Kirchenvertreter warnen vor Rechtsruck in Europa
Das Aufkommen rechtspopulistischer Strömungen in etlichen Ländern wird nach Einschätzung des Wiener Theologen Paul M. Zulehner begünstigt, wenn Politik mehr von Gefühlen bestimmt wird als von Argumenten. In vielen Ländern sei die politische Mitte eingebrochen. Die österreichische FPÖ charakterisierte er als Partei, die Ängste fördere, statt Probleme zu lösen. Zukunftsfähig sei aber nur eine Politik des Vertrauens.
Sternberg: Große Koalitionen problematisch
Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, bezeichnete große Koalitionen als problematisch für Demokratien. Menschen dächten, sie kämen mit einer gegenteiligen Haltung nicht mehr durch. Sinnvoll seien deshalb starke Oppositionen in den Parlamenten. Sternberg, selbst CDU-Politiker, bemängelte auch die Sprache in Medien und Politik: Vieles werde über die Köpfe der Menschen hinweg formuliert. Die fühlten sich abgehängt und fragten sich, wer noch ihre Sprache spreche. Das bringe die Gefahr mit sich, dass eine Partei entstehe, die das Gefühl vermittle, Menschen aufzufangen.
Sternberg bezeichnete neue nationalistische Entwicklungen als massive Bedrohung für Europa: "Das gefährdet all das, was uns seit 50 Jahren Frieden und Wohlstand garantiert hat." Er rief alle Christen dazu auf, Populisten entschieden entgegenzutreten: "Wir dürfen nicht die Deutungshoheit darüber verlieren, was christlich ist. Das Christentum setzt nicht auf Abgrenzung, sondern auf Integration."
Der Bonner Politologe Andreas Püttmann sprach mit Blick auf Deutschland von der Gefahr einer Radikalisierung der Mitte. Die derzeitige öffentliche Hetze gegen Kanzlerin Angela Merkel etwa erinnere ihn an Hetze zu Zeiten der Weimarer Republik. Laut Püttmann wählt "die katholische Mehrheitsströmung" in ihrer "Schwarmintelligenz" nicht rechte Parteien. Zugleich gebe es in Deutschland aber auch Formen eines Rechtskatholizismus, der Angst habe vor einer "Homosexualisierung der Gesellschaft" und der Gleichberechtigung der Frau. Hier gebe es auch Berührungspunkte mit neuen rechten Zeitschriften und Internetforen, die derzeit einen "dramatischen Aufschwung» erlebten, so Püttmann. Fast immer gehe es diesen Medien nicht mehr um den demokratischen Austausch der Meinungen, sondern nur darum, möglichst laut und aggressiv den politischen Gegner anzugreifen.
Jerome Vignon, Präsident der Semaines Sociales de France, einer Art französischem ZdK, sprach vom extremen Populismus des Front National. Der Unterschied zu Deutschland sei, dass die französische Neigung zu einer rechtspopulistischen Partei keine Protestwahl, sondern vielmehr eine Überzeugungswahl sei. Der Gedanke dabei sei, dass weniger Europa mehr Souveränität für Frankreich bedeute. Ein Viertel der Jugendlichen wähle Marine le Pen. Nach Vignons Einschätzung steigt bei Katholiken die Zustimmung zum Front National, je weiter sie von ihrer Kirche entfernt seien. (KNA)