Richter verhandeln Kündigungsfall nach Wiederheirat

Kirchliches Arbeitsrecht erneut vor dem EuGH

Veröffentlicht am 26.02.2018 um 11:15 Uhr – Lesedauer: 
Europa

Luxemburg ‐ 2009 wurde der Chefarzt einer katholischen Klinik entlassen, weil er ein zweites Mal geheiratet hatte. Jetzt, fast zehn Jahre später, erreicht der Fall aus Deutschland den Europäischen Gerichtshof.

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Knapp ein Jahrzehnt beschäftigt der Fall nun schon die verschiedensten Gerichte, und ein Ende ist nicht in Sicht. 2008 war es, als der damalige Chefarzt eines katholischen Krankenhauses vor das Standesamt trat und heiratete. Nach staatlichem Verständnis kein Problem, seine erste Frau und er hatten sich schließlich scheiden lassen. Doch ausgehend vom kirchlichen Verständnis der Ehe als unauflösliches Sakrament sah der Träger seines Krankenhauses darin einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß bei einem leitenden Mitarbeiter. Dem Chefarzt wurde 2009 gekündigt.

Der Mediziner ging gegen die Entlassung vor. Aus seiner Sicht verstieß diese gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da eine Wiederheirat bei evangelischen Chefärzten nach der katholischen Grundordnung des kirchlichen Dienstes nicht zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führe. Mit dieser Sichtweise hatte er Erfolg; das Arbeits- und das Landesarbeitsgericht Düsseldorf sowie 2011 schließlich auch das Bundesarbeitsgericht gaben ihm Recht. Doch in der komplexen Gemengelage kam es zur Konfrontation der obersten deutschen Gerichte.

Nicht das erste Mal landet kirchliches Arbeitsrecht vor dem EuGH

Das Bundesverfassungsgericht forderte 2014 eine stärkere Berücksichtigung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts und verwies den Fall zum Bundesarbeitsgericht zurück. Dieses entschied 2016, den Sachverhalt dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vorzulegen. Es möchte im Wesentlichen wissen, ob die Kirchen nach dem EU-Recht bei ihren Verhaltensansprüchen zwischen Arbeitnehmern, die der Kirche angehören, und solchen, die einer anderen oder keiner Kirche angehören unterscheiden dürfen.

Es ist nicht das erste Mal, dass der EuGH sich mit den Besonderheiten des kirchlichen deutschen Arbeitsrechts befasst. Im vergangenen Jahr wurde dort ein ähnlicher Fall verhandelt, der noch auf ein Urteil wartet. Die konfessionslose Vera Egenberger hatte sich auf eine Referentenstelle beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung beworben, wurde aber abgelehnt. Sie argumentierte, dass sie die Stelle aufgrund ihrer Konfessionslosigkeit nicht bekommen habe. Sie sah darin eine unzulässige Diskriminierung und einen Verstoß gegen die europäische Gleichbehandlungsrichtlinie.

Bild: ©picture alliance/Arco Images/A. Bernhard

Bürogebäude des Europäischen Gerichtshof (EuGH) auf dem Kirchberg-Plateau in Luxemburg-Stadt.

Die mündliche Verhandlung im Fall Egenberger zeigte auf, wie schwer sich europäische Juristen damit tun, dass das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland stärker als irgendwo sonst in der EU von vielen allgemeinen Arbeitsrechtsbestimmungen abweicht. Im November 2017 erläuterte Generalanwalt Evgeni Tanchev in seinen Schlussanträgen, dass maßgebend sei, ob die Religion oder Weltanschauung einer Person bei der konkreten Berufsausübung "eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung" darstelle. Dabei müsse auch das "Ethos der Organisation" in den Blick genommen werden. Diese Fragen könne ein kirchlicher Arbeitgeber "nicht verbindlich selbst bestimmen", betonte der Generalanwalt.

Reichold: Sachprüfung überschreitet bereits "rote Linie"

Dies ist eine Sichtweise, die der Leiter der Tübinger Forschungsstelle für kirchliches Arbeitsrecht, Hermann Reichold, mit Skepsis betrachtet. Er betont, dass nach deutschem kirchlichem Arbeitsrecht eine Ungleichbehandlung zwischen Arbeitnehmern mit verschiedenen Konfessionen legitim sei. "Wenn man aber in diese Sachprüfung einsteigt, dann hat man aus unserer Sicht bereits eine rote Linie überschritten, denn das fällt ausschließlich in den Autonomiebereich der Kirchen, darüber zu bestimmen."

Am Dienstag findet nun in Luxemburg vor der Großen Kammer des EuGH die mündliche Verhandlung im Chefarzt-Fall statt. Mit Spannung werden nicht nur der Betroffene, sondern auch die Kirchen auf die Verhandlung blicken. Zehn Jahre nach der zweiten Heirat des Internisten erscheint es wie eine Ironie der Rechtsgeschichte, dass die deutschen Bischöfe ihre Grundordnung des kirchlichen Dienstes 2015 modernisiert haben. "Dem klagenden Chefarzt hätte heute nicht mehr gekündigt werden können", sagt Reichold. Ein Ende des Rechtsstreits ist unterdessen nicht in Sicht: Der EuGH wird den Fall in einigen Monaten wohl wieder an das Bundesarbeitsgericht zurückverweisen.

Von Michael Merten (KNA)