Ein Pro und Contra über den Gesang im Gottesdienst

Jeder soll mitsingen – oder nur, wer's kann?

Veröffentlicht am 09.12.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Musik

Bonn ‐ Im Gottesdienst sind die Gesangsleistungen egal – Hauptsache die Leute singen laut mit, meint Redakteur Thomas Jansen. Kollege Tobias Glenz dagegen findet: Wer nicht singen kann, soll sich zurückhalten.

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Pro: Ein Schweigekartell, das sich Gemeinde nennt

Unsere Gottesdienstgemeinde ist zum Schweigekartell geworden! Kaum jemand singt in der Messe noch richtig mit. Allenfalls ein undeutliches Gemurmel vernimmt man aus den Kirchenbänken von rechts und links noch. Hört sich so ein Lob Gottes an? Sicher, auch früher hat nicht jeder alles aus vollem Leibe mitgesungen. Aber mittlerweile erreichen ja selbst die Klassiker im Advent wie "Macht hoch die Tor" kaum mehr als Zimmerlautstärke.

"Singet dem Herrn, ein neues Lied", lautet der Titel einer bekannten Motette von Bach. Dass es unbedingt ein neues Lied sein muss, erwarte ich im Gottesdienst ja schon gar nicht mehr. Ich würde mich schon freuen, wenn die Leute wenigstens die traditionellen Lieder noch mitsingen würden, wenn sie überhaupt den Mund aufbekommen würden und nicht nur einfach still etwas vor sich hin murmeln würden. Ich habe auch nichts mehr dagegen, wenn Pfarrer aus lauter Verzweiflung jeden Sonntag einfach "Großer Gott, wir loben dich" anstimmen lassen, nur damit überhaupt mehr als drei Erwachsene und zwei Kinder den Mund aufbekommen.

Der Grund für dieses fortschreitende Schweigen ist wohl nicht allein, dass die Leute die Texte nicht mehr kennen oder unmusikalisch sind. Heute ist es vielen offenbar peinlich zu singen: Man könnte ja den Ton verfehlen und überhaupt erscheint Singen als etwas Uncooles, man bleibt lieber passiv und hört zu, was die Kirchenchöre vortragen.

Vielleicht sind die Gemeinden nicht ganz unschuldig an dieser Entwicklung: Kirchenmusik ist nicht nur Sache der Organisten und der Kirchenchöre. Jeder Gottesdienstbesucher ist gefragt!

Eine Messe ist kein Stelldichein der Pavarottis dieser Welt. Das muss sie aber auch gar nicht sein. Mir ist es lieber, die Leute singen laut und von Herzen, aber falsch, als wenn sie von vornherein schweigen. Wie heißt es im 92. Psalm: Wie schön ist es, dem Herrn zu danken, deinem Namen, du Höchster, zu singen.

Von Thomas Jansen
Bild: ©picture alliance / Godong/Robert Harding

Kirchenmusik ist nicht allein Sache der Chöre, meint Thomas Jansen.

Contra: Macht mal piano, Leute!

Immer dieselbe Leier…  Sonntag für Sonntag – so kommt es mir zumindest vor – lassen viele Pfarrer bewusst ein (fast) gleichbleibendes Liedprogramm in den Gottesdiensten singen; stets nur die allseits bekannten Gassenhauer à la "Großer Gott, wir loben dich". Von Abwechslungsreichtum fehlt da jede Spur. Doch woran liegt das wohl?

Ich kann es mir nur so erklären: Die Kirchen werden immer leerer, der Gesang entsprechend immer leiser, vielleicht sind die Leute auch einfach nicht mehr so singfreudig wie früher. Dann lässt man also lieber nur die ganz großen Klassiker singen, die alle Gläubigen kennen und auch ordentlich laut mitschallern können.

Doch diese Steilvorlage sollte man so manchem Kirchgänger gar nicht geben. Denn was gibt es Schlimmeres, als einen penetrant lauten Schräg-Sänger (oder -Sängerin) hinter sich in der Kirchenbank sitzen zu haben? Wenn der eigene Gesang derart von der Fülle an falschen Noten übertüncht wird, dass man buchstäblich sein eigenes Wort nicht mehr versteht, dann nervt das wie nichts Gutes.

Ich weiß nicht, ob diese Leute sich ihres eigenen musikalischen Unvermögens nicht bewusst sind und die Ohren bei sich selbst einfach auf Durchzug stellen. Aber es gibt Fälle, die qualitativ dermaßen erschreckend sind, dass den entsprechenden Personen eine zeitnahe Selbsterkenntnis zu wünschen ist.

Selbstverständlich bin ich mir darüber im Klaren, dass das Singen ein elementarer Bestandteil des Gottesdienstes ist. Und ich bin auch kein Freund davon, wenn Gläubige pauschal kein Gotteslob mit in die Bank nehmen. Überhaupt nicht zu singen ist auch keine Lösung. Aber die Kirchenlieder aus voller Kehle zu Gehör zu bringen – das sollten die weniger talentierten Sänger(innen) lieber denen überlassen, die es können.

Daher ein Rat an die Pfarrer: nur Mut und auch mal neue oder weniger bekannte Lieder singen lassen – ungeachtet der potenziellen Lautstärke der Gemeinde. Mehr Abwechslungsreichtum – und wenn er nur musikalischer Natur ist – stünde unseren Gottesdiensten gut zu Gesicht. Und an diejenigen, die bislang die Ohren ihrer Mitchristen bluten ließen: Macht mal piano, Leute! Nicht jeder ist mit großen Sangeskünsten ausgestattet, und das ist auch gar nicht schlimm. Singen Sie gerne weiter in der Messe mit – aber eben bitte nur so laut, dass Sie niemand anderen o(h)ral belästigen.

Von Tobias Glenz