,6 Millionen Euro geförderte Projekt mit dem komplizierten Namen "Theologie als Wissenschaft?! – Naturalismus und Wissenschaftstheorie als Herausforderungen katholischer Theologie". Göcke sagt, dass die Wissenschaften hierzulande noch ein wenig "konfrontationsscheu" seien. Und weil er selbst promovierter Theologe und Philosoph ist, möchte er das Problem nun von beiden Seiten beleuchten. Zunächst aus philosophischer Sicht, indem er gemeinsam mit seinem Team untersucht, welche Voraussetzungen überhaupt an eine Wissenschaft geknüpft sind. Dann aus theologischer Perspektive, in dem man versucht, die vorgebrachten Einwände zu widerlegen.
Laut Göcke gibt es heute drei unterschiedliche Kategorien von Einwänden gegen die Wissenschaftlichkeit von Theologie. Der erste betreffe die Transzendenz und besage, dass übernatürliche Dinge wie Gott oder Engel – da sie nicht mit Hilfe der Naturwissenschaften zu überprüfen sind – an sich schon einmal aus dem Kreis der Wissenschaften herausfallen. "Diesem Argument zufolge müssen und dürfen wir nur die Physiker fragen, wenn wir etwas über die Welt wissen wollen", fasst der Projektleiter zusammen.
Das zweite Gegenargument besage, dass theologische Annahmen häufig naturwissenschaftlichen, aber auch historischen Annahmen widersprächen. Wenn die Theologie etwa sage, dass Gott in der Welt Wunder bewirken könne, stehe das laut diesem Argument gegen die Erkenntnisse der Physik, so Göcke. Und wenn einige Historiker im englischsprachigen Raum mittlerweile sogar die Existenz des historischen Jesus von Nazareth bezweifelten, dann seien diesem Argument folgend auch alle Schlussfolgerungen und Annahmen falsch, die eben auf dieser Existenz basierten.
Der dritte Einwand hinterfragt die grundsätzlichen Methoden, mit denen die Theologie arbeitet. So sei etwa die Revidierbarkeit von Grundlagen und Theorien im Licht neuer Erkenntnisse eines der wichtigsten Merkmale von Wissenschaft, erklärt der Forscher. "Das ist bei einem Dogma schwierig, über das man sagt, dass es unveränderlich ist." So hatte etwa der heilige Johannes Paul II. in seiner Enzyklika "Fides et ratio" (1998) betont, dass die Kirche philosophische Konzepte zur Erklärung der Welt und des Seins gutheiße. Allerdings nur solange, wie sie nicht versuchten, die Dogmen zu relativieren.
„Wir versuchen zu belegen, dass man bestimmte Annahmen einfachen schlucken muss, um die jeweilige Wissenschaft betreiben zu können.“
Gerade die Frage der Revidierbarkeit birgt eine kirchenpolitische Brisanz. Auf der einen Seite steht die Möglichkeit des Revidierens für die Forschungsfreiheit der Theologen. Auf der anderen Seite ist die katholische Theologie laut Kirchenrecht an bestimmte normative Vorgaben und Aussagen des Lehramtes rückgebunden. Das sorgte in den vergangenen Monaten dafür, dass in Deutschland auch abseits der katholisch-theologischen Fakultäten über das Verhältnis von Theologie und Lehramt diskutiert wurde. Während die Bischöfe Rudolf Voderholzer aus Regensburg und Stefan Oster aus Passau eine stärkere Unterordnung der Theologie unter das bischöfliche Lehramt forderten, betonten die Freiburger Theologen Eberhard Schockenhoff und Magnus Striet die Freiheit ihrer Wissenschaft.
Laut Göcke hat die aktuelle Debatte zwar keinen direkt Einfluss auf sein Projekt. Sie spiele aber dennoch denjenigen in die Karten, die der Theologie die Wissenschaftlichkeit absprechen wollen. "Immerhin könnte man die Diskussion als Beleg für die fehlende Forschungsfreiheit innerhalb der Theologie interpretieren", sagt er. Theologie müsse als Wissenschaft kritisch sein und in den jeweiligen Disziplinen – von der Kirchengeschichte bis zur Dogmatik – ihre Arbeit verrichten.
Unabhängig von dieser Diskussion geht Göcke davon aus, dass es ihm und seinem Team gelingen wird, genügend Argumente für die Wissenschaftlichkeit der Theologie zu finden. Das schließe auch den Einwand fehlender Revidierbarkeit lehramtlicher Aussagen ein. "Dafür ziehen wir andere Wissenschaften und deren Arbeit zum Vergleich heran", erklärt er. So könne man auch nicht mehr hinter die Vorstellung einer mathematischen Beschreibbarkeit der physikalischen Welt zurück. "Wir versuchen zu belegen, dass man bestimmte Annahmen einfachen schlucken muss, um die jeweilige Wissenschaft betreiben zu können." Wichtig sei dabei jedoch immer das Kriterium der Falsifikation. "Wenn sich eine Aussage eindeutig als falsch oder widersprüchlich zu anderen Wissenschaften erweist, dann kann sie auch in der Theologie nicht aufrecht erhalten werden", sagt er.
Entgegen käme der Theologie, dass die Idee der ausnahmslos und allgemein gültigen Naturgesetze in der aktuellen wissenschaftlichen Debatte auf dem Rückzug sei, so Göcke. Man kehre dort eher wieder zurück zu einem aristotelischen Denkmodell. Das biete den Raum, empirisch nicht verifizierbare Sachverhalte – zum Beispiel das Wunderhandeln Gottes – wissenschaftlich zumindest denkbar zu machen. Darüber hinaus müsse jedoch überprüft werden, ob Annahmen "intersubjektive Gültigkeit" bräuchten, damit sie auch wissenschaftlich sind.
Heißt übersetzt: Ist Theologie unwissenschaftlich, nur weil es Menschen gibt, die etwa die Jungfrauengeburt nicht glauben und daher zurückweisen? Auch hier bringt Göcke vergleichbare Beispiele aus anderen Disziplinen. So gebe es auch in der Physik, besonders in der Kosmologie, unterschiedliche Annahmen, die zu verschiedenen Theorien führten und nicht intersubjektiv verpflichtend seien. Dennoch verliere die Physik dadurch nicht den Anspruch, Wissenschaft zu sein.
Ein Bärendienst für die Theologie?
"Es ist ein spannendes und komplexes Projekt", sagt Göcke mit Blick auf die kommenden fünf Jahre. Sorgen, dass er der Theologie einen Bärendienst erweist, indem er ihre Wissenschaftlichkeit nicht untermauern kann, hat er aber nicht. Zwar könnten sich in diesem Fall die Gegner der Theologie als Fach an den staatlichen Universitäten dann auf diese Studie berufen. Unmittelbare Auswirkungen wie den Ausschluss von den Hochschulen erwartet er aber nicht.