Kleriker zweiter Klasse?
Frage: Herr Ostheimer, wie war es damals möglich, so schnell Diakon zu werden?
Ostheimer: Ich habe mit Enthusiasmus das Zweite Vatikanische Konzil in Rom verfolgt und war begeistert von dieser neuen Möglichkeit am Dienst der Kirche mitzuwirken. Ich war damals 38 Jahre alt und habe mich sofort angemeldet. Da ich bereits Religionslehrer an einem beruflichen Gymnasium war, musste ich nur die Praxis nachholen. Andere Kandidaten mussten alle zwei Wochen an speziellen Kursen an der Akademie in Stuttgart teilnehmen, um die theologische Ausbildung nachzuholen. Ja, es war ein Schnellkurs in kürzester Zeit, aber die positive Aufbruchsstimmung damals erfasste uns enorm.
Frage: Wollten Sie ursprünglich Priester werden?
Ostheimer: Ja, das wollte ich. Aber leider hat es nicht geklappt. Warum, weiß ich bis heute nicht. Ich gehöre seit meiner Jugendzeit zum "Rosenkranzsühnekreuzzug“, einer Gemeinschaft, die sich um das Rosenkranzgebet bemüht. Das Rosenkranzgebet bedeutet mir bis heute sehr viel.
Frage: Wie sah Ihr Werdegang stattdessen aus?
Ostheimer: Ich hatte zuerst einen handwerklichen Beruf als Wagen- und Ski-Bauer erlernt, holte dann später das Abitur nach und ging dann von Bamberg nach Eichstätt um Theologie zu studieren, weil ich in meinem Heimatbistum als Priesteramtskandidat abgelehnt wurde. Dort habe ich dann nach reiflicher Überlegung gemerkt, dass Gott für mich einen anderen Plan hat. Ich bin nach Stuttgart umgezogen und habe mich dort als Religionslehrer beworben. Ich war einer der ersten, der als Laientheologe eine Stelle als Studienrat annehmen durfte. Bald habe ich dann meine Frau kennengelernt, wir haben geheiratet und fünf Kinder bekommen. Doch dann ist meine Frau im Alter von 35 Jahren plötzlich verstorben. Das war in etwa zur Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils.
Frage: Wie ging es dann bei Ihnen weiter?
Ostheimer: Weil ich mit fünf Kindern alleine überfordert war, habe ich wieder geheiratet. Glücklicherweise habe ich eine Frau gefunden, die sich kirchlich sehr engagierte. Sie hat "Ja" zu mir gesagt und zu meinem Wunsch, Diakon zu bleiben. Das ist eine der Voraussetzungen für dieses kirchliche Amt. Meine Frau und ich waren insgesamt 43 Jahre verheiratet. Sie saß als Organistin auf der Orgelempore und ich stand als Diakon am Altar. Das war wirklich eine schöne Zeit.
Frage: Wie haben Sie Ihr Amt als Ständiger Diakon damals erlebt?
Ostheimer: Im Vergleich zum Priester war mein Amt immer klein geschrieben. Darunter habe ich sehr gelitten. Immer wieder musste ich spüren, dass einzelne Priester den Diakon nicht als Mitbruder anerkannten. Ich habe auch sehr darunter gelitten, dass ich mich in den Kirchengemeinderatssitzungen oft nicht einbringen durfte. Aber ich denke, da spielten auch persönliche Vorbehalte eine Rolle, vielleicht auch hinsichtlich meines Ehe- und Familienlebens. Es gab natürlich auch andere Priester im Kollegium, mit denen ich bestimmt die Welt hätte umkrempeln können. Heute denke ich mir aber: Ich bin und bleibe gerne Diakon aus fester Überzeugung und mag daran nicht rütteln.
Frage: Sie wurden also nicht immer akzeptiert?
Ostheimer: Ich fühlte mich zumindest oft wie ein Kleriker zweiter Klasse, weil ich verheiratet war und Familie hatte. Ich habe genug Leid in meinem Leben erfahren und hätte mir da insgesamt mehr Wertschätzung gewünscht. Ich bin kein Priester, das ist klar. Und manchmal tut es mir leid, dass ich nicht den letzten Schritt in der Weihestufe gemacht habe. Aber so war mein Weg. Gott wird schon wissen, warum ich nicht Priester geworden bin. Heute bin ich 87 Jahre alt, fast erblindet und kann keine Zeitung mehr lesen oder das Brevier beten. Aber ich bete jeden Tag den Rosenkranz. Ich würde gerne aktiver sein und mich in der Gemeinde einbringen. Aber ich frage mich wie. Seit 1992 bin ich im Ruhestand und werde auch nicht mehr über die Vorgänge in der Gemeinde informiert. Wenn man nicht mehr gewünscht wird, fühlt man sich als altes Eisen. Das sollte in der Kirche so nicht sein. Ich bin heute noch begeisterter Diakon. Wenn ich also gebraucht würde, wäre ich da.
Frage: Wie war die Zusammenarbeit mit den Priestern?
Ostheimer: Bei einer Seelsorgeeinheit mit fünf Gemeinden war der Pfarrer immer sehr dankbar, wenn ich auch mal eine Beerdigung übernommen habe oder alle zwei Wochen sonntags gepredigt habe, wie es meinem Auftrag entsprach. Ich habe das immer aus voller Begeisterung gemacht. Ich fühlte mich nie ausgenutzt. Was ich damals aber als schade empfand, war, dass die Gemeinden nicht darauf vorbereitet wurden, was ein Ständiger Diakon mit Familie ist. Ich erinnere mich noch gut an eine Wortgottesfeier im Jahr 1968. Nach der Feier kam eine Frau zu mir und sagte: "Herr Pfarrer, Sie haben die Wandlung vergessen!“ Ich war erst frisch im Amt und sie wusste einfach nicht, dass ein Diakon keine Wandlung und keine Eucharistiefeier vollzieht. Natürlich darf ich als Diakon auch nicht die Beichte oder die Krankensalbung spenden, aber die anderen Dienste habe ich sehr gerne übernommen.
Frage: Welche Dienste haben Sie denn am liebsten gemacht?
Ostheimer: Ich habe gerne gepredigt, da ich es als Lehrer gewohnt war, Glaubensinhalte zu vermitteln. Auch den Beerdigungsdienst habe ich gerne gemacht, genauso wie die Assistenz bei Trauungen oder die Kindertaufe. Ich setze auch immer wieder gerne das Allerheiligste zur Anbetung aus. Das mache ich übrigens auch heute noch. All diese Aufgaben habe ich nebenher gemacht. Hauptberuflich war ich ja Religionslehrer und Papa von fünf Kindern.
Frage: Finden Sie, dass Sie als Diakon im Vergleich zu einem Priester einen direkteren Zugang zu den Menschen haben?
Ostheimer: Ich denke schon, denn meine Frau hatte als Leiterin von Kirchenchören und als Gemeinderätin viel Kontakt zu Familien. Wir waren daher immer wieder bei Familien zu Gesprächen eingeladen. Ich habe mich als eine Art Brückenbauer empfunden. Es ist auch schön, wenn die Ehefrau den Dienst ihres Mannes mitträgt. Der Priester ist quasi mit der Gemeinde verheiratet. Auch das kann bestimmt erfüllend sein. Als Diakon und Familienvater hat man vielleicht einen anderen Zugang zu den Menschen und ihren Problemen. Ich weiß, was es heißt, Sorge für die Familie zu tragen. Das sind Erfahrungen, die ich nicht missen möchte.
Frage: Im Jahr 2009 wurde der Diakonat noch einmal scharf von den anderen Weihestufen getrennt. Wie kam das bei Ihnen an?
Ostheimer: Diese nachträgliche Abgrenzung rührt mich persönlich nicht. Für mich ist das auch kein Problem. Ich finde es nur nicht in Ordnung, wenn ein Priester einem Diakon zu verstehen gibt, dass er der Bessere oder Tüchtigere wäre, weil er die volle Gnadenfülle besitzt. Der Diakon wird so immer nur als Vorstufe zum Priesteramt gesehen. Das ist schade, denn es ist ein eigenständiges und wichtiges Amt. Da fällt mir eine besondere Jesusdarstellung in einer Kirche auf der Insel Amrun im Norden Deutschlands ein. Jesus wird als der Gekreuzigte mit einer Stola gezeigt. Diese Stola liegt wie bei einem Diakon nur über einer Schulter.
Frage: Welche Bedeutung hat diese Jesus-Darstellung für Sie?
Ostheimer: Für mich ist Jesus der erste Diakon. Beim letzten Abendmahl hat er den Aposteln die Füße gewaschen und ihnen gezeigt, dass sie einander die Füße waschen sollen. Das ist eine Haltung der Demut und dafür ist der Diakon ein Sinnbild. Er soll den Menschen dienen und sich von Gott in den Dienst nehmen lassen.
Frage: Was ist ein Diakon für Sie?
Ostheimer: Ich bin ein Diakon Jesu Christi. Ich diene ihm und den Mitmenschen, den Frauen und Männern, den Kindern und Alten. Ich erblicke immer Jesus in den Menschen und ich diene Christus in diesen Mitmenschen. Je nötiger sie Hilfe haben, desto mehr. Papst Franziskus ist ein Musterbeispiel dafür. Er zeigt uns, wie sehr wir uns dienend um die Menschen, vor allem um die Armen und Benachteiligten, kümmern sollten. Ich habe viele Jahre lang als Diakon gepredigt, mich um die Sakramente gekümmert und Kranke im Altenheim besucht. In den letzten zwölf Jahren habe ich dann meine Frau bis zu ihrem Tod gepflegt. Sie hatte einen Schlaganfall erlitten und war deshalb ein Pflegefall. In dieser Zeit war ich ihr Diakon.