"Kirche überlebt"
Die Debatten über die Kirche hätten ihn spontan angeregt, eine grundsätzliche Linie aufzuzeigen und weiterzuführen, schreibt er. Es sei der Versuch, mit Rückgriff auf frühere eigene Texte eine Art Essay vorzulegen. Damit verbindet Marx den Wunsch, eine Diskussion über die Zukunft der Kirche anzuregen.
Seine Gedanken kommen zu einem Zeitpunkt, an dem sich die katholische Kirche auf einem spannenden Weg befindet. So steht im September in Deutschland die Frage an, wie es nach dem fünfjährigen Dialogprozess zwischen Laien und Bischöfen weitergehen wird. Und einen Monat später geht es im Vatikan bei der Synode darum, welche Leitlinien im Umgang für Ehe und Familien gelten sollen. All dies passiert in einer Phase, in der die Kirche sich in einer zunehmend säkular und pluralistisch gewordenen Gesellschaft bewähren muss. "Religion verschwindet aber nicht, auch die Kirche nicht", ist sich Marx sicher. Sie verliere vielleicht an Einfluss, aber religiöse Phänomene seien weiterhin außerordentlich präsent.
Marx: Wer nicht offen ist, führt Kirche in "selbst gewähltes Ghetto"
Der Sozialethiker Marx hält nichts vom Lamentieren darüber, dass die guten alten Zeiten leider vorbei seien. Seit Jahren wird er nicht müde, den französischen Kardinal Jean-Marie Lustiger (1926 bis 2007) mit den Worten zu zitieren "Das Christentum in Europa steckt noch in den Kinderschuhen, seine große Zeit liegt noch vor uns!" Deshalb erteilt er auch jenen eine Absage, die Alter und Autorität einer Institution vor dem Niedergang schützen und sie so zu einer Art "Weltkulturerbe" machen wollten. Wer auf eine solche "Burg der Wahrheit" setzte, die keine offene Kommunikation zulasse, führe die Kirche in ein "selbst gewähltes Ghetto".
Kirche dürfe aber auch nicht der Versuchung nachgeben, religiösen und politischen Populismen zu folgen, greift Marx ein Argument seiner Kritiker auf. Wer dem Zeitgeist hinterherrenne, sei unfähig zu wirklicher Kommunikation. Der Bischofskonferenz-Vorsitzende sieht die Aufgabe der Kirche darin, mit dem Evangelium kritisch in die gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Ereignisse einzugreifen. Denn nicht alles, was Profit bringe oder technisch machbar sei, sei gut. Als kritische Wegbegleiterin inmitten der Gemeinschaft der Menschen habe Kirche zu wirken, dabei kommunikativ zu sein und so reden, dass sie gehört und verstanden werden könne.
Kirche ist erst auf dem Weg konkrete Gestalt anzunehmen
Im Übrigen könne der Geist Gottes auch außerhalb der Kirche Bewegung und Dynamik in Gang bringen und diese so auf ihren ureigenen Weg zurückbringen, schreibt der Kardinal. Seine Sichtweise belegt Marx unter anderem mit Zitaten aus dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 bis 1965) und dem Apostolischen Schreiben von Papst Franziskus "Evangelii Gaudium" (Freude des Evangeliums) von 2013. Die eine globale katholische Kirche ist erst auf dem Weg, konkrete Gestalt anzunehmen, lautet die These von Marx. Dabei setzt er auch innerhalb der Institution auf die Prinzipien der katholischen Soziallehre: Personalität, Solidarität und Subsidiarität. Gerade wenn die Kirche noch mehr Weltkirche werden wolle, müsse sie dezentral und subsidiär aufgebaut sein. Mit Blick auf die anstehende Kurienreform verrät er: "Wir sind uns jedenfalls einig, dass es ein neues und letztlich dann auch besseres Verhältnis von Ortskirche und Zentrale geben kann und muss." Allerdings müssten die Ortskirchen auch in der Lage sein, ihre Aufgaben wahrzunehmen.
Um den Weg in die Zukunft zu gehen, braucht es laut Marx beides: "Beten und Denken". Der Weg der Erneuerung könne nur in einem neuen Miteinander, im Hören auf das Evangelium und in einer verstärkten, synodalen Suchbewegung gefunden werden. Es sei nicht unstatthaft, die Kirche so auch als eine "lernende Organisation" zu begreifen.