Kirche mit neuen Akzenten
Am Wochenende diskutierten in Ludwigshafen rund 100 Katholiken beim sechsten von sieben Foren innerhalb dieses Prozesses über die künftige Seelsorge. "Größtmögliche Offenheit" ist für Generalvikar Franz Jung, zuvor für die Gemeindeseelsorge im Bistum zuständig und eine Art Vater des Projekts, ein Markenzeichen des Vorhabens: "Bei uns kann jeder Schritt nachvollzogen werden. Alles steht im Internet."
Mehr als 400 Rückmeldungen zu dem am Wochenende behandelten Papier bewertet er als "Zeichen für eine etablierte Diskussionskultur". Bischof Karl-Heinz Wiesemann spricht vom System einer dialogischen Kirche und sieht sich selbst "ganz stark als Hörender und Lernender". Eigene Wortbeiträge enden häufig mit der Wendung "meine Meinung" und sollen zum Ausdruck bringen, dass auch andere Auffassungen möglich sind.
Zentraler Punkt an diesem Wochenende waren Seelsorge-"Standards". Was sich technisch anhört, soll den Pfarreien bei der Erstellung eigener Konzepte Orientierung geben und die Qualität der Arbeit sichern helfen. Zudem verspricht sich das Bistum davon eine Vereinfachung und Entlastung. Vorgeschlagen ist etwa, dass an Wochenenden priesterlose Gottesdienste mit Kommunionausteilung möglich sind. Natürlich nicht als Regel, aber als Ausnahme. Die meisten anderen deutschen Bistümer scheuen sich, diesen Weg zu gehen.
Keine Überregelung, sondern Freiraum
Vorrang haben soll künftig die Erwachsenenkatechese, also die Glaubensvermittlung an Menschen, die nicht mehr in volkskirchlichen Strukturen aufgewachsen sind, aber jetzt ihrer Weg zu Glauben und Kirche suchen. Diesem Gedanken folgt auch der Vorschlag, die Firmung später als bislang - etwa mit 15 Jahren - zu spenden und das Sakrament somit an eine bewusste Glaubensentscheidung des Einzelnen zu binden. Wiesemann begrüßt die Vorgaben allesamt.
Das Bistum folgt bei seinen Plänen den Erfahrungen, die in den vier Projektpfarreien für die Neuausrichtung gemacht wurden. Entsprechend wurde ohne großes Federlesen auch manche Idee umgestoßen, die sich in der Praxis als untauglich erwiesen hatte. Es ist der Bischof, der bei Festlegung der Standards vor "Überregulierung" warnt und den Pfarreien Freiraum zugesteht.
Speyer ist besonders ökumenisch geprägt
Speyer, eine der ältesten und vor den napoleonischen Wirren auch eine der wichtigsten deutschen Diözesen, ist mit rund 550.000 Katholiken heute ein kleineres Bistum. Ludwigshafen und Kaiserslautern heißen die größten Städte. Im aktiven Dienst sind rund 150 Priester, 50 Diakone, 100 Pastoralreferenten und 130 Gemeindereferenten. Zu den Besonderheiten gehört die ökumenische Prägung. Begünstigt wird sie dadurch, dass das Gebiet der Evangelischen Landeskirche der Pfalz fast deckungsgleich mit dem Territorium der Diözese ist und die Mitgliederzahl beider Konfessionen recht ähnlich ist. Wohl nirgends in Deutschland sind dermaßen viele soziale Einrichtungen ökumenisch getragen. Das soll auch so bleiben.
Begonnen hatte der Prozess "Gemeindepastoral 2015" im Jahr 2009. Damals bestimmten Verlust, Mangel und Überforderung die Wahrnehmung. Eine Zäsur stand an, Kräfte sollten neu gebündelt werden. Zur Neuausrichtung gehört eine soziologische Analyse. Die Fragestellungen dabei: Wer lebt hier eigentlich, und was ist wirklich für die Menschen notwendig? Die vier leitenden Perspektiven heißen Spiritualität, Evangelisierung, Anwaltschaft und weltweite Kirche.
Der Neuanfang soll auch im Namen sichtbar sein: Alle 70 Einheiten suchten sich neue Patrozinien: Spitzenreiter ist Franziskus, es folgt der Konzilspapst Johannes XXIII. Auch Menschen mit einem lokalen Bezug wie Edith Stein, Hildegard von Bingen oder Paul Josef Nardini wurden zu Namensgebern. Dass die früheren Einheiten nicht aufgegeben werden, soll die Formulierung "Pfarrei in Gemeinden" zeigen. Die Pfarrei verwirklicht sich demnach im Zusammenspiel der Gemeinden. Die Verantwortung für das kirchliche Leben vor Ort tragen Ausschüsse. Offizieller Startschuss ist der erste Advent 2015. Dann beginnt in dem Bistum, in dem erstmals im 16. Jahrhundert der Begriff "Protestant" gebraucht wurde, eine Reform ganz anderer Art.
Von Michael Jacquemain (KNA)