"Kirchen sind Forum für Debatten"
Frage: Herr Beck, Sie sind religionspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. Wie stehen Sie selbst zur Religion? Spielt der Glaube für Sie persönlich eine Rolle?
Beck: Ich bin Christ. Nach Jahren des Zweifels und des Nichtglaubens habe ich wieder zu einem persönlichen Glauben gefunden. Der hat für mein Leben und meinen Alltag Bedeutung. Das ist aber Privatsache.
Frage: Ihre Partei umfasst kirchennahe Politiker, überzeugte Muslime, entschiedene Laizisten und viele, denen das Thema wenig sagt. Wie lässt sich eine gemeinsame Position finden?
Beck: ...und Jüdinnen und Juden nicht zu vergessen. Die Zusammensetzung spiegelt die Pluralität in Partei und Gesellschaft. Unsere Gesellschaft ist ja religiös und weltanschaulich pluraler geworden: Die großen Kirchen haben viele Mitglieder verloren, die Muslime sind zur zweitgrößten Religion im Land geworden, und zugleich ist die Zahl der Religionsfreien deutlich gewachsen. Deshalb suchen wir auch ein neues Gleichgewicht zwischen Religionen und Staat, das all diesen Gruppen gerecht wird.
Frage: Wo ist dies besonders geboten?
Beck: Der Staat muss Muslime und Religionsfreie stärker berücksichtigen. Sie haben das Gefühl, ihr Freiheitsraum wird nicht hinreichend wahrgenommen. Das gilt etwa mit Blick auf kirchliche Sonderrechte im Arbeitsrecht und beim Tendenzschutz. Auch viele der mehrere Hunderttausend Beschäftigten bei Diakonie und Caritas sind mit den Loyalitätsobliegenheiten des kirchlichen Arbeitsrechts so nicht mehr einverstanden. Das führt zu Konflikten.
Frage: Welchem Modell wollen die Grünen folgen? In Frankreich etwa sind Staat und Religion streng getrennt, hierzulande spricht man von der "hinkenden Trennung".
Beck: Ich finde, das deutsche Modell der kooperativen Trennung von Religion Staat hat grundsätzlich bewährt. Es muss aber neu austariert werden und zwar unter der Fragestellung: Was ist in der herkömmlichen Praxis des alten Staatskirchenrechts eine reale Belastung für andere gesellschaftliche Gruppen. Wo geht es um Sonderrechte, die andere zurücksetzen, und wie kann man die Freiheiten von Muslimen und Religionsfreien besser verwirklichen.
Frage: Nehmen wir den Kruzifix-Streit, bei dem es nicht zuletzt um diese Frage geht. Wie öffentlich darf sich religiöse Überzeugung kundtun?
Beck: Religion ist nicht nur Privatsache. Sie drückt sich in Gemeinschaften aus und das bedeutet: Religionsgemeinschaften verwirklichen die individuellen Grundrechte ihrer Mitglieder. Sie dürfen sich im öffentlichen Raum zeigen, zu Worten melden und werben, also auch missionieren. Das muss in einer freien und pluralen Gesellschaft akzeptiert sein.
Frage: Wo sehen Sie die Grenze?
Beck: Religionsgemeinschaften dürfen im öffentlichen Raum auch mit ihren Symbolen in Erscheinung treten. Wenn aber der Staat dem Bürger hoheitlich mit bestimmten religiösen Symbolen wie dem Kreuz gegenübertritt, darf er den Freiheitsraum Andersgläubiger und Religionsfreier nicht verletzen. Wenn wir das Kreuz als Glaubenssymbol ernst nehmen, dann muss der Staat auch jene Leute respektieren, die es ablehnen, weil sie diesen Glauben nicht teilen. Man sollte das Kreuz auch in der Debatte nicht auf Tradition reduzieren und es gleichsam zu einem Folklore-Gegenstand herabwürdigen.
Frage: Wie bewerten Sie die Kruzifix-Debatte?
Beck: Sie ist ein Elend, weil sie polarisiert, wo Toleranz, Gelassenheit und gegenseitiger Respekt geboten wäre: Christen sollten anderen ihren Glauben nicht aufdrängen; anderseits sollten sich Kritiker fragen, ob sie sich wirklich verletzt oder eingegrenzt fühlen.
Frage: Wie steht es um den staatlichen Einzug der Kirchensteuer?
Beck: Für die Kirchen ist das ein großer Vorteil, nicht zuletzt weil es den Zahlungsfluss sichert. Andererseits sehe ich keinen Grund, die Praxis zu ändern: Dem Staat schadet es nichts, im Gegenteil, durch die Verwaltungsgebühren verdient er sogar dran. Und die Gesellschaft hat einen Profit davon, weil die Kirchensteuer die Kirchen nicht allein von den besonders Frommen finanziell abhängig macht und sie sich der Gesellschaft dadurch stärker öffnen können. Dies ist in Frankreich und den USA oft ganz anders.
Frage: Welche Aufgabe haben die Kirchen in der Gesellschaft?
Beck: Sie nehmen teil am demokratischen Diskurs und geben etwa in Fragen der Bioethik, der Menschenrechte oder der Sterbehilfe wichtige Impulse. Sie kümmern sich auch um Gruppen, die oftmals keine Lobby haben: Flüchtlinge, Illegale oder Obdachlose. Zudem sind beide Kirchen wichtige Foren für Debatten, die ansonsten auf einem bestimmten Niveau kaum zu führen wären.
Frage: Zum Beispiel?
Beck: Als ich Ende der 80er Jahre begann, für die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu werben, gab es außerhalb der Kirche kaum offene Foren, wo man sich mit unterschiedlichen Standpunkten, Vorbehalten und Sorgen offen auseinandersetzen konnte. Die Debatten waren ernsthaft und gleichzeitig pluralistisch.
Frage: Gerade in dieser Frage wird aber inzwischen umgekehrt jeder Einwand als homophob oder diskriminierend zurückgewiesen.
Beck: Man kann unterschiedliche Motive artikulieren. Der Rubikon einer akzeptierbaren Debatte ist für mich aber da überschritten, wo man Menschen die Gleichheit vor dem Gesetz abspricht. Von solchen Debatten müssen wir uns gesellschaftlich abgrenzen, weil sie Menschenrechte infrage stellen.
Frage: Sollte das Staatskirchenrecht auch Vorbild für das Verhältnis zu den Muslimen sein?
Beck: Wenn die Muslime kollektive Rechte ausüben wollen, braucht der Staat einen Partner, also eine mitgliedschaftlich organisierte Religionsgemeinschaft, die sagen kann, was der Kern und was die Grenzen der eigenen religiösen Wahrheit sind. Und das muss verbindlich sein. Das sind auch die Forderungen des Religionsverfassungsrechtes.
Frage: Die Verbände sträuben sich aber teilweise und führen religiöse Gründe an.
Beck: Ich halte die Forderung dennoch für verhältnismäßig und keine Zumutung. Das deutsche Religionsrecht stimmt auch nicht eins zu eins mit dem theologischen Selbstverständnis der Kirchen überein. Vor allem aber muss es sich um Religionsgemeinschaften handeln und nicht um islamische Interessenverbände, wie wir sie heute haben.
Das Interview führte Christoph Scholz (KNA)