Kirche protestiert gegen Italiens Antiflüchtlingskurs
Ein Ordensmann ruft zum Hungerstreik, mahnende Worte des Bischofskonferenz-Vorsitzenden und Kritik in der katholischen Presse: In Italien erhebt die Kirche ihre Stimme gegen die Flüchtlingspolitik der neuen Regierung. In der Koalition der populistischen Parteien Fünf Sterne und Lega ist der rechtsnationale Matteo Salvini Innenminister. Er will keine Schiffe mit aus Seenot geretteten Migranten und Flüchtlingen in die italienischen Häfen lassen.
Salvini führte die damalige Provinzpartei Lega Nord ab dem Jahr 2013 zu nationaler Größe. Wenige Monate bevor er den Parteivorsitz übernahm, äußerte er Kritik an Papst Franziskus wegen dessen Reise nach Lampedusa, der kleinen italienischen Insel, auf der seit Jahrzehnten Flüchtlingsboote ankommen. Der Papst solle nicht die "Globalisierung der Illegalität" fördern, so der Politiker als Antwort auf Franziskus Aufruf gegen eine "Globalisierung der Gleichgültigkeit". Zum fünften Jahrestag der Lampedusa-Reise feierte Franziskus nun mit rund 200 Personen eine Messe, darunter waren Migranten und Flüchtlinge aus Afrika und Nahost, Ehrenamtliche der Flüchtlingshilfe, aber auch Offiziere der italienischen Küstenwache.
Papst: Beweinen Tausende von Toten
Der Papst rief dabei erneut zur Solidarität mit Migranten auf. Es brauche Brücken statt Mauern. "Die einzige vernünftige Antwort" bestehe in Solidarität und Barmherzigkeit. Diese Antwort, dürfe "nicht zu viele Berechnungen anstellen", sondern erfordere "eine gerechte Aufteilung der Verantwortung, eine angemessene und ehrliche Beurteilung der Alternativen und eine umsichtige Handhabung". Leider seien die Antworten auf seinen Appell von 2013, "auch wenn sie großherzig waren, nicht ausreichend, und so beweinen wir heute Tausende von Toten", sagte Franziskus am 6. Juli.
An diesem Wochenende kritisierten mehrere italienische Bischöfe die Blockaden für auf dem Mittelmeer gerettete Migranten. Es müssten humanitäre Korridore und geregelte Zugangsmöglichkeiten geschaffen werden, forderte etwa Ferraras Erzbischof Giancarlo Perego laut der Tageszeitung "Corriere della Sera" (Sonntag). Bereits am Samstag hatte Caritas Italien die Migrationspolitik der Regierung scharf kritisiert. Der Migrationsbeauftragte der Caritas, Oliviero Forti, sagte dem Nachrichtenportal Vatican News, Italien sei Gefangener einer Politik, die sich nach "Slogans statt Fakten" richte. Unterdessen ist weiter unklar, wann und wo rund 450 am Wochenende von einem Holzboot im Mittelmeer gerettete Migranten von Bord gehen können. Am Sonntagnachmittag harrten sie laut italienischen Medienberichten weiter vor Sizilien auf zwei Schiffen der EU-Grenzschutzagentur Frontex und der italienischen Finanzpolizei aus.
Während es in der vergangenen Woche auf politischer Ebene einen EU-Innenministergipfel gab, protestierten auf Italiens Straßen Tausende Katholiken gegen die abschottende Migrationspolitik ihrer neuen Regierung. Der Anti-Mafia-Priester Liugi Ciotti rief im Netz dazu auf, ein Zeichen gegen das Sterben von Migranten auf dem Mittelmeer zu setzen. Mit der Aktion "#magliettarosse" (rote T-Shirts) wurde an drei kurz zuvor vor der libyschen Küste ertrunkenen Migrantenkinder erinnert - sie alle trugen rote Shirts. Die Eltern wählen diese Farbe in der Hoffnung, dass die Kinder so besser im Meer gefunden und gerettet werden können. Sich in die Lage anderer zu versetzen, sei der erste Schritt zur Schaffung einer gerechteren Welt, erklärt Ciotti auf der Internetseite die Aktion des Dachverbands "Libera".
Menschenmassen mit roten T-Shirts
Während die Menschenmassen mit roten T-Shirts auf italienischen Plätzen eine fotogene Aktion waren, deren Fotos auf Twitter und Facebook gepostet wurden, wirkte eine demonstrierende Gruppe von Ordensleuten am Dienstag in Rom eher klein. Denn ihr Protest zeigt sich nicht auf einem T-Shirt, sondern geht unter die Haut: Die kleine Gruppe rund um den Comboni-Missionar Alex Zanotelli (79) trat in einen Hungerstreik.
Die aktuelle Migrationspolitik sei "diskriminierend", so Zanotelli. Seit die Regierung entschieden habe, die Häfen des Landes für Seenotretter zu schließen, sei das Mittelmeer erneut zu einem "Grab" geworden, verlas die Gruppe von rund 20 Ordensleuten und Pfadfindern am Sitz des italienischen Parlaments. Dort wollten sie staffelweise für mindestens zehn Tage in einen "Hungerstreik für Gerechtigkeit" treten. "Es sind nicht nur Migranten, die ertrinken; das ist der Untergang Europas, jenes Europa, das sich für Menschenrechte einsetzt", so der Comboni-Missionar.
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Mit ihrem Hungerstreik und Bannern vor dem Parlament wolle "die Basis der Kirche der italienischen Regierung zeigen, dass sehr viele Leute gegen die Migrationspolitik der neuen Regierung sind", sagte Zanotelli. Dies sei nach der jüngsten Aussage von Innenminister Salvini nur noch wichtiger. Dieser veranlasste kürzlich die Schließung italienischer Häfen für private Seenotretter. Am Montag kündigte er an, die Häfen künftig auch für einen Teil der Rettungsschiffe aus EU-Operationen zu schließen.
Italiens Verteidigungsministerin Elisabetta Trenta stellte sich am Mittwoch erneut gegen Salvini – und begründete dies in der katholischen italienischen Tageszeitung "Avvenire". Einer Familie, die ihr Kind in der Hoffnung auf dessen Überleben auf ein Boot setze, müsse "einfach geholfen werden", sagte die Politikerin der Fünf-Sterne-Bewegung. Als Verteidigungsministerin ist Trenta auch für die italienische Küstenwache zuständig.
Bischöfe gegen Landungsverbote für Flüchtlingsschiffe
Schon in der vergangenen Woche hatten sich Italiens Bischöfe zu Wort gemeldet und gegen Landungsverbote für Flüchtlingsschiffe gewandt. Für ein Boot in Schwierigkeiten könne man die Häfen nicht schließen, sagte der Vorsitzende der Bischofskonferenz Kardinal Gualtiero Bassetti laut der Onlinezeitung "Umbria 24". Man dürfe nicht riskieren, dass die Menschen an Bord in Not geraten oder ums Leben kommen. Bassetti betonte, sich nicht in die Debatte der Regierung einmischen zu wollen. Die Sichtweise der Kirche müsse aber die des barmherzigen Samariters sein, der sich um den Nächsten kümmere.
Der Kardinal und Erzbischof von Perugia äußerte sich zum Fest des Ordensgründers Benedikt von Nursia und verwies auf dessen Gebot der Gastfreundschaft. Der Fremde werde "nicht als Bedrohung gesehen, sondern als Christus selbst, der an die Tür klopft". Der Ordensgründer habe diese Regel gerade in einer Zeit "sogenannter Barbareneinfälle" festgeschrieben, so der Kardinal. Die Zivilisation habe ihren womöglich entscheidenden Schritt getan, als sie den Fremden nicht mehr als Feind, sondern als Gast betrachtet habe, sagte Bassetti weiter mit einem Zitat des päpstlichen Kulturbeauftragten, Kardinal Gianfranco Ravasi. Dies gelte "immer noch und vielleicht gerade heute", so Bassetti.
Auch die katholische Wochenzeitschrift "Famiglia Cristiana" zeigte sich besorgt über die Stimmung im Land. "Italien weiß nicht mehr, was Mitgefühl bedeutet", schreibt der Jesuit Antonio Spadaro in der aktuellen Ausgabe. Das Land sei durch "Fake News verblödet und in einer Fratze aus Angst und Egoismus verkrampft", so der Ordensmann. Angesichts von "populistischen Versuchungen, die Ängste und Egoismus fördern", stelle sich die Frage, welche Rolle die italienische Kirche im Land spiele.
Papstschreiben kann Gesellschaft verändern
Aus Sicht von Spadaro gab Papst Franziskus selbst die Antwort unter anderem mit seinem Schreiben "Gaudete et exsultate". Der Text handelt von Heiligkeit im Alltag. Laut Spadaro kann er auch helfen, die italienische Gesellschaft zu verändern, indem die Kirche von den Christen ein Leben nach der Bibel und dem Vorbild der Heiligen fordert.
Wenn Gläubige Christus zwar in der Eucharistie, nicht jedoch im Nächsten sähen, bestehe die Gefahr eines "Götzendienstes in der Verkleidung der Frömmigkeit", so Spadaro. Aus Sicht des Jesuiten reichen "Schulen der Politik nicht mehr, so hilfreich sie auch sein mögen". Er fordert "Schulen der Heiligkeit", die volksnah vermitteln, was christliches Leben im Alltag bedeutet. (mit Material von KNA)