Kopftücher, Burkas und Kreuze
Österreich diskutiert über Kopftücher, Burkas und Kreuze. Im Kern geht es um die zwei Schlagworte "Vollverschleierung" und "Neutralitätsgebot". Am 5. Januar hatte der Vorsitzende des "Expertenrats für Integration" und Regierungsberater Heinz Fassmann ein Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst vorgeschlagen. Laut der Zeitung "Kurier" gibt es in Österreich keine einzige Polizistin, keine Richterin oder Staatsanwältin, die Kopftuch trägt. Dennoch drucken die Zeitungen fast täglich Wortmeldungen von Geistlichen und Theologen, Rechtsphilosophen und Politikern zu dem Thema.
Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) sagte vergangene Woche, dass er sich mit dem Koalitionspartner SPÖ auf ein Verbot des Tragens sichtbarer politischer oder religiöser Symbole für Richter, Staatsanwälte und Polizisten verständigt habe – Stichwort: Neutralitätsgebot im öffentlichen Dienst. Zudem wünschte Kurz bereits länger ein Vollverschleierungsverbot im öffentlichen Raum. Dem schloss sich die SPÖ an, als Ende Januar nach fünftägigen Verhandlungen die Koalitionskrise beendet wurde. "Ein Schritt, der uns nicht leicht gefallen ist", meinte Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ), denn es gebe "Argumente dafür und dagegen".
Kurz: "Das Kreuz bleibt"
Am Montagabend wurde das geplante Integrationsgesetz in Begutachtung geschickt, was bedeutet, dass Politiker und Interessenvertretungen ihre Stellungnahmen dazu abgeben können. Ende März soll die Materie im Ministerrat behandelt und abgesegnet werden. Muslime äußerten Kritik an dem Vorstoß der Regierung. Auch christliche und jüdische Religionsvertreter reagierten in der Vergangenheit mit Ablehnung auf das Verbot religiöser Kleidungsstücke oder Symbole. Der Wiener Pastoraltheologe und Religionssoziologe Paul Zulehner kritisierte das Vollverschleierungsverbot im "Kurier". "Das Problem sind nicht die Kopftuchträgerinnen, sondern die Angst vor ihnen, die politisch geweckt wird," schreibt der 77-Jährige. In Österreich gebe es nur rund 160 Burka-Trägerinnen; von ihnen kämen "140 aus dem Hotel Imperial, die dann auf der Kärntner Straße einkaufen gehen", so Zulehner mit Verweis auf reiche Touristinnen aus den Golfstaaten.
Zum Neutralitätsgebot erklärte Kurz, die Vorgangsweise sei im neuen Regierungsabkommen der Koalition klar geregelt – und: "Das Kreuz bleibt". Für den Wiener Rechtsphilosophen Richard Potz stellt sich der Sachverhalt nicht so klar dar. Im Gastbeitrag für die Zeitung "Die Presse" schreibt er am Montag, dass es unterschiedliche "öffentliche Räume" zu beachten gebe und zwei Formen der religiösen Neutralität. In allgemein zugänglichen öffentlichen Räumen wäre demnach die Zurschaustellung von Religion – etwa durch das Tragen von religiösen Symbolen und Kleidungsstücken – ein Ausdruck der Religionsfreiheit. "Was allerdings Burka oder Niqab betrifft, ist die niederländische Regelung, wonach das Tragen in der Öffentlichkeit der Straße zulässig ist, nicht aber in öffentlichen Gebäuden, eine grundsätzlich akzeptable Lösung", so Potz.
Davon unterschieden beschreibt Potz den staatlich verfassten öffentlichen Raum. Hier gelte es, die individuelle Religionsausübung etwa durch das Tragen entsprechender Symbole und Kleidung mit der religiösen Neutralität von staatlichen öffentlichen Räumen zu einem Ausgleich zu bringen. Seine Empfehlung: In hoheitlichen Kernbereichen wie der Rechtsprechung sei das Tragen des islamischen Kopftuchs nicht angebracht; auch das Tragen durch Polizistinnen wie in England und Norwegen gehe "einen Schritt zu weit". Hier sei die "distanzierende" Form von Neutralität geboten. Der Religionsphilosoph hält fest, dass er nicht nur Kopftuchträgerinnen meint, sondern ebenso Kippa- oder Turbanträger im öffentlichen Dienst.
Potz für Kopftuch und Kreuz in Schulen
Außerhalb dieser hoheitlichen Kernfunktionen, "also im sozial-, leistungs- bzw. kulturstaatlichen Bereich, insbesondere auch Bildung, Erziehung und Schule, kommt die offene, Religion 'hereinnehmende', mit Religionsgemeinschaften kooperierende Form der Neutralität zum Tragen", so Potz. Bei einer Lehrerin sei von der grundsätzlichen Zulässigkeit des islamischen Kopftuchs auszugehen.
Linktipp: Burkaverbot – Richtig oder falsch?
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden: Staaten haben das Recht, den Ganzkörperschleier zu untersagen. Geklagt hatte eine 24-jährige Muslimin aus Frankreich, die sich durch das Verbot diskriminiert fühlte. Das Urteil hat eine breite Diskussion angestoßen: Wird mit dem Verbot die Religionsfreiheit beschnitten oder steht das Gemeinschaftswohl im Vordergrund? Zwei Meinungen. (Artikel von 2014)Ein anderes Kapitel sind für Potz, der Kirchenrecht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät unterrichtet, die Kreuze. Hier differenziert er zwischen Gericht und Schule. Bei der Anbringung religiöser Symbole in Räume, die der staatlichen Öffentlichkeit zuzurechnen sind, gehe es nicht um Religionsausübung und somit um einen allfälligen Eingriff in die Religionsfreiheit. Das Kreuz im Gerichtssaal sei ein "Verstoß gegen die in hoheitlichen Kernbereichen strikt zu handhabende Neutralitätsverpflichtung des Staates". Es solle entfernt werden, wie bereits der religiöse Eid im Strafverfahren bereits abgeschafft worden und im Zivilverfahren weitgehend bedeutungslos geworden sei. Das Kruzifix habe offenbar nur noch die Funktion, „bei Berichten aus dem Gerichtssaal groß ins Bild genommen zu werden“.
In der Schule hingegen sei die Anbringung des Kreuzes verfassungsrechtlich vertretbar, so Potz. Darin könne man eine "Maßnahme positiver Religionsförderung" für die Schüler sehen, für die das Kreuz als christliches Glaubenssymbol religiöse Bedeutung hat. "Darüber hinaus ist es ein säkulares, die abendländische Geistesgeschichte vergegenwärtigendes Symbol", schreibt der Rechtsphilosoph. Potz, der sich wiederholt gegen die rechtliche Bevorzugung religiöser gegenüber nichtreligiösen Weltanschauungen ausgesprochen hat, sieht darin euch keine Beeinträchtigung jener, die das Kreuz ablehnen: Auch der Verfassungsgerichtshof habe dies 2011 zurückgewiesen, da das Kreuz keinen "Bekehrungseffekt oder sonstigen nachhaltigen Einfluss auf die Kinder“ habe. (mit Material von dpa)