Der Kirchenbauexperte aus dem Bistum Essen zur Umnutzung von Gotteshäusern

Kirche zu verkaufen

Veröffentlicht am 06.02.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Architektur

Bonn ‐ Wo früher Katholiken Gottesdienst feierten, da werden heute Konzerte veranstaltet, haben Menschen eine Wohnung gefunden, verkauft die Tafelbewegung ihre Produkte: Wenn die katholische Kirche Gotteshäuser mangels Gläubiger nicht mehr halten kann, bekommen die Gebäude häufig eine neue Nutzung. Besonders akut ist die Lage im Bistum Essen. Dort hat die Diözese 2006 96 Kirchen benannt, die geschlossen werden sollen.

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Im Interview mit katholisch.de sprach Herbert Fendrich, der Bischöfliche Beauftragte für Kirche und Kunst, über die Gründe für den Kirchenüberschuss und Kriterien für eine neue Nutzung. Zudem verrät er, warum Diskotheken seiner Meinung nach nicht in ehemalige Gotteshäuser einziehen sollten.

Frage: Herr Fendrich, seit 2006 ist das Ruhrbistum dabei, überflüssige Kirchen an neue Nutzungen zu übergeben. Was passiert mit den Gotteshäusern?

Fendrich: Da gibt es keinen einheitlichen Trend, eher viele Einzelbeispiele. In einer Kirche engagiert sich jetzt die Tafelbewegung, an anderen Orten sind ein Chorzentrum und das Bistumsarchiv entstanden. Sechs oder sieben Häuser hat das Bistum an kleinere christliche Gemeinschaften wie etwa die serbisch- oder die russisch-orthodoxe Kirche übergeben, die es sich finanziell nicht leisten können, eine eigene Kirche zu bauen.

Frage: Welche Kriterien gibt es bei der Entscheidung, wie es mit einer profanierten Kirche weitergeht?

Fendrich: Das wichtigste ist ein Ausschlusskriterium: Die Kirchen sollen erhalten bleiben. Abriss ist Ultima-Ratio, die letzte Überlegung. Ansonsten stehen auf der Prioritätenliste ganz oben Nutzungen durch andere kirchliche Gemeinschaften oder soziale Akteure wie die Caritas. Und natürlich ist auch gut vorstellbar, dass Kirchen ein Ort der Kultur werden. Aber da kommen wir im Ruhrgebiet 25 Jahre zu spät. Zahlreiche Kulturbetriebe sind in Industriebrachen eingezogen, die Kirchenbrachen gehen jetzt leer aus. Schließlich ist es auch denkbar, profanierte Kirchen kommerziell zu nutzen. Essen und Trinken, Wohnen und Schlafen sind an sich nichts Verwerfliches. Tanzen im Übrigen auch nicht.

Herbert Fendrich ist der Bischöfliche Beauftragte für Kirche und Kunst im Bistum Essen.
Bild: ©privat

Herbert Fendrich ist der Bischöfliche Beauftragte für Kirche und Kunst im Bistum Essen.

Frage: Wenn ein Diskothekenbesitzer auf Sie zukäme, dann wären Sie also offen?

Fendrich: Nein. Nicht wegen des Tanzens oder des Musikstils, sondern weil mit einer Diskothek Lebensäußerungen verbunden sein können, die nicht kompatibel wären mit dem Image der katholischen Kirche. Aber bei der Anfrage beispielsweise, ob eine Kletterkirche entstehen könnte, da war schnell klar: Das geht. Klettern hat einen jugend- und sportpädagogischen Anspruch von einigem ethischen Wert. Da muss man sich konzentrieren, Verantwortung übernehmen. Ich weiß nicht, ob Sie mal in einer Kletterhalle waren – außer einigen Rufen hört man da eigentlich nur große Andacht.

Frage: Wie reagieren die Gemeinden, wenn eine Kirche geschlossen werden soll?

Fendrich: Das ist für sie ein sehr schmerzhafter Prozess. Als das Bistum 2006 die Kirchen benannt hat, die es nicht mehr halten kann, haben die Menschen sehr unterschiedliche reagiert. Viele waren wütend, frustriert und enttäuscht. Ich habe aber beobachtet, dass die Menschen umso eher Verständnis haben, je intensiver sie mit der Kirche verbunden sind, weil sie die Entwicklung der vergangenen Jahre intensiv wahrgenommen haben.

Frage: Ist es schwer, die Immobilien loszuwerden?

Fendrich: Es ist ja nicht so, dass wir die Kirchen schnell und um jeden Preis losschlagen wollen. Insofern haben wir einen langen Atem. Aber es gibt schon eine Diskrepanz zwischen großem öffentlichen und medialen Aufsehen und echtem Kaufinteresse. Es geht um viel Geld, nicht nur beim Kauf: Bei einer mittelgroßen Kirche braucht es im Jahr zwischen 30.000 und 50.000 Euro, um nur die nötigsten Dinge wie die Betriebskosten und Reparaturen zu finanzieren. Das ist zum Beispiel für Privatleute kaum denkbar. Angesichts dieses großen Aufwandes erweist sich der Verkauf doch als schwer.

Frage: Warum ist ausgerechnet das Ruhrbistum so stark von der Problematik betroffen?

Fendrich: Das hat einmal finanzielle Gründe: Das Bistum ist mit seinen 55 Jahren noch jung. Im Gegensatz zu Traditionsdiözesen etwa im Süden Deutschlands haben wir kaum Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung ein. Das Bistum besitzt weder Forste noch Weinberge noch große Stiftungen, sondern muss sich primär aus Kirchensteuern finanzieren. Zudem sind die Ruhrgebietsstädte dem demografischen Wandel besonders stark unterworfen. Sie schrumpfen. Damit sinkt auch die Zahl der Christen überproportional. Bei der Bistumsgründung waren es 1,5 Millionen, jetzt sind es noch 830.000, das ist ein Rückgang von über 40 Prozent.

„Ungefähr zwei Drittel der Kirchen im Bistum Essen haben eine neue Nutzung.“

—  Zitat: Herbert Fendrich, Bischöflicher Beauftragter für Kirche und Kunst

Frage: Hat Kardinal Hengsbach, der erste Bischof des Bistums, nicht noch viele Kirchen bauen lassen?

Fendrich: Das stimmt. Aus heutiger Sicht erscheint das geradezu absurd. Hengsbach hat von 1958 bis Mitte der 80ger Jahre rund 120 Kirchen neu gebaut – mit dem Ziel einer möglichst menschennahen Pastoral. Die positiven Beweggründe sind also nicht abzustreiten. Hengsbach ignorierte aber die sich deutlich abzeichnende demografische Entwicklung.

Frage: Wie weit ist das Ruhrbistum in seinem Plan, 96 Kirchen auszugeben, schon gekommen?

Fendrich: Ungefähr zwei Drittel der Kirchen haben eine neue Nutzung. Etwa zehn bis zwölf der übergebliebenen Kirchen müssen aus Gründen des Denkmalschutzes erhalten bleiben – obwohl keine Interessenten in Sicht sind. Da haben wir ungelöste Probleme. Außerdem ist schon absehbar, dass das Bistum weitere Kirchen schließen muss. Allein in den sieben Jahren zwischen 2006 und 2013 hat das Ruhrbistum wieder 120.000 Mitglieder verloren. Übertragen auf die Anzahl der genutzten Kirchen würde das bedeuten, erneut 30 bis 40 Gotteshäuser zu schließen.

Frage: Wie ist die Situation in anderen Teilen Deutschlands?

Fendrich: In anderen städtischen Bereichen und in Norddeutschland ist die Lage ähnlich. Das Bistum Hildesheim ist ein Beispiel. Es ist sehr ländlich. Die Kirchenschließungen schmerzen dort mehr als hier, wo es auch zur übernächsten Kirche nicht sehr weit ist. Im süddeutschen Raum haben viele Dorfkirchen eigene Kirchenstiftungen. Die könnten auch erhalten bleiben, wenn es nur noch 50 Katholiken gäbe. Im Osten gibt es ohnehin sehr wenige Katholiken. Dafür engagieren sich viele Menschen, um die Kirchen als Mittelpunkt ihrer Dörfer zu erhalten. In Westdeutschland beobachte ich so etwas eher selten.

Das Interview führte Gabriele Höfling